Viele gute Gründe sprechen für einen Einbezug sozialer Medien in die Strategie eines Kreditinstituts. Es gibt allerdings auch handfeste Gründe, wann man von einem Social Media Einsatz besser die Finger lassen sollte.
Hintergrund
Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, einen spannenden Vortrag von Frank Roth (Leiter Unternehmenskommunikation bei der ERGO Direkt Versicherung)
über Erfahrungen des Einsatzes von Sozialen Medien zu hören. Besonders spannend fand ich die von ihm genannten 10 Gründe, die darauf hindeuten, dass man am besten auf den Einsatz von Social Media im eigenen Unternehmen verzichtet.
Gerne nutze ich hier die Gelegenheit, diese 10 Punkte näher unter die Lupe zu nehmen und auf ihre Relevanz für Banken und Sparkassen hin zu untersuchen.
Wann Sie auf einen Einsatz von sozialen Medien verzichten sollten
1. Wenn Ihr Vorstand Social Media immer noch für einen Hype hält, der sich wieder legt.
Ja, diese Vorstände gibt es immer noch viel zu häufig und es sind nicht nur Vorstände sondern oft auch Führungskräfte auf der Ebene darunter.
Ihnen allen sie an dieser Stelle der Artikel „Es ist Zeit für soziale Medien: Ein Weckruf für Bankvorstände“ von Brett King ans Herz gelegt.
Social Media funktioniert aber (wie alles andere auch) nur, wenn die Unternehmensleitung dahinter steht. Nur dann ist auch gewährleistet, dass die notwendigen Ressourcen und die für das Thema notwendige Aufmerksamkeit vorhanden sind. Daher habe ich an anderer Stelle schon einmal darauf hingewiesen, dass soziale Medien „Chefsache“ sind.
2. Sie einen „Hallo Kai, danke für Dein super Lob“-Post mit dem Vorstand, dem Kommunikations- und dem Vertriebschef abstimmen müssen.
Banken sind mindestens so hierarchisch wie Versicherungen. Soziale Medien sind dagegen hierachiebefreit und funktionieren außerdem in Echtzeit. Von daher benötigen die für den Social Media Einsatz verantwortlichen Mitarbeiter auch den entsprechenden Freiraum, ihren Job richtig ausüben zu können (was nebenbei bemerkt grundsätzlich für alle anderen Bereich zutrifft). Große Abstimmungserfordernisse bremsen und behindern mehr als der Sache dienlich wäre.
3. Wenn Marketing-, Vertriebs- und Kommunikationsabteilung sich um die Verantwortung der Social Media Kanäle reißen, aber kein Budget dafür eingeplant hat.
Spannend, da hier gleich zwei Punkte angesprochen werden: einmal die Frage, wer für den Social Media Einsatz zuständig sein soll, zum anderen, wie hoch ein Budget dafür sein muss.
Richtig ist, Social Media ist eine übergreifende Aufgabe und je nach Einsatzform kann es zum eigenständigen Vertriebskanal reichen. Eine klare Zuordnung der Verantwortung ist daher ebenso geboten, wie die Bereitstellung von Personal und Mitteln. Wie soll ein Unternehmen auch sonst 24 Stunden reaktionsfähig sein?
4. Wenn Ihre Kollegen bei Post immer noch an den Briefträger denken.
Sicherlich ist dieser Punkt etwas ironiegewürzt. Ob ich „Posting“ oder „Artikel“ sage, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist eher, alle Mitarbeiter mit auf den Weg zu nehmen und ihnen die Bedeutung dieses neuen Kanals richtig zu erklären.
5. Wenn Sie bei einem negativen Post sofort den „Shitstorm“-Alarm auslösen.
„In der Ruhe liegt die Kraft“ hat mir ein früherer Direktor der Deutschen Bank mal gesagt. Damals war ich 31 und hatte noch nicht viel übrig für „Ruhe“ sondern habe eher die Chancen gesehen, die in schnellen Veränderungen liegen. Heute sehe ich das etwas entspannter. Schnelle Reaktion: ja, schnelle Überreaktion: nein. Man muss auch mal was aushalten können. Oft genug eilen einem ohnehin die eigenen Fans zur Hilfe.
6. Sie negative Kommentare konsequent löschen.
Das gibt es zahlreicher als man denkt. Ich selbst finde z.B. die Veröffentlichungspolitik im Spiegel-Forum sehr bemerkenswert. Dort ist es mir mehr als einmal widerfahren, dass Spiegel-kritische Äußerungen vom Moderator nicht freigeschaltet wurden. Ich persönlich nenne das Zensur, ausgerechnet von einem Medium, dass vermeintlich so vehement für die Presse- und Meinungsfreiheit einzutreten scheint. Auch auf Facebook habe ich diverse Male Löschungen meiner Beiträge erlebt, interessanterweise auch dort vor allem auf Presseseiten.
