Wohin entwickelt sich das schweizerische Retail Banking in den kommenden zehn Jahren? Und welches sind die Schlüssel für zukünftigen Erfolg? Elf Trends zur Entwicklung des schweizerischen Privatkundengeschäfts bis 2035 weisen den Weg.
Das Retailbanking in der Schweiz spielt mit über CHF 1.000 Mrd. an Hypothekarkrediten, rund 22 Millionen ausgegebenen Debit- und Kreditkarten, mehr als 160 Millionen Kartenzahlungen und über 12 Millionen Bargeldabhebungen pro Monat eine zentrale Rolle für die Schweizer Wirtschaft.
Doch das Privatkundengeschäft steht zunehmend unter Herausforderungen. Anhaltender Margendruck, Unsicherheit bezüglich der mittelfristigen Auswirkungen innovative Technologien, Fachkräftemangel und steigender gesellschaftlicher und regulatorischer Druck zwingen die Institute zur Anpassung.
Gemeinsam mit Experten des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen, der Universität St. Gallen hat EY zehn Thesen zur zukünftigen Entwicklung des schweizerischen Retail Banking formuliert und daraus Handlungsempfehlungen für Banken abgeleitet, die anschließend in einer Befragung von Bankmanagern überprüft wurden.
Daraus folgen elf Schwerpunkte und Entwicklungen, die für das Schweizer Retail Banking relevant sind:
1. Stabilität trotz Margenerosion
Die Schweiz wird trotz geopolitischer Spannungen weiterhin als stabiler und auch künftig attraktiver Wirtschaftsstandort betrachtet. Dennoch sehen 69 Prozent der befragten Retailbanken die These einer schrittweisen Margenerosion bestätigt. Ursächlich sind das Zinsumfeld, steigende Kundenerwartungen sowie verschärfter Wettbewerb, auch bedingt durch neue Technologien und Plattformen.
Ob das Zinsgeschäft, das Kerngeschäft der Retailbanken, durch Volumenzuwächse stabil gehalten werden kann, bleibt fraglich. Auch im strategisch wichtigen Anlagegeschäft könnten die Margen weiter sinken, ohne dass dies durch zusätzliches Volumen ausgeglichen werden kann.
Trotz zunehmendem Einfluss neuer Anbieter und weiteren Herausforderungen zeigt sich die Branche jedoch gelassen. Die Banken setzen weiterhin auf zentrale Stärken des Retailbankings, wie Kundenbindung und Beratungsqualität.
2. Innovative Technologien verschärfen den Wettbewerb
81 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass innovative Technologien den Wettbewerb mittelfristig verschärfen werden. Die Auswirkungen neuer Technologien wie etwa KI werden kurzfristig oft überschätzt, könnten jedoch langfristig die Wertschöpfung verändern. Zwar setzen sich aktuell alle Banken mit neuen Technologien auseinander, doch tatsächliche Innovationen mit signifikanten Auswirkungen auf die Wertschöpfung bleiben laut der Studie rar.
Langfristig könnten Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) oder Quantum Computing in bestimmten Bereichen Veränderungen bewirken. FinTech- und BigTech-Unternehmen gelten als Motoren für Innovation und als Synonym für „Convenience“, werden jedoch nicht als direkte Wettbewerber betrachtet – solange sie die Kontrolle über die Kundenschnittstelle nicht übernehmen. Es wird davon ausgegangen, dass der Schweizer Markt aufgrund seiner geringen Größe für Tech-Giganten (noch) zu wenig attraktiv ist. Zudem erschweren besondere regulatorische Anforderungen den Markteintritt.
3. Gesellschaftliche Verantwortung und regulatorischer Druck
Vertrauen ist das wichtigste Kapital der Banken, und das Bild, das sie vermitteln, spielt eine entscheidende Rolle. Angesichts ihrer zentralen wirtschaftlichen Rolle sowie der gesellschaftlichen und regulatorischen Herausforderungen geben 88 Prozent der befragten Finanzinstitute an, dass der Druck seitens Gesellschaft und Regulierung weiterhin hoch bleibt.
