Verhindert die Digitalisierung Up- und Cross-Selling?

Kunden-Touchpoints im Zeichen der Automatisierung

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In vielen Projekten beklagen sich Kundenberater über schwindende Kunden-Touchpoints durch die Automatisierung von Services. Doch ist die Digitalisierung wirklich das Ende proaktiver Verkaufsaktivitäten des Kundenberaters?

Die fortschreitende Digitalisierung verändert die Bankberatung

Mit der fortschreitenden Digitalisierung verändern sich die Kontaktpunkte zum Kunden.

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Berg Lund & Company ist Partner des Bank Blogs

Der Mensch bewegt sich gerne im gewohnten Umfeld. Für den Kundenberater heisst dies: er hat einen Beratungstermin mit einem Kunden zur Finanzierung des ersten Eigenheims und fragt ihn dabei fast schon automatisch nach der Vorsorgesituation. Dies ist die gewohnte Art des täglichen Geschäfts, mit der er seine bonusrelevanten Jahresziele zuverlässig erreicht. So war er bisher erfolgreich.

Diese Vorgehensweise wird in Digitalisierungsprojekten hinterfragt und die zugrundeliegenden Prozesse automatisiert. Viele Kundenberater verunsichert diese Aussicht. Von „Wie soll ich den Kunden denn überhaupt noch kontaktieren?“ über „Wie soll ich denn so noch meine Ziele erreichen?“ bis „Ja, braucht es den Berater dann gar nicht mehr?“ werde ich darum in Projekten gefragt.

Die digitale Beratung

In einem digitalisierten Bankenumfeld kann der Kunde 24/7 über eine Smartphone-App oder Web-Plattform weltweit auf die gewünschten Bank-Dienstleistungen zugreifen oder sie zumindest in Auftrag geben. Hochgradig intuitive, speditive und stringent auf das jeweilige Kundenbedürfnis ausgerichtete Funktionalitäten erlauben es dem Kunden, die nötigen Schritte effizient und effektiv abzuwickeln und so schnell, zeit- und ortunabhängig zum gewünschten Resultat zu kommen.

Ich entsperre meine Karte auf der Smartphone-App, eine abgelaufene Baufinanzierung verlängere ich in Ruhe zu Hause am PC, ein Bot auf der Homepage meiner Bank führt mich auf die richtige Seite, oder verweist mich an den richtigen Berater.

In klassischen Modellen wurden all diese Dienstleistungen durch Berater persönlich erbracht. Daraus resultierende Touchpoints wurden stets als Up- und Cross-Selling-Plattformen genutzt. Fallen durch die Digitalisierung also sämtliche Touchpoints weg?

Ein Wegfall zwischenmenschlicher Kontakte?

Eine häufige Angst von Front-Vertretern der Finanzbranche setzt sich mit der Digitalisierung von Dienstleistungen am Kunden auseinander. Dabei wird befürchtet, deren Automatisierung nehme der Front die unverfängliche Möglichkeit, bezüglich eines Ereignisses (z.B. Erreichung der Volljährigkeit oder Ablauf einer Festhypothek) mit dem Kunden in Kontakt zu treten und dies als Sales-Plattform zu nutzen.

Heute kontaktiert der Kundenberater persönlich alle seine Kunden, die seit mehr als sechs Monaten ihre Debitkarte nicht mehr benutzt haben und verkauft ihnen bei dieser Gelegenheit gleich noch zusätzlich ein Vorsorgekonto. Mit anderen Worten: Er setzt Aufgaben als Türöffner für Up- und Cross-Selling ein. Mit diesem nützlichen Türöffner erreicht ein versierter Kundenberater seine Zielvorgaben oft mit Leichtigkeit.

Die Bearbeitung dieser repetitiven Aufgaben blieb in vielen Banken (und auch anderen Branchen) darum wohl nicht nur primär sondern vermehrt ausschliesslich – auch über mehrere Reorganisationen hinweg – in der Verantwortung des Front-Office. Erhebliche Effizienzpotenziale werden absichtlich nicht genutzt, um allfällige Verkaufsopportunitäten nicht zu gefährden.

Mich hat diese Argumentation nie überzeugt. Es werden hier zwei Themen vermischt, die es getrennt zu Betrachten gilt: Eben die Effizienzsteigerung in Prozessen einerseits; grössere Sales-Erfolge durch die Nutzung von Touchpoints andererseits. Ignorieren wir dabei die Diskussion, ob ein Front-Mitarbeiter einer Bank dazu in der Lage sein müsste, solch eine Möglichkeit ohne explizites Ereignis selbständig herbeizuführen.

