Im Länderrating zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit steht Deutschland auf einem unrühmlichen 23. Platz. Das gefährdet unseren Wohlstand. Die Auswirkungen sind jetzt schon zu spüren. Wir werden noch weiter zurückfallen, wenn wir nichts dagegen tun.
In der Analyse sind wir uns – seit Jahren – weitgehend einig. Digitalwüste Deutschland. Jeder kennt zig mehr oder weniger witzige Anekdoten, die diese Analyse bestätigen. Dennoch schaffen wir es nicht, dass sich die Situation nachhaltig ändert. Meine Frage ist: Warum nicht? Und daran anschließend: Was müssen wir konkret ändern, um diesen schleichenden Abstieg zu verhindern?
Woran es liegen könnte?
Seit über 30 Jahren bin ich teilnehmender Beobachter in der Finanzindustrie. Die teilnehmende Beobachtung strebt an, durch besondere Nähe zum Objekt Erkenntnisse über das Handeln, das Verhalten oder die Auswirkungen des Verhaltens von einzelnen Personen oder einer Gruppe von Personen zu gewinnen.
Seit über 30 Jahren bin ich außerdem Lernende und sauge die Forschung zum Changemanagement und Leadership buchstäblich in mich auf, um besser zu verstehen, warum wir uns mit dieser so wichtigen Transformation so schwertun.
5 Thesen, woran Entscheider scheitern
Mir ist sehr bewusst, dass ich bei meinen Antworten pauschaliere. Es ist meine subjektive Wahrheit.
- Die Entscheider sind unsicher.
- Die Entscheider verstehen Chancen, Risiken und Zusammenhänge zu wenig.
- Die Entscheider hängen alten Glaubenssätzen an.
- Es kommt zu Missverständnissen.
- Die Entscheider haben Angst vor Machtverlust.
1. Die Entscheider sind unsicher.
Aktuell sind sowohl Aufsichtsräte als auch Vorstände überwiegend Menschen, die in ihrem Berufsleben vor über 20 Jahren sozialisiert wurden. Oft sind diese in BWL, Jura & Co. ausgebildet. Diese Ausbildungen legten Wert auf Produktwissen, Prozesswissen wurde wenig bis nicht vermittelt.
Die Finanzindustrie war in der Vergangenheit sehr erfolgreich, d.h. bisherige Erfolge konnten meist durch bisheriges, fortgeschriebenes Verhalten erreicht werden. Die Führungskräfte wurden aufgrund dieser Art von Erfolgen wertgeschätzt und befördert.
Dagegen waren bisherige Digitalisierungsinitiativen häufig nicht erfolgreich. Die Entscheider scheuen befürchten deshalb weitere Misserfolge.
Das Weiter-So funktioniert nicht mehr. Eine Expertise wie auf Basis dieser geänderten Rahmenbedingungen die Digitalisierung vorankommen kann ist wenig bis nicht vorhanden.
2. Die Entscheider verstehen Chancen, Risiken und Zusammenhänge zu wenig.
Dem Dunning Kruger Effekt zufolge überschätzen unwissende Menschen ihre Fähigkeiten. Je wissender sie werden, desto demütiger werden sie. Letztlich fehlt vielen Entscheidern das richtige Verständnis für Chancen, Risiken und Zusammenhänge. Daher werden immer wieder falsche Entscheidungen getroffen.
3. Die Entscheider hängen alten Glaubenssätzen an.
Dr. Kai W. Dierke und Dr. Anke Houben haben bereits 2022 sieben Führungsmythen beschrieben:
- Aktions-Mythos: Im Zweifel handeln, schnell und unermüdlich – das ist die Währung von Erfolg. Es gibt kein: „Es ist alles getan“. Es geht immer noch mehr. Also muss ich handeln, jetzt und sofort.
- Sieger-Mythos: Die Welt ist ein permanenter Konkurrenzkampf – ich gegen die anderen. Für Erfolg muss ich mich durchsetzen und gewinnen, um jeden Preis, in jeder Situation, immer.
- Antwort-Mythos: Antworten parat zu haben, ist der Beweis meiner überlegenen Kompetenz. Fragen zu stellen dagegen schadet meiner Reputation und ist ein Zeichen von Schwäche.
- Helden-Mythos: Selbstgewisses Auftreten gilt als Hauptwährung im Management. Heldenhaftes Handeln zu demonstrieren statt persönliche Bescheidenheit zu zeigen, gibt mir den entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
- Angst-Mythos: Angst kenne ich nicht. Denn Angst ist ein Zeichen von Schwäche, Selbstzweifel und Verunsicherung – und die kann ich mir als erfolgreicher Manager nicht leisten.
- Mythos der starken Hand: Ich muss Unangreifbarkeit demonstrieren und darf den Panzer von Perfektion nicht ablegen, gerade in Krisenzeiten. Verletzlichkeit und Fehler eingestehen, haben im Top Management nichts zu suchen.
- Mythos vom rationalen Manager: Gute Manager entscheiden rein rational nach objektiven Kosten- und Nutzen-Gesichtspunkten. Ich fokussiere auf Zahlen, Daten und Fakten – Emotionen gehören hier nicht hin.
Diese Mythen der Führung denen zu viele Manager unwillkürlich folgen, gelten nach wie vor als die Erfolgswährung in den Führungsetagen der Wirtschaft und werden als Garanten einer erfolgreichen Karriere betrachtet.
