Die Helaba hat sich mit Lean-Startup an die Entwicklung erster digitaler Produkte gewagt und damit bewusst einen Kulturschock provoziert. In kleinen, agilen Projekten wurden die Mitarbeiter ins kalte Wasser geworfen, mit dem Ziel ein nachhaltiges Bewusstsein für den digitalen Wandel zu entwickeln.
Wie nahezu jede andere Bank auch hat sich die Helaba (Landesbank Hessen-Thüringen) vor einigen Monaten eine Digitale Agenda gegönnt. Darin finden sich die üblichen und durchaus plausiblen Ratschläge: Potentiale ermitteln und bewerten, einen dedizierten Verantwortungsbereich auf Führungsebene etablieren, mit kleinen Minimal Viable Products (MVPs) starten um dann mit den richtigen Initiativen erfolgreich zu sein. Erste Anwendungsbereiche waren schnell gefunden und ein frisches, von außen kommendes Digitalisierungsteam – unterstützt von Atos Consulting – bastelte mit gesundem Abstand zum klassischen Bankendenken an den ersten Maßnahmen: Der Digitalisierung eines Kartenproduktes und der Entwicklung einer digitalen Unterschriftenlösung, außerdem sollten einige Portale neu orientiert und dem Zeitgeist angepasst werden.
Nun stellte sich die Frage nach dem besten Vorgehen. Zum einen sollten die ersten Projekte gemäß entsprechender Methoden und Modelle umgesetzt werden, also nutzerzentriert, agil, kreativ und innovativ – ganz im Sinne von Design Thinking. Zum anderen sollten es nicht nur reine Design- & Implementierungsprojekte werden, sondern die Mitarbeiter der Bank sollten hinsichtlich der aus dem Silicon Valley bekannten Sicht- und Arbeitsweisen inspiriert und gecoached werden. Die neuen Paradigmen sollten innerhalb der Bank durchaus etwas Unruhe stiften, vielleicht sogar hin und wieder zum Ablegen der Krawatten verleiten.
Berater geben Starthilfe
Da die notwendigen Köpfe bis dato nicht im Hause selbst vorhanden waren, lag die Unterstützung durch externe Berater nahe. Die Angebote und Modelle in diesem Umfeld sind inzwischen zahlreich vorhanden. Von „Agile Coaches“ über „Design Thinking Bootcamps“ bis hin zum „Lean-Startup as a Service“ positioniert sich nahezu jedes Beratungshaus als Unterstützer bei der Digitalisierung von Unternehmen. Die Helaba entschied sich für ein externes Team aus Digitalstrategen, Architekten, UX-Designern und Entwicklern.
„Digitale Strategien bewegen sich meist auf hoher Ebene, aber wie wollen wir jetzt konkret mit der Arbeit anfangen?“
Robert Wassmer (Helaba – Strategieprojekt Digitalisierung)
Oberstes Ziel war es eine Art Agenturdenke – also konsequentes Handeln nach Lean-Startup & Design Thinking – nachhaltig in der Bank zu etablieren und einen gesunden Appetit auf Innovation und neue Perspektiven zu wecken. Im Kern ging es aber auch darum, in weniger als 4 Monaten eine Reihe von MVPs zu entwickeln, die Vorstand und Sponsoren als klare Entscheidungshilfen hinsichtlich nachfolgender Initiativen dienen sollten.
In 3 Schritten zum Minimal Viable Product
Die Berater bildeten einen Nukleus und navigierten & coachten das gemischte Team durch einen 3-phasigen Prozess:
- Im ersten Schritt wurden im Rahmen eines Design Sprints (angelehnt an die durch Google Ventures entwickelte Methode „How to solve Big Problems in just five days“) das Problem-Statement analysiert, Inspiration getankt, Ideen generiert und schließlich eine Lösung skizziert. Ein Project Canvas und Business Model Canvas lieferten außerdem wirtschaftliche Perspektiven, die bereits in einem frühen Stadium Potentiale und Planzahlen für Sponsoren & Vorstand aufzeigten.
- Nach der ersten Grobdefinition der Lösungen in Form von Storyboards, Geschäftsmodellen und Architekturen folgten im nächsten Schritt einige Rapid Prototyping Sprints. Mit den interaktiven Prototypen wurden bereits jetzt erste Feedbacks von Nutzern und Kunden eingeholt. Wertvolle Erkenntnisse konnten so bereits in den ersten Tagen gewonnen und berücksichtigt werden.
- Im dritten und letzten Schritt wurden MVPs implementiert, also allererste Versionen der Produkte oder umfassende Demos. Maximal 4 Sprints (= 8 Wochen) genügten für zufriedenstellende Ergebnisse im Rahmen erster Iterationen.
Die entscheidenden Veränderungen sind kultureller Natur
Wie fast immer bei vergleichbaren Vorhaben gab es auch für die Helaba die ein oder andere Hürde zu meistern: skeptische Mitarbeiter mussten immer mal wieder von der „Machbarkeit“ der selbst „erfundenen“ Lösung überzeugt werden. Es war teils schwierig Bedenken z.B. In den Bereichen IT-Integration, Regulatorik oder Skill-Aufbau zu beseitigen. Dennoch war das Ergebnis der Projekte überaus zufriedenstellend. Sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf den erhofften „Kulturschock“ wurden die Erwartungen übertroffen. Vor allem die im Rahmen des virtuellen „Startups“ etablierte agile Arbeitsweise mit striktem Sprinttakt, gemeinsamen Sprintmeetings und strenger Fokussierung auf die im Design Sprint selbst gesteckten Ziele haben auch bei Teams & Kollegen außerhalb der Digitalisierungsvorhaben großes Interesse geweckt.
„Es war spannend zu sehen, wie sich die Sichtweise der Teamkollegen im Verlauf der Inkubationsprojekte verändert hat: von Skepsis und Ungläubigkeit hin zu Optimismus und Vertrauen in völlig neue Paradigmen in nur wenigen Wochen.“
Philipp Kaiser (Helaba – Strategieprojekt Digitalisierung)
Die Teammitglieder entwickelten ein nachhaltiges Bewusstsein für Digitalisierung, Innovation, Agilität und Product Thinking. Derzeit wird die Implementierung der Produkte hin zur Produktionsreife projektiert, die Ergebnisse konnten Sponsoren und andere Entscheider also auch auf wirtschaftlicher Ebene überzeugen.
Es braucht einen digitalen Reiseleiter
Erfolgskritisch für die Durchführung erster Digitalisierungsprojekte sind weniger finanzielle Investitionen oder überbordende Zielsetzungen. Vielmehr ist es entscheidend durch konsequentes Coaching und Motivation der Mitarbeiter den Mindset-Change nachhaltig zu etablieren. Für verunsicherte Kollegen ist vor allem ein guter „Reiseleiter“ der Schlüssel zum Erfolg. Er muss konsequent auf die Ängste eingehen und die Teams ermutigen sich auf Neues einzulassen und Vertrauen in die eigene Kreativität zu entwickeln.