Der Brexit als Treiber für Bankengründungen

Banken müssen sich jetzt auf einen Wegfall der Passporting-Rechte vorbereiten

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Der Austritt Großbritanniens aus der EU steht Anfang 2019 bevor. Den Banken bleibt nur noch ein gutes Jahr, um sich mit den möglichen Brexit-Folgen zu beschäftigen und angemessene strategische und organisatorische Vorbereitungen zu treffen.

Strategie der Banken nach dem Brexit

Banken müssen die strategischen Fragen im Zusammenhang mit dem Brexit jetzt klären.

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Noch sind die Bedingungen eines Brexits weitestgehend ungeklärt. Es scheint, als gäbe es in den Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bisher keine substantiellen Fortschritte. Dabei drängt die Zeit. Gemäß Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union ereignet sich der endgültige Austritt im März 2019. Ohne jede Einigung würden die beiden Parteien in ihren wirtschaftlichen Beziehungen in diesem Moment auf das Regelwerk der World Trade Organization (WTO) zurückgeworfen: Aus EU-Perspektive wäre UK ein Drittland wie jedes andere.

Auch für Banken ergeben sich aus dem Brexit gravierende Konsequenzen und erhebliche Herausforderungen. Ihnen droht der Verlust ihrer Passporting-Rechte, in beide Richtungen: outbound wie inbound. Das bedeutet: Ebenso wie eine britische Banklizenz nach einem „harten“ Brexit nicht mehr ausreicht, um Bankgeschäfte in der EU zu betreiben, kann dann auch eine EU-Bank in UK nicht mehr einfach durch eine Niederlassung operieren. Anstelle einer Filiale wird an dem jeweiligen Standort eine neue Banklizenz erforderlich. Eine Bank hat sich dann auch den entsprechenden regulatorischen Anforderungen vollumfänglich zu unterwerfen – in UK denen der Prudential Regulation Authority der Bank of England (PRA), in Deutschland denen der BaFin beziehungsweise – bei Systemrelevanz und einer Bilanzsumme von mehr als 30 Milliarden Euro – denen der EZB.

Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass der Brexit eine ganze Welle an Bankengründungen nach sich zieht, in der EU ebenso wie im Vereinigten Königreich. Für Banken ist es darum jetzt an der Zeit, sich mit den möglichen Brexit-Folgen zu beschäftigen und entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Die verschiedenen Finanzzentren auf dem Kontinent, darunter Paris und Frankfurt, kämpfen hier bereits um die Gunst der betroffenen Banken.

Soft-Brexit und EWR-Mitgliedschaft?

Noch sind verschiedene Szenarien dafür denkbar, wie sich die Passporting-Situation im Brexit-Kontext entwickelt, vorausgesetzt, die britische Politik hält tatsächlich am Brexit fest. Auch ein Soft-Brexit ist noch vorstellbar, bei dem das Vereinigte Königreich beispielsweise wieder der European Free Trade Association (EFTA) beitritt – dies wird gelegentlich auch als das Norwegische Modell bezeichnet. Denn derzeit sind Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz EFTA-Mitglieder; UK war es bis 1972.

Eine EFTA-Mitgliedschaft würde auch den Weg in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) eröffnen, weil dem EWR neben den EU-Staaten bis auf die Schweiz alle EFTA-Mitglieder angehören. Im EWR – auf Englisch European Economic Area (EEA) genannt – gelten die Regeln der Freizügigkeit und des gemeinsamen Binnenmarkts. Würde das Vereinigte Königreich EWR-Mitglied, würden auch für das Passporting Regeln greifen, die den aktuell geltenden weitgehend äquivalent sind. Aber schon wegen des Gebots der Freizügigkeit scheint es fraglich, ob das Vereinigte Königreich sich unmittelbar nach Verlassen der EU wieder in den EWR begibt.

Drittländer nach WTO-Regeln?

