Wie das Beispiel einer Förderbank zur Realisierung eines Internetportals zeigt, müssen vor der Entscheidung für oder gegen eine Standard- bzw. Individualsoftware möglichst alle Bedürfnisse erkannt und erfasst werden.
Förderbanken rüsten im Zuge der Digitalisierung auf, um für ihre Kunden interessant zu bleiben: Sie investieren in den Aufbau digitaler Kanäle und bieten umfangreiche Online-Services von der komfortablen Förderberatung bis hin zur elektronischen Abwicklung des gesamten Lebenszyklus von Förderanträgen an.
Bei neuen Online-Services wie beispielsweise einem Internetportal für Kunden, spricht vieles dafür, sich für ein fertiges Softwareprodukt zu entscheiden. Nicht nur schöne Benutzeroberflächen, sondern auch diverse Funktionalitäten und kalkulierbare Kosten wirken schnell überzeugend. Doch dieser Ansatz greift oftmals zu kurz. Die folgenden drei „Stolperfallen“ zeigen, dass gerade in der frühen Phase wichtige und notwendige Entscheidungen nicht aufgeschoben werden dürfen:
- Duplizierte Prozesse.
- Fehlendes Nutzererlebnis.
- Überschätzte Absicherungsmaßnahmen.
Stolperfalle 1: Duplizierte Prozesse – Der offensichtliche Weg ist nicht unbedingt der Beste.
Es scheint auf den ersten Blick verlockend, bestehende analoge Prozesse in einer Eins-zu-eins-Umsetzung zu erfassen und die Abbildung im Internetportal danach zu strukturieren. Zusammen mit den durchzuführenden Aktivitäten müssen insbesondere Formulare, Unterlagen, Nachweise u. ä. übertragen werden. Bei der 1:1-Übernahme solcher Elemente in ein Kundenportal besteht das Risiko, dass technologische Möglichkeiten ungenutzt bleiben. Die Folge ist dann – trotz aktueller Technologie – ein schlechteres Ergebnis als in den ursprünglichen analogen Prozessen. Folgende Aspekte verdeutlichen das Potenzial von Portalen, wenn sie sich nicht an einem analogen Prozess orientieren:
Der große Vorteil in einer geführten digitalen Informationsaufnahme im Gegensatz zur Erfassung durch Papierformulare besteht in der Option, auf Eingaben des Kunden zu reagieren sowie ihn über Fehler und erweiterte Fördermöglichkeiten zu informieren. So müssen nicht mehr sämtliche Konstellationen abgebildet werden (etwa in den Formularen über optionale Bereiche) und der Kunde muss sich nicht durch umfangreiche und unübersichtliche Anträge quälen. Das gesamte Vorgehen wird verschlankt.
Ziel eines Internetportals sollte es sein, dem Kunden Arbeit abzunehmen. Dies gelingt, wenn der Aufwand für die Datenerfassung möglichst gering gehalten wird. In vielen Förderanträgen sind umfangreiche Angaben, die auch über öffentliche Verzeichnisse zugänglich sind (etwa Adress-Register), und bestimmte Schlüssel (etwa für Branchen) erforderlich. Hier ist es hilfreich, wenn der Kunde mit seinem aktuellen Kenntnisstand über zeitgemäße Suchtechnologien wie „type ahead“ suchen kann. Das Ausfüllen von abhängigen Feldern übernimmt das System. Die Arbeitsersparnis kann zudem dadurch noch erhöht werden, wenn dem Institut bereits bekannte Daten des Kunden (Name, Adresse, Rechtsform etc.) vorausgefüllt sind und nicht mehr manuell eingetragen werden müssen.
Die konsequente Umsetzung der digitalen Prozesse ist entscheidend für den Erfolg eines Internetportals. Oder anders ausgedrückt: Wenn zusätzlich zum Onlineantrag noch Papierdokumente eingereicht werden müssen, sinkt der Kundennutzen extrem. Dies ist nur im Einzelfall und nur bei zwingend nötigen Angaben sinnvoll (analog z. B. nur die unterschriebene Einsendung einer komprimierten Zusammenfassung wie im ELSTER-Verfahren), etwa um rechtliche Vorgaben zu erfüllen. In jedem Fall sollte auf Elemente, die ausschließlich der Qualitätssicherung in analogen Prozessen dienen (z. B. ein Feld mit der wiederholten Angabe eines Betrags in Buchstaben), verzichtet werden.
Stolperfalle 2: Fehlendes Nutzererlebnis – Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.
Durch Internetportale treten Förderunternehmen in direkten Kontakt mit Kunden und Partnern. Ein wesentlicher Mehrwert eines solchen Portals ist das Verlagern von Erfassungsaufwänden zum Kunden. Obwohl also ein Interesse daran besteht, die Online-Antragsstellung zu forcieren, wird das entsprechende Tool häufig stiefmütterlich behandelt. Dabei darf das Nutzererlebnis nicht übergangen werden, da in Zeiten niedriger Zinsen Kunden nicht mehr unbedingt auf Förderkredite angewiesen sind. Ansprechende Oberflächen sind wichtig und möglicherweise ein entscheidendes Merkmal gegenüber Wettbewerbern, um die Kunden zu gewinnen.