Effizienzsteigerung durch Automatisierung einerseits…

Dass sich die Automatisierung der Bearbeitung der meisten repetitiven Aufgaben mit hohen Mengengerüsten positiv auf die Performance des End-To-End-Prozesses (E2E-Prozess) auswirkt, ist wohl unbestritten. Zumal die angesprochenen repetitiven Aufgaben von Front-Mitarbeitern primär zur Nutzung als Touchpoints angesehen wurden, wurden diese oft nur sehr halbherzig bearbeitet.

Dies wurde in vielen Projekten durch die Mitarbeiter des Mid- und Backoffice bemängelt. Als Resultat waren jeweils auch die nachfolgenden Aufgaben zur Sicherung der Datenqualität unverhältnismässig aufwendig. Diese Situation wurde in Projekten naheliegenderweise als Argument ins Feld geführt, solche Aufgaben zu automatisieren oder zumindest zu zentralisieren.

… Touchpoints andererseits

Demgegenüber stand die Angst der meisten Finanzinstitute ihrer Sales-Force die persönliche, eventgetriebene Plattform zu nehmen, um Kundenkontakte herzustellen. Die Digitalisierung und die Automatisierung bewirken in vielen Projekten somit den Wegfall von bestehenden und viel genutzten Touchpoints. Verlängerungen von Hypotheken, Einfordern von Dokumenten, Einholen von Informationen, die Erreichung der Volljährigkeit und weitere Prozess-, Produkt- oder Lifecycle-Ereignisse gehören zu diesen Touchpoints. Und sie gehören eben zu jenen Prozessen, die in Projekten zur Prozess-Optimierung und Digitalisierung automatisiert wurden und nur noch in Ausnahmefällen einer menschlichen Intervention oder einer Kontaktaufnahme zum Kunden bedürfen.

Durch Prozess-Optimierungen und die Digitalisierung werden zum Beispiel Hypothekenverlängerungen nicht mehr dem Kundenberater gemeldet. Stattdessen werden dem Kunden auf einer Kundenplattform die nötigen Informationen benutzergerecht aufbereitet. Basierend auf internen und externen (Compliance-) Vorgaben werden mögliche Hypothekarmodelle berechnet und jene mit der grössten Verkaufswahrscheinlichkeit dem Kunden zur Auswahl angeboten. Benötigte Dokumente und Informationen werden bereits im Prozess digital eingefordert oder können über Kundenportale nachgereicht werden. Lifecycle-Ereignisse werden antizipiert und automatisiert oder über Kunden-Self-Services vom Kunden selbständig bearbeitet.

Unterschiede der Digitalisierung

Würde die Digitalisierung hier aufhören, so wäre die Angst der Kundenberater wohl begründet. Aber eine voll-integrierte Systemlandschaft, Prozess-Optimierungen und Automatisierungen sind eben nur der Anfang der Digitalisierung, sie kann noch viel weiter gehen. Im englischen Sprachgebrauch wird dieser Unterschied durch die zwei Begriffe „digitization“ und „digitalization“ (auf Deutsch zu Übersetzen mit „Digitisierung“ und „Digitalisierung“) unterschieden:

  • digitization is creating a digital (…) version of analog/physical things (…) [by]converting and/or representing something non-digital (…) into a digital format (…)
  • digitalization most often refers to enabling, improving and/or transforming business operations and/or business functions and/or business models/processes and/or activities, by leveraging digital technologies (…). It requires digitization of information but it means more and at the very center of it is data.”

Neue Touchpoints durch neue Technologien

Bei der Analyse der Prozesse und der Berücksichtigung des Potenzials der neuen Technologien stoße ich in innovativen Projekten immer wieder auf neue Touchpoints, die sich durch den Einsatz neuer Technologien ergeben. Über ein Up- und Cross-Selling-Widget auf einem Berater-Dashboard lassen sich diese darstellen und orchestrieren.

In einem Projekt haben wir Prozesse spezifiziert, in welchen der Kundenberater über ungenutzte Kundenprodukte informiert, wenn der Kunde also gewisse freigeschaltete Produkte (z.B. Kreditkarten oder e-Banking-Verträge) nach einer gewissen Frist noch nie eingesetzt hatte. Zu diesem Zeitpunkt kann der Kundenberater mit ihm Kontakt aufnehmen und den Kunden (auf Wunsch in einem geführten Prozess) zum ersten Einsatz des Produkts begleiten. Dieser geführte Prozess wiederum enthält Hinweise auf Up- und Cross-Selling-Opportunitäten (wie Zusatzprodukte, Upgrades zu höheren Dienstleistungslevels oder zum Kundenprofil passende Produkte), die der Kundenberater im passenden Moment anpassen kann. So konnten wir einerseits die Conversion-Rate erhöhen, andererseits eben mehrere neue Touchpoints schaffen.