Durchaus vorstellbar ist auch ein harter Brexit. In diesem Szenario würde UK aus Perspektive der EU zu einem Drittstaat werden – entsprechend fänden nur noch die WTO-Regeln Anwendung. Die Konsequenz wären in der Tat einschneidende Veränderungen in den wirtschaftlichen Beziehungen. Ebenso wie der Freihandel wären auch die Passporting-Rechte hinfällig: Es bestünde dann keine Äquivalenz zwischen den regulatorischen Anforderungen für den Bankensektor mehr. Während es für beide Parteien ökonomische Vorteile brächte, wenn trotz des Brexits eine Freihandelsvereinbarung zustande käme, stehen verschiedene politische Meinungen einander gegenüber. Für Banken ist es darum ein Gebot der Vorsicht, sich bereits jetzt auf die Notwendigkeit von Neugründungen vorzubereiten. Dass über kurz oder lang neue Banklizenzen erforderlich werden, darf derzeit als das wahrscheinlichste Szenario gelten.

Den Business Case anpassen

Daher ist jetzt der richtige Moment, alle Geschäftstätigkeiten zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich umfassend zu durchdenken, sie auf den Prüfstand zu stellen und rechtzeitig entsprechende Schritte zur Zukunftssicherung einzuleiten. Sollte beispielsweise eine deutsche Banklizenz in UK ihren rechtlichen Wert verlieren, stellt sich die Frage, ob und wie das eigene Business Model davon betroffen ist. Werden UK-Kunden noch Zugang zu Finanzdienstleistungen in der EU haben – und umgekehrt? Auch Restriktionen für Finanzinstrumente aus der EU für den UK-Markt sind denkbar, was gegebenenfalls den Business Case einer europäischen Bank für UK infrage stellt – oder es erforderlich macht, neue Produkte für die Nach-Brexit-Zeit zu entwickeln.

Auch gesetzliche, regulatorische und steuerliche Rahmenbedingungen könnten sich deutlich ändern. Wie wird sich der Brexit auf die Mehrwertsteuer und die Transfer Pricing Rules auswirken, und wo werden Steuern für repatriierte Gewinne fällig? Entstehen für UK-Aktivitäten vielleicht neue Kapitalanforderungen, und sind die Risk-weighted Assets in der Zentrale betroffen, wenn die Verrechnungsmöglichkeiten beschränkt werden? Es stellt sich auch die Frage, was eine Universalbank vom Kontinent tun muss, um den Anforderungen des britischen Trennbankensystems zu genügen.

Das eigene Operating Model analysieren

Auch ihr Operating Model werden Banken auf den Prüfstand zu stellen haben. Zu klären ist, welche operativen und digitalen Anforderungen es gibt, wenn eine Bank ein Tochterunternehmen gründen möchte. Welche konkreten regulatorischen Anforderungen wird die englische PRA an eine Bank stellen, die bislang mit BaFin-Lizenz und qua Passporting in UK operiert hat? Welche Funktionen, Rollen und Infrastrukturen der Bank bestehen bereits in UK, und in welcher Form muss die Bank sie weiter ausbauen?

Banken müssen jetzt eruieren, wie eine neue, compliancegerechte IT-Infrastruktur beschaffen sein muss, ob sie die neuen Anforderungen mit den bestehenden Systemen flexibel umsetzen kann, welche Risikosteuerung zu etablieren ist und welche neuen Hierarchien. Welcher Verantwortliche darf in der Hierarchie welche Entscheidungen treffen, bis zu welchen Höchstbeträgen? Auch neue Anforderungen im Bereich Human Resources sind wahrscheinlich. Etliche Rollen, die bislang per Passporting von der Zentrale wahrgenommen wurden, wird eine Bank in ihrer neugegründeten Tochter in UK vor Ort besetzen müssen. Umgekehrt dürfte die BaFin bei Neugründungen in Deutschland auch neue Inhaberkontrollverfahren verlangen. Filialmanager einfach aus der Zentrale zu importieren, wird nach einem mehr oder minder harten Brexit und dem Verlust der Passporting-Rechte wohl nicht mehr möglich sein.

