Deutschlands Banken in der Data-Driven Economy

Big Data, Vernetzung und künstliche Intelligenz – wo bleibt da der Kunde?

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Der Wandel von der klassischen Ökonomie zur Data-Driven Economy stellt Finanzinstitute vor zahlreiche Herausforderungen. Kundenzentrierung ist der Schlüssel zum Erfolg. Neue Technologien sind Mittel zum Zweck und müssen zum Wohle der Kunden eingesetzt werden.

Neue Technologien und die Data-Driven Economy

Technologien wie Big Data, Vernetzung und künstliche Intelligenz beeinflussen die Veränderung zur Data-Driven Economy.

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Das Ende von Lehman Brothers im September 2008 war nicht nur eine der größten Firmenpleiten der Geschichte, es war der Beginn der weltweiten Finanzkrise, in der es für viele Banken, auch in Deutschland, ums nackte Überleben ging. Die Auswirkungen halten bis heute an, die Zinsen sind immer noch auf einem extrem niedrigen Niveau und auch die Regulierung steigt immer noch weiter an.

Das größte Problem liegt jedoch darin, dass der Managementfokus im Banking auf der Bewältigung der Krise lag und vielfach auch heute noch liegt – und damit eine viel größere Umwälzung, nämlich die Digitale Transformation, nicht die notwendige Aufmerksamkeit bekommt. Neue Player, von den GAFAs aus Amerika über die BATs aus Asien bis hin zu den kleineren FinTechs, tauchen zunehmend am Markt auf. Völlig unberührt von der Finanzkrise und mit einem beindruckenden Fokus auf die Bedürfnisse der Kunden rollen sie das Feld von hinten auf.

Für viele Banken in Deutschland besteht die Gefahr, in diesem Zwei-Fronten-Krieg auf der Strecke zu bleiben. Und doch ist das ist erst der Anfang, denn wir befinden uns inmitten eines Wandels hin zur Data-Driven Economy. Doch was bedeutet das konkret für das deutsche Privatkundengeschäft?

Aus Big Data wird Bigger Data

Die Menge an Daten steigt rasant – aus Big Data wird Bigger Data. Der weltweite Datenbestand wächst exponentiell und verdoppelt sich alle zwei Jahre. Von Januar 2017 bis Dezember 2018 sind mehr Daten entstanden, als die Menschheit von den ersten Höhlenzeichnungen in Frankreich bis Anfang 2017 produziert hat. Und diese Entwicklung wird sich noch weiter beschleunigen, denn in Zukunft werden die allermeisten Daten nicht mehr durch Menschen, sondern sie werden durch Dinge (Stichwort Internet of Things) produziert. Im Jahr 2020 werden 50 Milliarden Geräte oder Dinge existieren, die mit dem Internet verbunden sind. Und wenn man diese Zahl mit den Datensätzen multipliziert, die jedes einzelne dieser Geräte produziert, hat man schnell eine Zahl mit mehr Nullen als man sich vorstellen kann.

Auch wenn der Begriff Big Data schon lange in aller Munde ist, stehen wir hier erst am Anfang dessen, was wirklich Big Data ist. Die Banken waren traditionell eine der ersten Branchen, die den Einsatz von automatisierter Datenverarbeitung bereits im Zeitalter der Lochkarten startete. Doch für die Zukunft müssen die Banken nicht nur noch viel mehr Daten, sondern vor allen Dingen die richtigen Daten erzeugen oder sich den Zugriff darauf sichern. Die Zukunft liegt nicht mehr darin, die einzelne Transaktion möglichst effizient zu verarbeiten, sondern das in der Transaktion enthaltene Kundenwissen für die Bank und den Kunden selbst nutzbar zu machen.

Alles was vernetzt werden kann, wird vernetzt

Doch es werden nicht nur immer mehr Daten, die einzelnen Datenquellen werden zunehmend miteinander vernetzt. Im privaten Bereich finden wir es inzwischen völlig normal, „always on“ zu sein. Und auch die Industrie 4.0 lebt von der Vernetzung aller beteiligten Unternehmen und ihrer Bestandteile – so meldet die Maschine frühzeitig, dass Sie demnächst gewartet werden muss.