Die Gesellschaft erwartet von den Banken regionales Engagement, und gesellschaftliche Verantwortung ist ein zentrales Thema – die konkrete Umsetzung, etwa im Bereich Nachhaltigkeit, bleibt jedoch oft vage. Themen wie Managergehälter und faire Verzinsung sind weiterhin kontrovers. Zudem wird die demografische Entwicklung als bedeutender Megatrend die Branche langfristig beschäftigen.
Die Regulierung wird zwiespältig bewertet: Einerseits sehen Banken darin ein Qualitätssiegel, das gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Erwartungen mit operativen Anforderungen verknüpft und dem Finanzplatz wie den Instituten zugutekommt. Andererseits wird unverhältnismäßige Regulierung kritisch betrachtet, ebenso wie die zusätzlichen Kosten, insbesondere als Folge der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS.
4. Nachhaltigkeit bringt keinen wirtschaftlichen Nutzen
Es besteht Einigkeit darüber, dass Nachhaltigkeitsinitiativen mittlerweile Standard sind und nur dann als Unterscheidungsmerkmal wirken, wenn sie regional deutlich sichtbar sind. Laut 57 Prozent der befragten Banken fehlen jedoch ein dauerhaft starkes Kundeninteresse, bedeutende Ertragspotenziale und ein damit verbundener wirtschaftlicher Mehrwert weitgehend.
Gleichzeitig steigen die Reputationsrisiken aufgrund höherer regulatorischer Anforderungen und gesellschaftlicher Erwartungen. Banken fühlen sich zunehmend in die Rolle eines „Nachhaltigkeitspolizisten“ gedrängt und kritisieren, dass sie mit dem Geld ihrer Kunden Klimapolitik betreiben sollen. Die größte Herausforderung sehen 66 Prozent der befragten Banken in der Erstellung der Nachhaltigkeitsberichte, da diese kaum aussagekräftig seien.
5. Retailbanking bleibt erfolgreiches Geschäftsmodell
Aus Sicht von 63 Prozent der Teilnehmer bleibt das traditionelle Retailbanking ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Retailbanken sind nach wie vor die zentrale Anlaufstelle für Finanzierungen, Sparen und Anlegen – Dienstleistungen, die stets benötigt werden.
Ein Viertel der Befragten sieht das anders. Sie stellen jedoch weniger das Modell selbst infrage als dessen Gestaltung und Weiterentwicklung. Besonders gefordert seien Agilität, Ertragsdiversifikation, eine klare Positionierung im Finanzökosystem, effektives Kostenmanagement und eine starke Kundenorientierung, insbesondere angesichts makroökonomischer Entwicklungen.
6. Banken brauchen neue Beratungsansätze
Retailbanking steht für Bodenständigkeit und Zuverlässigkeit. Der persönliche und vertrauensvolle Austausch bleibt dabei essenziell. Es brauche jedoch frische Impulse in der Beratung. Eine Mehrheit von 81 Prozent der befragten Institute spricht sich für neue Beratungsansätze aus, insbesondere wenn es darum geht, das Bankangebot entlang der verschiedenen Lebensphasen und -ereignisse zu erweitern. Häufig wird die Finanzplanung als Basis für eine solche Beratung genannt. Die Abstimmung zwischen Angebot und individuellen Bedürfnissen gestaltet sich jedoch oft schwierig, da viele Kunden zunächst mehr grundlegendes Finanzwissen (Financial Literacy) benötigen.
Retailbanken sollten zudem proaktiver auf Kunden zugehen, wichtige Lebensereignisse gezielter nutzen und mithilfe von Daten rechtzeitig erkennen, um Kunden über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu begleiten. Das Ziel ist, für den Kunden zur vertrauten Hausbank zu werden und durch eine ganzheitliche Beratung echten Mehrwert zu bieten.
KI wird das nicht ersetzen, sondern Berater im Hintergrund unterstützen und Abläufe effizienter gestalten. Im Vergleich zu anderen Branchen gibt es Potenzial für Verbesserungen, insbesondere bei der Nutzung und Analyse von Kundendaten.
7. Allfinanz spaltet die Banken
53 Prozent der Studienteilnehmer sehen ihre Zukunft als integrierter Finanzdienstleister, während 31 Prozent diesem Konzept kritisch gegenüberstehen. In den Gesprächen zeigte sich, dass die Entscheidung vor allem davon abhängt, ob auch Versicherungsleistungen integriert werden sollen.