4. Es kommt zu Missverständnissen
Die Ausbildung und das Sammeln von Berufserfahrung beinhalten nicht nur den Erwerb von Wissen, sondern auch den Erwerb von Methoden des Denkens und Problemlösens. Sie sind Teil der selbstverständlich vorausgesetzten „Wahrnehmung“ der Person. Ausbildung und Erfahrung bewirken, dass man die Dinge, die für die Berufstätigkeit wichtig sind, auf eine bestimmte Weise „sieht“. Dann ist es schwierig, sich vorzustellen, wie man diese Dinge (ein Röntgenbild, einen Gebäudeentwurf, die Benutzeroberfläche eines Computers), sähe, wenn man nicht über diesen fachlichen Blick verfügen würde. Der Unterschied zwischen Experten und Laien ist also nicht nur durch den Umfang, sondern vor allem durch die Qualität und durch strukturelle Merkmale des Wissens zu beschreiben.
5. Die Entscheider haben Angst vor Machtverlust.
Wenn ich als heutiger Entscheider den Führungsmythen verhaftet bin, werde ich die Fassade aufrechterhalten und z.B. vorleben, dass ich die Antwort weiß, auch wenn das nicht der Fall ist. Dies zuzugeben, wäre aus diesen Glaubenssätzen heraus ein Zeichen von Schwäche, eine Blöße, die man nicht geben kann, weil man damit einen Machtverlust befürchtet.
Erschwerend kommt die in einigen Firmen vorherrschende Quartalsdenke hinzu. Nachhaltige Veränderungen, die Strukturen verändern, kosten anfänglich Geld und sogar deutlich mehr, wenn die Vorgänger die Dinge verschleppt haben. D.h. ein Entscheider wird dieses „Risiko“ (und es ist ein Risiko, machen wir uns nichts vor) nur gehen, wenn ihn weder sein Aufsichtsrat noch der Markt dafür abstraft.
Wie schaffen wir dennoch die so notwendige Veränderung?
Im Folgenden versuche ich einige Antworten zu geben, was helfen kann, die notwendige Veränderung zu erreichen.
1. Die Entscheider sind unsicher
Was hilft? Sicherheit. Fullstop. Nur, wie bekommt ein Entscheider Sicherheit in unsicheren Zeiten, in einer VUCA-Welt. Zunächst natürlich von seinem Aufsichtsrat, seinen Kollegen, aber selbstverständlich auch von seinem CIO. Dazu gibt es wunderbare Bücher, die von Leadership handeln und aufzeigen, wie man Mitarbeitern Sicherheit gibt. Willms Buhse z.B. setzt der VUCA-World VOPA (Akronym von Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität) entgegen. Diese Erkenntnisse und Erfahrungen können eins zu eins auf die Führung von Kollegen und Vorgesetzen angewandt werden.
Als CIO, als Treiber der Veränderung gilt es sowohl das Business als auch den CEO „abzusichern“. Das geschieht durch ein sauberes Erwartungsmanagement sowie eine verlässliche Lieferung.
Dazu braucht es einen langen Atem und ein stabiles Rückgrat. Es ist so viel leichter „Unmögliches“ zu versprechen und damit den Konflikt auf später zu verlegen und zu hoffen, dass es zu gegebener Zeit gute Ausreden gibt oder man nicht mehr zuständig ist. Ja, mag sein, dass man dann zwei Jahre Ruhe hat. Ich persönlich habe noch nie erlebt, dass diese Idee am Ende aufgeht. Fair ist sie allemal nicht.
2. Die Entscheider verstehen Chancen, Risiken und Zusammenhänge zu wenig.
Da hilft aktiv zuhören und zielgruppengerecht senden. Aktives Zuhören unterscheidet sich vom passiven Zuhören darin, dass das Zuhören zum Ziel hat, den Gegenüber (wirklich!) zu verstehen.
Beim Zuhören gilt es viele, viele Ohren aufzumachen, d.h. nicht nur die des CIOs, sondern auch die der Mitarbeiter und Businesskollegen aller Ebenen. Das Ziel ist immer besser zu verstehen, was gewünscht wird, wo der Widerstand herkommt und was wir noch nicht richtig erklärt haben.
Ich bezeichne mich gerne als Erklärbär, ständig auf der Suche nach für das Business passenden Metaphern, ständig auf der Suche, wer das besser, wie und wem erklären kann. Propheten von draußen helfen (immer!). Am Schluss ist es multikausal. Welcher Begriff, welcher Termin, welche Metapher am Ende den Durchbruch geschafft hat, ist egal. Hauptsache verstanden. Wir uns!
3. Die Entscheider hängen alten Glaubenssätzen an.
Suchen Sie Verbündete bei HR. Starten Sie eine Führungskräfteentwicklung auf allen Ebenen. Schaffen Sie sich eine Bibliothek und schicken sie Beispiele, gute und schlechte. Irritieren Sie damit diese Glaubenssätze auf allen Ebenen. Leben Sie es selbst anders vor.
4. Es kommt zu Missverständnissen.
Verstehen Sie das Modell der unbewussten Kompetenz. Versuchen Sie immer und immer wieder die Sprache des Gegenübers zu adaptieren. Genauso wie sie mit einem Spanier spanisch sprechen und nicht stur beim Deutschen bleiben. Akzeptieren sie, dass Ihr Gegenüber hier und da in der unbewussten Inkompetenz ist. In dieser Stufe der Kompetenz kann man keine Fragen stellen, erwarten sie es also nicht.
5. Die Entscheider haben Angst vor Machtverlust.
Nun, wenn man all das – über mehrere Ebenen und mehrere Monate/Jahre – versucht hat und kein Fortschritt auszumachen ist, bei sich nicht und beim Business, hilft m.E. nur noch love it or leave it. Die Welt ändert sich, rasant. Wenn es in dem bisherigen Unternehmen nicht funktioniert und man noch Energie hat, zu verändern, gilt es sich ein anderes Umfeld zu suchen. Das Leben ist zu schade und der Veränderungsdruck zu hoch. Abstimmen mit den Füßen hilft ggf. im Nachhinein zu den notwendigen Einsichten.