Doch warum ist das so relevant? Warum hat das so viel mit der Data-Driven Economy zu tun?

Weil diese Vernetzung die Daten just-in-time verfügbar macht. Die Nutzung dieser Daten, egal, ob beim autonomen Fahren oder im Gesundheitsbereich, geschieht mehr und mehr in Echtzeit. Und damit werden sie (über)-lebenskritisch. Banken müssen sich in diese vernetze Welt integrieren und Schnittstellen schaffen, um von diesen Daten profitieren zu können. Ob die Smartwatch des Privatkunden, das Leasingfahrzeug eines Geschäftskunden oder die Maschine eines Firmenkunden: Durch die Nutzung dieser Daten zum Zeitpunkt ihrer Entstehung ergeben sich völlig neue Möglichkeiten im Banking.

  • Kann ich die Kreditlinie des Kunden nicht vielleicht erweitern, wenn mir sein Maschinenpark Vollauslastung meldet?
  • Oder dem Kunden Services rund um seine Reise anbieten, wenn mir die Smartwatch verrät, dass er gerade im Urlaub ist?

Eine große Herausforderung für die Legacy-Systeme der Banken – doch auch eine große Chance, sich in die Prozesse der Kunden zu integrieren und unverzichtbar zu werden.

Menschliche Intelligenz wird durch Künstliche Intelligenz zunehmend ersetzt

Das exponentielle Wachstum der Daten und das exponentielle Wachstum der Vernetzung führt gemeinsam zu einer dritten Entwicklung. Die Verarbeitung und Analyse in Echtzeit ist bereits heute in den meisten Fällen nicht mehr durch Menschen leistbar. Daher wird die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz in den nächsten Jahren zunehmend ergänzen und teilweise auch ersetzen. Ganz subtil schleicht sich die Nutzung in unser Leben ein.

Dieser Text wurde noch durch einen Menschen geschrieben, für viele Sportnachrichten trifft dies aber bereits nicht mehr zu. Auf Basis der Daten der Spiele werden automatisch Texte erstellt, die so authentisch geschrieben sind, dass der Unterschied zu einem professionell ausgebildeten Journalisten nicht zu erkennen ist.

Bei den Bürgermeisterwahlen in Tama bei Tokio ist in diesem Jahr ein Kandidat angetreten, der politische Entscheidungen sowie Budgetberechnungen mithilfe einer künstlichen Intelligenz durchführen wollte. Zwar schaffte es der Kandidat bei der Wahl dann tatsächlich nur auf den letzten Platz, aber der Anfang ist gemacht.

Der Einsatz wird auf breiter Front kommen, weil er notwendig ist. Es ist also nicht eine Frage des ob, sondern nur noch des wann. Auch im Banking. Und dann ist es eigentlich egal, ob der Computer das Portfolio des Kunden nur analysiert und die Empfehlungen durch einen Berater ausgesprochen werden oder ob der Computer das Gespräch mit dem Kunden dann auch gleich führt (und regulatorisch adäquat protokolliert).

Daten, Vernetzung und KI führen zur Data-Driven Economy

Die Kombination aus diesen drei Dingen, dem exponentiellen Datenwachstum, der Verfügbarkeit durch die Vernetzung und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Analyse und Nutzung, ist das, was die Data-Driven Economy ausmacht. Und die Banken müssen sich – Legacy-Systeme hin und Regulatorik her – dieser Herausforderung stellen. Oder sie sterben. Letztendlich wird diese Form der Wirtschaft aber auch einen massiven Einfluss darauf haben, wie wir als Gesellschaft zusammenleben.

Ohne Komfort geht nichts mehr

Jeder erinnert sich noch daran: Die Urlaubsfahrt mit der ganzen Familie im eigenen Auto, egal ob an die Ostsee oder nach Italien. Ganz nach dem traditionellen Rollenbild fuhr Papa das Auto und Mama war damit beschäftigt den Atlas zu studieren und nach der nächsten Abfahrt Ausschau zu halten. Unzählige Familienkrisen sind so entstanden. Heute tippen wir unser Ziel ins Navi ein und los geht’s, wir lesen Nachrichten in der App an der Bushaltestelle und nutzen Alexa, um uns an die nächsten Einkäufe zu erinnern. Und morgen brauchen wir uns um das Fahren gar nicht mehr zu kümmern und statt mühseligem Tippen wird die Sprachsteuerung zum Standard.

