Regionalbanken haben eine Zukunft – wenn sie aktiv gestaltet wird!

Anforderungen an die Genossenschaftsbank der Zukunft

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Für den Abgesang auf regionale Filialbanken ist es viel zu früh. Eine Transformation in zukunftsfähige Kreditinstitute ist möglich. Das Beispiel der Volks- und Raiffeisenbanken zeigt, was dafür getan werden muss.

Beratungsgespräch in einer Genossenschaftsbank

Typisches Beratungsgespräch in einer Genossenschaftsbank.

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Die noch rund 900 Volksbanken und Raiffeisenbanken in Deutschland stehen – angesichts der bekannten Megatrends sowie der Pathologie der Zinssituation – vor grundlegenden Veränderungen, denen mit graduellen Anpassungen nicht mehr lange erfolgreich begegnet werden kann.

Die zukünftige Volks-  und Raiffeisenbank muss in der Lage sein, deutlich höhere Komplexitätsgrade bei gleichzeitig höherer Anpassungsgeschwindigkeit zu bewältigen, als es bisher erforderlich war.

Anforderungen an eine Genossenschaftsbank der Zukunft

Folgende wesentlichen Anforderungen lassen sich aus den Trends, Werten und Prinzipien ableiten:

  • Die fortschreitende Digitalisierung führt zwar zu deutlich weniger Bankfilialen. Aber die Filiale behält einen Platz im Vertriebswegemix, da ein zumindest signifikanter Anteil älterer Menschen, aber nicht nur dieser, sie weiterhin präferiert.
  • Der bisherige sehr starke Fokus auf das klassische Kreditgeschäft und bestimmte Aspekte des Provisionsgeschäfts wird perspektivisch nicht mehr genügen.

Dazu kommt die Regulatorik, deren SREP-Geschäftsmodellanalyse zum Beispiel ein stark ausgeprägtes Kreditgeschäft nicht mehr zwingend als Stärke und Dienst an der Region sieht, sondern nüchtern-mathematisch auch durchaus als Klumpenrisiko beurteilt. Somit sind Geschäftsmodellerweiterungen zwingend erforderlich, bevor das klassische Geschäft für die Banken keine ausreichenden Erträge mehr generiert. Der Wettlauf gegen die Zeit hat begonnen.

Dezentralität und Regionalität als Genossenschaftsprinzip

Wenn das urgenossenschaftliche Prinzip der Dezentralität und Regionalität bestehen bleiben soll, dann wird es auch zukünftig ein Regionalprinzip und damit eine regionale Begrenzung des Geschäftsgebiets einer Primärgenossenschaft geben. Verliert die Bank den Bezug zu ihrer Region, verliert sie sich selbst. Der Verlust der Regionalität ist der Beginn der Konzernierung.

Somit verbleibt das Regionalbankprinzip sowohl als urgenossenschaftliches Prinzip wie auch als ökonomische Restriktion bestehen.

Während das bankfachliche Konzept einer Kreditgenossenschaft mit jedem weiteren Schritt der digitalen Transformation kopierbarer, also angreifbarer wird, gilt das nicht für deren genossenschaftlichen Kern. Es ist dieser aus dem genossenschaftlichen Wertegerüst bestehende Kern, der die Grundlage diverser Alleinstellungsmerkmale sein kann und muss.

Revitalisierung der Mitgliedschaft

Hierzu zählt insbesondere eine Revitalisierung der Mitgliedschaft. Gelingt dies, dann bedarf es nicht dessen, was andere Mitbewerber den Aufbau von Communities nennen – einer Gemeinschaft. Denn die Gemeinschaft der Eigentümer ist in Primärbanken schon längst vorhanden und ihr gehört die Bank vor Ort.

Während die Mitgliedschaft für die Genossen früher aus existenziellen Gründen notwendig war, muss sie heute als eine bessere Form der Sharing Economy und der zahlreichen, geradezu aus dem Boden sprießenden Communities, also als Teil der Ökonomie des 21. Jahrhunderts, erkannt und ausgestaltet werden. Hier ist die verbundeigene Variante des Crowdfunding ein gutes Beispiel.

Die Volksbank und Raiffeisenbank muss also Mehrwerte im Sinne der Mitgliederförderung „in jeder Welt“ bieten. Schafft sie das in der physischen Welt nicht mehr, ist sie nur eine weitere Internet-Community. Schafft sie es in der virtuellen Welt nicht, wird sie immer weiter schrumpfen.

„Modell 2023 – Primärbank der Zukunft“

Aus den Anforderungen kann nun im nächsten Schritt ein beispielhaftes Modell einer Primärbank der Zukunft abgeleitet werden. Sie weist folgende wesentliche Eigenschaften auf:

Netzwerk

Die Volksbank und Raiffeisenbank ist das zentrale Netzwerk in ihrer Region, sowohl in der physischen wie auch in der virtuellen Welt. Gäste der Region kommen mit ihr automatisch in Berührung.

Märkte

Die Genossenschaftsbank ist in bestimmtem Umfang in der Lage, auf Basis ihrer Alleinstellungsmerkmale und der Kernkompetenzen ihrer Mitarbeiter neue Produkte und damit neue Märkte zu erschaffen. Sie kann also ressourcenbasierte Strategieansätze oder diesen ähnliche Blue-Ocean-Strategien umsetzen. Ökonomische Konsequenz: Hier sind höhere Margen zu erzielen als in der aktuellen Situation, die sie typisch für gesättigte Märkte ist.