Ein noch breiteres Angebot über die klassischen Bankleistungen hinaus könnte zudem die Beratung und die internen Prozesse weiter verkomplizieren. Insbesondere der Blick auf die Versicherungsbranche führt zu Bedenken hinsichtlich des Bancassurance- oder Allfinanz-Ansatzes: Frühere Misserfolge, die Komplexität des Geschäfts, strenge Regulierungen und Zurückhaltung bei Partnerschaften lassen Retailbanken zögern.
8. Kundenerlebnis muss verbessert werden
Die Erwartungen der Kunden an ihre Interaktionen mit Banken sind hoch. Sie wünschen sich den Komfort, den sie aus anderen Lebensbereichen kennen, sowie eine jederzeit verfügbare, nahtlose Nutzung über alle Kanäle hinweg. Ein Kanalwechsel, etwa vom Online-Banking zum Berater, sollte ohne wiederholte Fragen ablaufen.
91 Prozent der befragten Banken sehen diese hohen Ansprüche an das Kundenerlebnis im Spannungsfeld steigender Kosten. Die Umsetzung aller Kundenwünsche ist jedoch kostspielig, insbesondere aufgrund veralteter und komplexer IT-Infrastrukturen. Filialen bleiben als wichtiger Kanal relevant und sind entscheidend für eine starke Präsenz in den Regionen. Die Art und Weise, wie Filialen genutzt werden, wird weiter optimiert werden.
9. Banken skeptisch gegenüber Auslagerungen
Die Notwendigkeit, Prozesse und das Design von Wertschöpfungsketten zu überprüfen, ist unbestritten. Banken sind jedoch zögerlich, eigene Aufgaben an Dritte zu delegieren. Zwar gibt es Tätigkeiten, die für eine Auslagerung in Betracht gezogen werden könnten, doch die Furcht vor Kontrollverlust und Risiken ist groß, während das Potenzial für Kosteneinsparungen oft als zu gering erachtet wird. Zudem ist die Kundenschnittstelle ein unverzichtbarer Bestandteil.
Wegen der komfortablen Position der Retailbanken ist der Druck, aktiv zu werden, insgesamt relativ gering. Sollte jedoch eine Auslagerung in Zukunft notwendig werden, etwa aufgrund von Fachkräftemangel oder zur Kostensenkung, muss dies sorgfältig vorbereitet werden, da zahlreiche Schnittstellen geschaffen werden müssen. 66 Prozent der befragten Finanzinstitute sind sich einig, dass die Wertschöpfungstiefen der Retailbanken zunehmend unterschiedlich werden.
10. Bankmitarbeiter der Zukunft
Bei der Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter sehen sich Banken mit der Herausforderung konfrontiert, bestehende Stellenprofile an die zukünftigen Anforderungen anzupassen. Insbesondere in technischen Bereichen sei eine Neuausrichtung der Berufsrollen erforderlich. Das bestätigen 60 Prozent der Retailbanken, während 24 Prozent dem widersprechen.
Die Weiterbildung älterer Mitarbeiter sowie die Ausbildung und Entwicklung jüngerer Angestellter sind von zentraler Bedeutung. Demografische Veränderungen werden den Fachkräftemangel in Zukunft weiter verschärfen. Um für Talente attraktiv zu bleiben, müssen Banken ihren Mitarbeitern zudem sinnstiftende Arbeitsinhalte und gute Entwicklungsmöglichkeiten bei flexiblen Arbeitszeitmodellen bieten.
11. Disruption? Eher nicht!
Die Teilnehmer der Studie sind überzeugt, dass das Schweizer Retailbanking auch in zehn Jahren weiterhin bestehen wird. Mittelfristig wird die Wahrscheinlichkeit disruptiver Veränderungen mit einem Mittelwert von 17 Prozent als gering eingeschätzt. Langfristig hingegen wird diese Wahrscheinlichkeit mit 45 Prozent höher eingeschätzt, was wenig überraschend ist.
Den Teilnehmern ist jedoch grundsätzlich bewusst, dass sich viel verändert und dass die Banken selbst aktiv bleiben müssen, um flexibel auf Veränderungen reagieren oder diese sogar selbst gestalten zu können.
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