Kundennähe beweisen, indem man Kunden möglichst fern bleibt? Was paradox klingt, ist für Banken der vielleicht beste Schutz im immer stärkeren Preiskampf. Nur müssten sie dafür bereit sein, sich ernsthaft auf neue technische Möglichkeiten einzulassen, sagt der heutige Gastautor.
Menschen mögen keine Bankgeschäfte
Neun von zehn Menschen kümmern sich nur ungern um ihre Bankgeschäfte. Viel lieber nutzen sie ihre Zeit für angenehme Dinge. Zahlreiche Studien belegen den Unwillen, mit dem die meisten dem Thema Finanzen begegnen. Die Abneigung gegen Geldangelegenheiten ist erwiesen und allgemein bekannt – interessanterweise offenbar nur denjenigen nicht, die davon am stärksten betroffen sind: den Banken.
Wie sonst ließe es sich erklären, dass gerade jene Banken, die sich für besonders kundennah halten, ihren Kunden nette Briefe schreiben, in denen sie höflich dazu einladen, doch mal auf einen Gesprächstermin in der Filiale vorbeizukommen – dann könne man bei einem Kaffee entspannt über Kredite, Geldanlage oder die Altersvorsorge plaudern. Solche Einladungen, manchmal sogar vom Bankberater von Hand geschrieben, sind sicherlich gut gemeint. Aber leider ist gut gemeint nicht dasselbe wie gut gemacht.
Aus Kundensicht rangiert der Plausch mit dem Bankberater nur kurz hinter dem Zahnarztbesuch auf der Rangliste der unangenehmsten Beschäftigungen. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass insbesondere jene Kunden diesen Einladungen folgen, die auch deshalb zum Arzt gehen, weil sie mal wieder mit jemandem reden wollen.
Es klingt erst mal paradox: Wahre Kundennähe würde heute eine Bank beweisen, die es ihren Kunden ermöglicht, so wenig wie möglich mit ihr zu tun zu haben. Und wenn der Kontakt eben doch unvermeidbar ist, dann sollte er so kurz und so angenehm für den Kunden sein wie nur irgend möglich.
Mobile Technologie ermöglicht besseren Service
Nie war es für die Banken so einfach wie heute, einen solchen bedürfnisorientierten Service zu bieten. Immer mehr Verbraucher besitzen ein Smartphone oder ein Tablet und nutzen die neuen technischen Möglichkeiten gern und oft – etwa zum einfachen Bezahlen im Internet, für die Finanzübersicht über Bankverbindungen hinweg oder auch zum transparenten Angebotsvergleich. Nur: Anstatt der etablierten Geldinstitute sind es Nicht-Banken wie PayPal, figo oder Check24, die mit Hilfe innovativer Technologien den Verbrauchern diese Dienstleistungen anbieten.
Dabei liegt der Vorteil der mobilen Ressourcen auf der Hand: Sie stehen immer und sofort, rund um die Uhr und überall, bereit. Der Kunde will sich über Hauskredite informieren? Um 22 Uhr? Während er ungestört im Zug sitzt und Ruhe sowie Zeit hat? Alles kein Problem. Ein menschlicher Bankberater mit seiner begrenzten Arbeitszeit und seinen verhältnismäßig hohen Kosten kann so einen Service nicht leisten, solange sein Kunde nicht gerade Millionär ist.
Differenzierung statt Preiskampf
Auf der Suche nach Service werden deshalb immer mehr Menschen im Internet fündig: bei Diensten, die Banken und ihre Produkte vergleichen. Wenn Banken jedoch nicht mehr sind als nur ein Produktgeber auf einer Vergleichsseite, dann sind sie austauschbar. Ihnen bleibt im Wettbewerb um die Kunden am Ende nur ein einziges Kriterium, mit dem sie sich von der Konkurrenz abheben können: der Preis. Weil der Kampf um die besten Konditionen unweigerlich zu sinkenden Margen führt, stehen die Verlierer des Prozesses aber heute schon fest: die traditionellen Filialbanken, die mit kostengünstigeren Direktbanken und Spezialanbietern niemals mithalten können.
Wer sich nicht über die ausgezeichnete Kundenbeziehung und auch nicht über sein einzigartiges Produkt differenziert – und beides haben die Banken versäumt –, ist auswechselbar. Welch verheerende Entwicklung für die Anbieter einer eigentlich so hochwertigen Dienstleistung.
Andere Branchen machen es vor
Es könnte aber auch ganz anders gehen, das zeigen Beispiele aus anderen Ländern oder auch aus anderen Branchen: Hugo Boss etwa, ein Unternehmen mit Hauptsitz im schwäbischen Metzingen, das heute eine der größten globalen Premium-Marken im Modegeschäft ist. In den letzten sechs Jahren ist Hugo Boss gelungen, wovon viele Banken träumen: den Wandel vom austauschbaren Produkt in den Regalen großer Modehäuser hin zu einem klaren Profil mit guten Produktmargen und hervorragenden Perspektiven für die nächsten Jahre.
Als die Finanzkrise die Zukunftsaussichten für Premiummode trübte, entschied sich Hugo Boss für einen dramatischen Strategiewechsel, der allein ein Ziel hatte: den Kunden besser zu verstehen, um ihm bessere Produkte verkaufen zu können. Der wesentliche Schritt bei der Umsetzung dieser Strategie war für Hugo Boss die Eröffnung hunderter Geschäfte unter eigenem Namen in den besten Innenstadtlagen in Europa, Amerika und Asien. Warum? Weil das Unternehmen verstehen wollte, welche Produkte die Kunden besonders nachfragen, weil es den Kontakt mit den Kunden durch seine gut geschulten Verkäufer selbst gestalten wollte und weil es aus den Bedürfnissen und Wünschen der Kunden lernen wollte, wie man die eigenen Produkte noch besser machen kann.
Banken sind gefordert
Genau das ist echte Kundennähe: das Verständnis für die Bedürfnisse der Kunden, die Fähigkeit zur ganzheitlichen Beratung und nicht zuletzt speziell auf den Kunden abgestimmte Produkte und Services. Und genau diese Position geben Banken gerade ohne Not auf – mit ihrem Unwillen, ihre eigene Rolle neu zu definieren und selbst in kundenfreundliche neue Technologien zu investieren. Die entstehende Lücke füllen deshalb andere. Ironischerweise überlassen die Banken der neuen Konkurrenz aber genau jene wertvollen Kundendaten, die sie bräuchten, um im Wettbewerb gegen diese Anbieter zu bestehen.
Die Banken laufen damit Gefahr, die letzte veritable „value proposition” zu verlieren, die sie noch hätten bieten können: dass sie ihrem Kunden fernbleiben, eben weil sie ihn besser kennen als er sich selbst.