In einem anderen Projekt wurde vorgesehen, dass den Kundenberater die Vorsorgeberatung als integralen Bestandteil der Finanzierungsberatung einsetzte. Natürlich nicht eine umfassende Vorsorgeberatung, vielmehr wurden direkt im Prozess Themen aufgegriffen und dazu die richtigen Lösungen vorgeschlagen. Diese passen jeweils zum beratenen Kunden, der bisher gewählten Finanzierungslösung, persistierten Prozessinformationen, und weiteren Faktoren. So konnte den Kundenberater ihrem Kunden nicht nur höhere Finanzierungen anbieten, sondern haben nebenbei auch noch Vorsorgeprodukte verkaufen.

Verbindung von Daten ermöglicht Einsichten ins Kundenverhalten

Durch die neue Verbindung von Daten unterschiedlicher Systeme konnten Einsichten ins Kundenverhalten gewonnen werden. Das Produkt- und das Kampagnen-Management nutze diese, um direkt Einfluss zu nehmen auf die Priorisierung von Produktplatzierungen im Up- und Cross-Selling. Damit bekamen den Kundenberatern zielgenaue und individualisierte Vertriebspotenziale aufgezeigt. Diese konnten sie im direkten Gespräch mit dem Kunden anwenden.

In diesen Beispielen zeigt sich die oben eingeführte Unterscheidung zwischen der Digitisierung und der Digitalisierung. Erstere schafft mittels integrierter Systemlandschaften, digitalen Dokumenten, End2End-Datenpersistierung, (Big-)Data-Analytics, Machine Learning und weiteren Technologien neue Voraussetzungen. Diese können in der Folge von Banken dazu genutzt werden, innovative neue Business-Solutions oder gar Business-Models zu schaffen. In den obenstehenden Beispielen haben wir die Digitalisierung unter anderem dazu genutzt neue Touchpoints schaffen. Oft sind diese neuen Touchpoints viel kontextgebundener und wirken dadurch auf den Kunden oft auch unaufdringlicher.

Die Automatisierung von Up- und Cross-Selling

Ein Punkt soll hier nur kurz beleuchtet werden. Die Digitisierung schafft nebenbei auch die Grundlage für eine Automatisierung von Up- und Cross-Selling-Prozessen. Die Systemübergreifende Persistierung von Daten erlaubt tiefere Einblicke in Kundenverhalten und innovative Analysemethoden erlauben Vorhersagen, die es Banken ermöglichen, Kundenverhalten zu antizipieren. An der richtigen Stelle platziert können so automatisiert die zum Kunden passenden Produkte vorgeschlagen werden.

Die Digitalisierung von Touchpoints

Meine Projekterfahrung hat gezeigt, dass es Sinn macht, die Fragen von Touchpoints und Prozessoptimierungen getrennt zu analysieren, aber gemeinsam zu lösen. Viele Projekte im Umfeld von Geschäftsprozessen bergen das Risiko, dass einige Touchpoints verschwinden. Diese können aber durch neue digitalisierte Touchpoints ersetzt werden. Die daraus resultierenden Sales-Opportunities sind oft kontextgebundenener und können nahtlos in andere Prozesse (z.B. Informationsaustausch oder Beratung) integriert werden. Dadurch wirken die Sales-Bestrebungen der Bank für den Kunden unaufdringlicher. Des Weiteren bietet die Digitisierung auch das Potenzial, Up- und Cross-Selling-Prozesse teilweise zu automatisieren.

Die Aussage, die Digitalisierung eliminiere Touchpoints und erschwere so die Verkaufsbestrebungen der Kundenberater, deckt sich also nicht mit meiner Erfahrung. Jedoch zeigte sich, dass sich die Rollen verändern. Dadurch muss sich nicht nur die Bank in ihren Prozessen und Organisation anpassen, sondern auch die Mitarbeiter in ihrem Rollenverständnis.

Über den Autor

Philipp Buck

Philipp Buck ist Senior Consultant bei der Soranus AG in Zürich. Der eidg. dipl. ICT-Manager verfügt über mehr als 15 Jahre Berufserfahrung im Banken- und Beratungsumfeld. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Disziplinen Agilität, Digitalisierung und Kundenberatung mit den bankfachlichen Stärken Finanzierung, Banksteuerung, Pricing und Zahlungsverkehr. Er moderiert die XING-Gruppe „Banken und FinTechs“, die als Plattform für den Austausch zwischen Banken und FinTechs, die Erweiterung von Value Chain Networks und als ThinkTank zur Digitalisierung der Finanzbranche dient.

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