Wenn ich mich über Social Media Kanäle wirklich ernsthaft austauschen und auseinandersetzen will, dann darf ich Kommentare generell nicht unterdrücken und schon gar nicht kritische. (Solche die beleidigend oder rechtsmissbräuchlich sind jedoch durchaus.) Social Media lebt vom ehrlichen Austausch auch unterschiedlicher Meinungen. Ein gutes Beispiel im Bankbereich ist die Politik der DiBa, die auf ihrer Facebookseite eine von Vegetariern und Veganern angestoßene Diskussion über den folgenden Dirk Nowitzki Werbespot ausdrücklich zugelassen hat.
https://www.youtube.com/watch?v=_lfQWgPFzO0
7. Auf Ihrem Facebook-Kanal nur Trolle, ehemalige Mitarbeiter und die Konkurrenz diskutieren.
Unschön, geschieht aber. Es kommt darauf an, durch attraktive Inhalte genug echte Fans zu begeistern, selber Inhalte beizusteuern.
8. Sie drei Fachbegriffe in einen 140-Zeichen Tweet packen wollen.
Ganz generell macht es ohnehin wenig Sinn, zu versuchen, das neueste Spar- oder Kreditprodukt über soziale Medien verkaufen zu wollen. Eine Ausnahme mag dabei die Form der Happy Hour sein. Die Postbank bietet den Fans auf Ihrer Facebookseite unter dieser Bezeichnung regelmäßige Sonderangebote an und hat nach eigenen Angaben damit gute Erfahrungen gemacht.
Obwohl soziale Medien ein Vertriebskanal sind, sind sie doch kein primärer Verkaufskanal. Wichtig ist der Aufbau von Vertrauen und Beziehung, wie ich vor einiger Zeit in dem Artikel „Die 6 Stufen der Social Media Leiter für Banken“ beschrieben habe. Das Geschäft ist dann meist die logische Folge.
9. Ihre Social Media Richtlinie mehr als 50 Seiten lang ist.
Die Social Media Richtlinie sollte kurz und prägnant sein und kein „Handbuch über die richtige Nutzung und den Einsatz von sozialen Medien unter besonderer Berücksichtigung revisions- und aufsichtsrechtlicher Beschränkungen“. Ob eine Seite tatsächlich ausreicht? Da bin ich mir nicht ganz so sicher, da es in Banken auch Compliance Themen zu beachten gilt. Aber klar: In der Kürze liegt die Würze.
Sofern Ihre Bank eine Social Media Richtline hat, die nicht unter die Rubrik „vertraulich“ fällt, würde ich mich über eine Zusendung sehr freuen. Ich würde dann bei nächster Gelegenheit hier mal eine Art „best of breed“ Zusammenfassung geben.
10. Wenn Ihre YouTube Videos „viral“ werden, weil sie so schlecht sind.
Wie schon erwähnt, kommt es ganz generell kommt auf Inhalte an und die sollten natürlich vor allem aus Sicht der Nutzer und Kunden qualitativ hochwertig und mit einem möglichst konkreten Nutzen verbunden sein. Und klar ist auch, dass man lieber mit einem guten als mit einem grottenschlechten Social Media Auftritt punkten möchte.
Allerdings kann man über Geschmack und Qualität ja bekannter weise vortrefflich streiten. Das gilt sicherlich auch für so manchen Film auf YouTube.
Fazit
Auch in Welt der sozialen Medien gibt es Fallstricke, die zu beachten sehr viel Sinn macht. Ob jeder einzelne davon gleich ein „Show-Stopper“ ist oder ob dazu mehrere der oben genannten Punkte zusammentreffen müssen, ist sicherlich ein Thema für sich.
Wo sehen Sie potentielle Gründe, die gegen eine Nutzung sozialer Medien sprechen? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.
12 Kommentare
… sollte man kein Social Media betreiben oder die Führungsspitze austauschen?
Noch bin ich der optimistischen Überzeugung, dass man den heutigen Führungskräften Social Media so erklären kann, dass sie den Nutzen verstehen ;-)
Prinzipiell gute Argumente, aber: Es gibt nur einen Grund, warum man als Bank oder Versicherung zehn Gründe erfindet, um nicht auf Social Media zu setzen: Dass man an den Produkten nichts ändern will!