- Erstens riskieren die Förderbanken langfristig, dass potentielle Kunden wegen unverständlicher oder zu aufwändiger Beantragungsprozesse in einem Portal auf Produkte am freien Markt ausweichen oder ganz auf eine Förderung verzichten. Dieses Risiko nimmt noch zu, je weiter die Usability eines Förderportals vom Look & Feel und dem Komfort des Marktdurchschnitts abweicht.
- Zweitens setzen sie aufs Spiel, dass das Portal überhaupt genutzt wird. In vielen Förderbereichen steht es dem Kunden aktuell noch frei, Papieranträge einzureichen, die gleichberechtigt mit elektronischen Anträgen bearbeitet werden. Die Vorteile eines Kundenportals können sich so u. U. langfristig nicht durchsetzen.
- Ein dritter Aspekt betrifft die negative Außenwirkung. Die Investitionsbereitschaft der Förderbanken spielt für Kunden keine Rolle, ein Vergleich erfolgt implizit immer gegen den aktuellen Stand der Technik. Ein offensichtlich veraltetes Look & Feel oder fehlende Standardfunktionalitäten können daher sehr schnell zu negativem Feedback führen, welches dann über die Presse oder Funktionsträger in Politik und Verwaltung die Förderbanken z. T. an höchster Stelle erreichen.
Vor dem Hintergrund genannter Punkte empfiehlt sich, im Rahmen der Konzeption für ein Internetportal das Nutzungserlebnis des Kunden in den Vordergrund, mindestens aber auf die gleiche Stufe wie die Anforderungen der fördergebenden Fachbereiche zu stellen.
Stolperfalle 3: Überschätzte Absicherungsmaßnahmen – Sicher! Sicher. Sicher?
Kein Förderinstitut möchte unsichere Software einsetzen. Schon gar nicht, wenn hierüber sensible persönliche Daten erfasst werden. Für Portalsysteme müssen laut Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Schutzbedarfskategorien für die Kategorien „Verfügbarkeit“, „Vertraulichkeit“ und „Integrität“ festgelegt werden. Diese haben gravierende Auswirkungen auf die notwendigen technischen Absicherungsmaßnahmen. Eine realistische und kritische Bewertung zu Beginn des Projekts ist sinnvoll, denn eine Einstufung sollte weder leichtfertig noch pauschal mit „sehr hoch“ erfolgen.
Einzuschätzen bleibt stets das Ausmaß des Schadens. Für ein Web-Portal einer Förderbank ist eine Verfügbarkeit von 8 bis 22 Uhr beispielsweise meist ausreichend und ein sporadischer Ausfall nicht dramatisch. Für Firmen, deren gesamtes Geschäftsmodell von der Verfügbarkeit des Portals abhängt (z. B. Google oder Amazon) ist dagegen eine sehr hohe Verfügbarkeit Pflicht. Dies bedingt z. B. den Aufbau weltweiter Servercluster, Deployment-Prozesse ohne Downtime etc.
Auch in puncto Vertraulichkeit gilt es gut abzuwägen, denn natürlich darf kein Kunde auf die Daten eines anderen Kunden zugreifen. Das ist jedoch bereits im „Normal“-Level abgedeckt. In höheren Schutzkategorien kann es dann notwendig werden, dass auch Administratoren keinen Zugang auf Daten (etwa in der Datenbank) haben.
Ebenfalls ausreichend ist das „Normal“-Level in der Kategorie „Integrität“, da hier alle Grundbedürfnisse eines Internetportals abgedeckt sind. Bei höheren Anforderungen müssen jegliche gespeicherten Daten etwa durch signierte Prüfsummen und alle Datenströme, die das System verlassen, gegen Manipulation gesichert werden.
Fazit oder Sturzprophylaxe
Um keinen Sturz zu riskieren, sollte man nicht stolpern. Um Stolperfallen aus dem Weg zu räumen, müssen vor der Entscheidung für oder gegen eine Standard- bzw. Individualsoftware möglichst alle Bedürfnisse erkannt und erfasst werden. Die Komplexität ist hierbei nicht zu unterschätzen.
Für den konkreten Fall einer Portallösung heißt das, nicht nur offensichtliche Auswahlkriterien, sondern alle entscheidungsrelevanten Faktoren einzubeziehen. Die drei erläuterten Stolperfallen vermitteln hierzu einen ersten Eindruck. Weitere zu berücksichtigende Aspekte wären etwa die Frage nach einer elektronischen Identifikation (z. B. über einen elektronischen Personalausweis oder einen Video-Identifikationsdienst) und Autorisierung (z. B. über digitale Signaturen). Für die erfolgreiche Gestaltung eines Onlineportals bleibt also zu empfehlen, keine vorschnelle Entscheidung zu treffen, d. h. keine Software zu wählen, die sich letztlich als aufwändig (und teuer) in der Anpassung oder schlimmstenfalls als gänzlich ungeeignet entpuppt.
Björn Kibbel ist Koautor des Beitrags. Er ist Manager Development und Integration Services bei der innobis AG und analysiert bankfachliche Geschäftsprozesse und die damit verbundenen Anforderungen an die IT-/SAP-Landschaft und übernimmt die Architekturberatung bei Banken. Der studierte Diplom-Physiker ist ein erfahrener Projektleiter.