Der zunehmende Komfort erhöht auch die Erwartungshaltung jedes einzelnen Kunden an seine Bank. Doch bei einem gleichbleibenden Kundenerlebnis sinkt der gefühlte Wert der Leistung. Kunden sind heute mit ihren Banken nicht unzufrieden, weil der Service schlechter wäre als früher, sondern weil andere Unternehmen, Amazon Prime lässt grüßen, die Erwartungshaltung haben steigen lassen.

Die Balance zwischen Individualisierung und Privatsphäre

Zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, trotz und gerade durch den Fokus auf automatisierte Datenverarbeitung, die Berücksichtigung des Datenschutzes und damit der Privatsphäre. Bei einer DialogTour mit dem DDV nach Peking konnte ich vor kurzem die Firma Sensetime besuchen. Das Unternehmen entwickelt derzeit die Technologie, mit der in Echtzeit Livebilder von Millionen von Kameras ausgewertet werden können. Zu jeder Person und jedem eingefangenen Fahrzeug können mithilfe von Bilderkennung Informationen wie Kennzeichen, Personen-ID usw. live in das Bild hinein projiziert werden.

Spätestens da kommen gesellschaftliche Fragestellungen auf uns zu. Welche Regeln gelten für den Besitz von Daten und die Nutzung von Daten? Wie lässt sich ein Missbrauch aus gesellschaftlicher Sicht verhindern? Und umgekehrt: Wie können wir denn das Ganze zum Wohle der Menschheit nutzen?

Es ist eine Herausforderung für die gesamte Data-Driven Economy, die Vorzüge dieser Entwicklung klar zu kommunizieren. Kein Unternehmen sammelt Daten zum Selbstzweck. Es geht darum, das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen. Das geht nur, wenn Unternehmen ihren Kunden Transparenz und Kontrolle bieten, wie deren Daten eingesetzt werden. Eine internationale Befragung der Global Alliance of Data-Driven Marketing Associations (GDMA) hat gezeigt, dass 86 Prozent der Verbraucher mehr Transparenz von Unternehmen im Umgang mit ihren Daten fordern und 83 Prozent mehr Kontrolle darüber haben wollen, wem sie ihre Daten zu welchem Zeitpunkt geben. Nur so kann eine vertrauensvolle langfristige Kundenbeziehung entstehen.

Das Wichtigste ist und bleibt der Kundenfokus

Wir bewegen uns auf eine Ökonomie zu, die völlig anders ist als das, was wir gelernt haben und womit wir aufgewachsen sind. Unternehmen, der Staat und die Gesellschaft werden sich in den kommenden Jahren mit diesen Fragen beschäftigen müssen, um Antworten darauf zu finden. Das, was wir gelernt haben, ist nicht unbedingt das, was wir für die Zukunft fortschreiben können.

Der Wandel von der klassischen Ökonomie zur Data-Driven Economy hat gerade erst begonnen. Bei einem aber bin ich mir sicher: Der Schlüssel zum Erfolg liegt im bedingungslosen Fokus auf den Kunden und die Beziehung zu ihm. Daten, Vernetzung und künstliche Intelligenz sind Mittel zum Zweck und nur die Banken, die es schaffen, diese Werkzeuge zum Wohle ihrer Kunden einzusetzen, werden überleben. Es bleibt spannend!

Über den Autor

Martin Nitsche

Martin Nitsche ist Gründer und Geschäftsführer der Solveta GmbH und gilt als einer der führenden CRM- und Marketing-Experten Deutschlands. Darüber hinaus ist er Präsident des Deutschen Dialogmarketing Verbands DDV, Board-Mitglied der FEDMA und Chairman der Global Alliance of Data-Driven Marketing Associations. Er begann seine Berufslaufbahn nach einem Studium der Wirtschaftsinformatik 1994 in der Beratung und arbeite später bei der Deutschen Bank, in der Grey und der BBDO Gruppe bevor er Leiter Marketing Privat- und Geschäftskunden in der Commerzbank wurde. Er ist Dozent an verschiedenen Hochschulen und als Speaker und Autor aktiv.

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