10 gute und sicherlich nicht nur auf den Bankensektor zutreffende Punkte. Generell würde ich noch folgendes hinzufügen: wenn Social Media als billig, schnell, sowie ein weiterer Vertriebs- und Werbekanal unter vielen wahrgenommen wird, den man doch perfekt mit dem neuen Praktikanten besetzten kann. Der kann dann auch direkt mal damit starten den Social Media ROI auszurechnen. ;-)
:-)
Das wäre für mich der allerwichtigste Grund. Da ich früher in der Bank gearbeitet habe und die Produkte verkauft habe und jetzt seit einigen Jahren Marketing mache, kenne ich beide Welten. Daher halte ich schlechte Produkte und Berater und/oder unzufriedene Kunden gepaart mit den hierarchischen Kommunikationsstrukturen für die größten Hindernisse bei Social Media für Banken und Versicherungen.
Denn das können wir festhalten: Social Media verkauft nicht (vorrangig) und macht schlechte Produkte nicht gut. Diverse Telekommunikationsanbieter sind gute Beispiele dafür.
Wo die Mär herkommt, Social Media koste nichts, ist mir nicht klar. Auch wenn ich die Kanäle kostenfrei nutzen kann, sollte das Personal sehr gut ausgebildet sein. Das kostet Zeit, das kostet Geld und bringt erst dann etwas. Eine konkretes Beisspiel: Die deutsche Bahn hat 9 SM-Manager über 9 Monate ausgebildet und fit im Umgang mit SM gemacht.
Oder die Datev: Angefangen mit einer halben Stelle, arbeiten heute 6 – 8 MA Vollzeit in der Abteilung. Das kostet Geld und der Erfolg spricht für sich.
SM in Banken: Wenn deutsche Bankvorstände mal nach Österreich schauen, werden sie sehen, das kleinste Banken oft großartige SM-Auftritte hinlegen. Tolle, frische Inhalte und bei Facebook 4100 Menschen denen das gefällt.
Als Vorstand des Sparkassen Brokers möchte ich dann doch gerne eine Lanze für die Führungsebene brechen. Es stimmt, dass viele Vorbehalte nach wie vor bestehen, aber es gibt auch wirklich gute Beispiele. Die Sparkasse Hanau oder auch unsere eigenen Aktivitäten sind Beispiele wie jeweils über 5.000 Fans für die Facebook Seite interessiert werden können. Wir lernen kontinuierlich und unser Team hat bewusst sehr große Freiheiten und den Rückhalt des Vorstandes. Es braucht Mut, sich in eine teilweise unbekannte Welt zu begeben, die immer wieder Überraschungen bietet und nicht kontrolliert werden kann. Aber das ist doch das Salz in der Suppe. Deshalb: Nur Mut!
Hallo Herr Wöhler
danke für Ihren Mut sich hier zu outen. Leider tun das noch viel zu wenig Vorstände von Banken.
Ich bin ja von Natur aus Optimist und glaube auch, dass noch viele Chancen vorhanden sind. Sonst würde ich vermutlich auch gar nicht bloggen ;-).
Aber es bleibt noch viel zu tun. Wenn man die 80:20 Regel zugrunde legt, so wäre meine Vermutung, dass man bei 80% Ihrer Kollegen noch Basisarbeit leisten muss.
Beste Grüße
Hansjörg Leichsenring
Noch sind Banken und Sparkassen in der glücklichen Lage sich für oder gegen die Kanäle des SM-Networkings zu entscheiden, weil ein guter Teil der Kundschaft noch nicht bei Facebook lebt. Dies wird in Zukunft sicher anders aussehen. Zum Glück wachsen ja aber auch Bankvorstände und -manager heran, für die der Umgang mit den „Neuen Medien“ selbstverständlich ist.
Für mich kann der frühe Einstieg in die Lernkurve nur von Vorteil sein – unter den genannten Rahmenbedingungen, dass man in einen neuen Kommunikationskanal natürlich Geld investieren muss. Eine ganze Organisation um das Thema SM zu erweitern und das Thema nicht auf ein paar Geeks in einem luftigen Büro mit eigenem Flipper und Soda-Automaten zu beschränken, bedingt doch ein Lernen von allen Beteiligten.
Viele Grüße
Ulf Wendler
Sehr schön! Stimme 100-%ig zu!
Und verweise da gern auf http://www.slideshare.net/sympra/vergesst-facebook-warum-sich.
Ulf Wendler,
Ups. Sehen Sie sich doch einfach mal an, wie viele Menschen Social Media heute bereits nutzen und wer das noch nicht tut. Dann werfen Sie einen Blick auf die Veränderungsdynamik und ziehen vielleicht doch noch in Betracht den Fuhrpark von vier Hufen auf vier Räder umzustellen.