Die neue Banklizenz

Im Markt hört man unterdessen unterschiedliche Stimmen: Manche Manager denken, es sei im Grunde zu früh, sich mit den Brexit-Folgen zu beschäftigen, andere glauben, es sei schon fast zu spät, um noch etwas zu tun. Eine realistische Einschätzung ist es wohl, dass man genau jetzt damit beginnen sollte, sich auf den Brexit vorzubereiten. Einige Banken haben auch schon – gewissermaßen vorsorglich – einen Antrag auf die Erteilung einer neuen Banklizenz gestellt. Die Überlegung: Angesichts der absehbaren Flut an Anträgen werden die Regulierungsbehörden beiderseits des Kanals alle Hände voll mit Prüfungen zu tun haben. Eine Bank, die bereits jetzt einen Antrag auf die Erteilung einer neuen Banklizenz einreicht, kann dadurch gegebenenfalls Zeit sparen.

Compliancegerechte IT-Infrastruktur durch Outsourcing

Die gute Nachricht: Dass es tatsächlich sozusagen über Nacht zu einem Ende des Passportings kommen wird, ist eher unwahrscheinlich. Man kann vermutlich davon ausgehen, dass beide Seiten doch eine Fristverlängerung vereinbaren, sodass beide Wirtschaftsräume mehr Zeit bekommen, sich für den endgültigen Brexit vorzubereiten. Selbst wenn eine Bank bereits jetzt eine neue Lizenz beantragt, wird sie viele Unterlagen nachreichen dürfen. Zudem gibt es einen probaten und vergleichsweise unkomplizierten Weg, um die nötigen Maßnahmen auf Seiten der Infrastruktur und der Steuerung zu treffen. Banken können möglichen neuen Tochtergesellschaften die erforderliche IT-Infrastruktur verschaffen, indem sie Technologie oder ganze Bankprozesse von spezialisierten Anbietern beziehen. Wenn eine Bank das Kernbankensystem eines Anbieters nutzt, der sich in den jeweiligen Märkten auskennt und den einschlägigen Compliance-Anforderungen – seien sie in UK oder in den EU-Staaten – gerecht wird, reduziert dies den Aufwand für die Neugründung deutlich. Internationale Anbieter von Kernbankensystemen und Business Process as a Service (BPaaS)-Leistungen sind hier im Vorteil.

Jetzt Zukunftsszenarien entwickeln

Von der schwedischen Großbank, die zwei Drittel ihrer Erträge im Vereinigten Königreich erwirtschaftet, bis zur US-Bank, die den gesamten EU-Markt bislang über ihre Londoner Tochter via Passporting erschlossen hat – sehr viele Marktteilnehmer stehen vor der Herausforderung, jetzt geeignete Antworten auf den Brexit finden zu müssen. Als erfolgsentscheidend könnten sich dafür zwei Dinge erweisen: eine qualifizierte rechtlich-regulatorische Analyse und Beratung einerseits und eine Sourcing-Strategie für die compliancegerechte IT-Infrastruktur andererseits. Auch wenn die konkreten regulatorischen Bedingungen, denen sich Banken nach einem Brexit gegenübersehen, noch nicht klar umrissen werden können, steht doch fest: Der Zeitpunkt, zu dem eine Bank mögliche Zukunftsszenarien entwickeln sollte, ist genau jetzt.

Über den Autor

Uwe Krakau

Uwe Krakau verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche. Bei Avaloq ist er als General Manager und Chief Markets Officer Germany tätig. Zu seinen Kernthemen gehören Markt, Wachstum, M&A, Start-ups, Value Proposition und Fintechs. Bevor er zu Avaloq wechselte, war er 14 Jahre lang hauptsächlich für DAX-Unternehmen in Deutschland tätig. Er studierte an der Fachhochschule für Technik Esslingen Wirtschafts-Ingenieur, verfügt über einen Abschluss in Informations-Wissenschaft der Universität Konstanz und hat das Executive Program des Swiss Finance Institut abgeschlossen.

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