Kultur und Organisation

Die Volksbank und Raiffeisenbank wird über eine Unternehmenskultur und Organisationsformen verfügen, die im Einklang mit den modernsten Methoden der Organisationsentwicklung stehen und dennoch gleichzeitig auf genossenschaftlichen Werten beruhen. Modernste Organisationsformen in Verbindung mit ethischen Werten wie den genossenschaftlichen sind anziehend für die nachrückende Generation hoch qualifizierter Wissensarbeiter. Sie suchen Sinn.

Forschung und Entwicklung

Das genossenschaftliche Institut investiert wesentlich mehr in Forschung und Entwicklung als die durchschnittliche heutige Primärbank. Dabei fokussiert es sich jedoch konsequent auf seine Kernkompetenzen und Kunden – sowie die wesentlichen Steuerungsprozesse. Alle anderen Prozesse werden perspektivisch digitalisiert oder an Verbundpartner und andere Netzwerkpartner ausgelagert sein.

Die noch im Haus verbleibenden Prozesse aber werden ständig optimiert. Prozessoptimierung auf Basis voll digitalisierter Prozesse ist in dieser zukünftigen Bank eine Kernkompetenz.

Regionalität

Die Volksbank und Raiffeisenbank sieht sich als Teil eines regionalen Unternehmensnetzwerks gegenseitiger Unterstützung. Hierzu gehört auch die Kooperation mit FinTechs und anderen Startups, wenn es um Themen geht, die nicht die Kernkompetenz der Bank betreffen.

Die nächsten Schritte 2019 bis 2022

Die sich aus dem Zielbild ergebenden zentralen Handlungsfelder für die nächsten Jahre können nun retrograd aus dem Zukunftsentwurf abgeleitet werden:

Revitalisierung der Mitgliedschaft

Hierfür sind sowohl Offline- wie auch Onlinemaßnahmen erforderlich. Das verbundeigene „Digitale Netzwerk für Mitglieder“ (DNM) stellt hierbei einen zukunftsweisenden Ansatz dar, die digital affinen Mitglieder in einer Online-Community zu verbinden.

Restrukturierung der Filialnetze

Hierbei geht es um eine Beschränkung auf zukunftsfähige Standorte einerseits und deren Aufwertung zu gesuchten Orten der Begegnung andererseits. Die Filialen selbst sind nicht mehr Teil starrer Filialkonzepte, sondern Prototypen, die einige gemeinsame Kernelemente enthalten, aber ansonsten regional unterschiedlich sind. Sie werden von Kunden und Mitarbeitern mitentwickelt und sind auch danach keine statischen Objekte, die lediglich renoviert werden. Es geht somit um agile Filialentwicklung.

Aufbau virtueller Filialen

Virtuelle Filialen werden Teile des heutigen stationären Vertriebsmodells ersetzen. Sie haben aber nur dann eine Zukunft, wenn sie echte Profitcenter sind, also eigene Kundengruppen beraten und nachweislich damit ausreichende Erträge erwirtschaften.

Rigoroses Prozess- und Effizienzmanagement

Im VUCA-Umfeld (Volatilität/Unsicherheit/Komplexität/Ambiguität) ist Geschwindigkeit alles. Die Unternehmen müssen agil am Markt sein, immer schneller am Kunden sein. Das verlangt jedoch eine weit über dem heutigen Niveau liegende interne Geschwindigkeit sowie konsequente Automatisierung auf Basis eines einheitlichen Ansatzes (etwa LeanSixSigma) mit der obersten Priorität auf Geschwindigkeit am Kunden. Diese wird erreicht über agile, zunehmend hierarchiefreiere Strukturen einerseits. Und über deutlich beschleunigte, voll automatisierte kundenorientierte Prozesse andererseits.

Einführung agiler Methoden

Wesentliche agile Methoden wie Design Thinking, Scrum und Kanban-Boards, dienen dazu, den Kunden mit seinen tatsächlichen Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen (Design Thinking), Produkte schnell marktreif zu machen und dann immer wieder anzupassen (Scrum) und die Belegschaft zu aktivieren und ihr Wissen zu nutzen, um schneller zu agieren (beispielsweise mithilfe von Kanban-Boards).

Konsequente Ein- und Durchführung der „Genossenschaftlichen Beratung“

Die vom BVR entwickelte „Genossenschaftliche Beratung“ verbindet eine verantwortungsvolle Beratung mit modernen Prozessüberlegungen und ist ein Eckpfeiler der zukünftigen Kreditgenossenschaft.

Produkte

Entwicklung neuer Produkte auf Basis einer professionellen Konsumforschung in Verbindung mit der Ermittlung tatsächlicher Kundenbedürfnisse mittels geeigneter Methoden.

Kooperationen

Start oder Ausweitung von Kooperationen mit Startups, die vor allem bei nicht-Kernprozessen zum Einsatz kommen können.

Fazit: Als bessere Banken positionieren

Regionalbanken, die ihr Filialnetz strategisch anpassen, moderne Prinzipien der Organisationsentwicklung angemessen beachten und gestalten, anstatt zu kapitulieren, werden überleben. Volksbanken und Raiffeisenbanken können damit unverändert wirtschaftlich starke Gestalter und zentrale Netzwerke ihrer Regionen sein.

Über den Autor

Dr. Ralf Kölbach

Dr. Ralf Kölbach ist Mitglied des Vorstandes der Westerwald Bank eG, Volks- und Raiffeisenbank. Der gelernte Bankkaufmann wurde in Volkswirtschaftslehre diplomiert und promoviert. Er verantwortet aktuell das gesamte Privatkundengeschäft sowie den Bereich Marketing & Digitalisierung. Sein Interesse gilt insbesondere auch der kulturellen und führungstechnischen Bewältigung der digitalen Transformation.

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