An vielen Ladenkassen liest man derzeit „Bitte kontaktlos bezahlen!“ Auch für Banken und Bezahlsysteme bedeutet die Corona-Krise große Veränderungen – nicht nur kurzfristig, wo sie uns alle ins Homeoffice zwingt, sondern auch mittel- und langfristig.
Kurzfristig führt die Corona-Pandemie dazu, dass auch Menschen, die kontaktlosen, elektronischen Bezahlsystemen bislang mit Misstrauen begegneten, sich nun mehr vor einer Ansteckung fürchten als vor einer nicht ganz durchschaubaren neuen Technologie. Sie folgen den Empfehlungen der WHO und greifen beherzt zur Karte oder gar zur elektronischen Wallet.
Die Abhebungen am Bankautomaten nehmen ab, genauso wie die Zahl der Transaktionen am Point of Sales. Dafür legt der E-Commerce in einigen Bereichen zu. Beispielsweise werden mehr digitale Abos wie Netflix gekauft und Warenlieferungen an die Haustür gebucht.
Scheine und Münzen sind plötzlich pfui!
Viele Banken reagieren auf den Trend weg vom Bargeld. Aus Hygienegründen haben sie die Kartenlimits für touch-and-go-Verfahren von bislang 25 Euro auf 50 Euro erhöht, damit die Eingabe von PINs am Terminal weniger oft erfolgen muss. Noch sauberer sind elektronische Wallets – also Bezahlverfahren mit CDCVM (Consumer Device Cardholder Validation Method) über das Smartphone. Die sind zudem sicherer – und nicht nur in medizinischer Hinsicht: Hier wird die Identität des Kunden mit biometrischen Methoden geprüft.
Apple Pay zum Beispiel nutzt Face-ID und Touch-ID um den Kunden am Gerät zu authentisieren. Nach erfolgreicher Authentisierung kann mit einem Tap die Bezahlung bestätigt werden. Dazu wird „Near Field Communication”, kurz NFC, eingesetzt. Auch das Verwenden von QR-Codes beim Bezahlen, wie zum Beispiel von Payback Pay oder Bluecode genutzt, ist vollkommen hygienisch, da das Terminal nicht berührt werden muss.
Anstieg der bargeldlosen Transaktionen
Aber nicht nur große, internationale Anbieter wie Apple Pay profitieren von der Virusepidemie, sondern auch lokale Systeme. In Deutschland registrieren beispielsweise die Volksbanken einen Anstieg der Transaktionen mit der Girocard. In der Schweiz meldet das mobile Bezahlsystem Twint einen Zuwachs von 7000 Nutzern am Tag.
Zudem werden voll digitalisierte Prozesse noch wichtiger, wie das Beispiel N26 zeigt. Die Neo-Bank aus Berlin bietet ihren Kunden jetzt ein neues Feature: Sie können nun direkt nach Kontoeröffnung und dem ersten Geldeingang ihrer neuen N26-Kreditkarte einen Zugang zu Apple oder Google Pay hinzufügen. Bislang dauerte das mehrere Tage: Bis nämlich eine physische Karte per Post zugestellt worden war.
Der Wille ist da, doch die Mittel fehlen
Mittelfristig wird die Payment-Branche aus den Folgen der Viruskrise lernen und den Fokus noch mehr als bisher auf einfache Authentisierung setzen, auf voll digitale Prozesse und auf die bequeme Abwicklung von E-Commerce-Zahlvorgängen. Das wird jedoch nicht ganz einfach.
Die Reisetätigkeit der allermeisten Kunden läuft gegen Null und so nehmen auch die grenzüberschreitenden Bezahlvorgänge ab, die wegen der Gebühren für Währungskonversionen bislang eine gute Umsatzquelle für die Payment-Branche waren. Diese Umsätze fehlen nun und das Loch in der Kasse wird zu einer gewissen Zurückhaltung bei den Investitionen führen. Neue technologische Entwicklungen werden aufgeschoben, wie alles andere auch, was keine kurzfristige Investitionsrendite verspricht.
Umsetzung von PSD2 bis Ende 2020?
Offen ist auch die Frage der vollständigen Umsetzung von PSD2 bis Ende 2020. Viele Händler mussten ihre Ladengeschäfte schließen und sehen sich mit massiven Umsatzeinbußen konfrontiert. Ob es gelingen wird, bis zum Jahresende tatsächlich bei allen Händlern, Kartenanbietern und Payment Service Providers die Strong Customer Authentication, kurz SCA, umzusetzen, bleibt vor diesem Hintergrund fraglich. Möglich erscheint daher eine weitere Verschiebung des Endtermins der PSD2-Verwirklichung nach hinten, die Zulässigkeit von bestimmten Ausnahmen – oder zumindest ein Erlass der Strafgebühren für Nachzügler.
Zudem wird sich die Authentifizierung des Kunden beim Bezahlvorgang mittelfristig vom Kartenanbieter weg und hin zum Händler verschieben. Besonders im E-Commerce werden Kunden künftig lieber dort einkaufen, wo ihre Identifikation einfach, schnell und sicher abläuft – ohne die derzeit oft noch übliche Schleife über eine Bank. Das Stichwort dazu heißt „Delegated Authentication“.
Das Filialsterben wird sich noch beschleunigen
Langfristig werden sich die großen Spieler im Markt – neudeutsch die GAFAs, also Google, Apple, Facebook, Amazon und Co. – durchsetzen: Sie haben den langen Atem und die tiefen Taschen. Es wird auf die Regulierungsbehörden ankommen, will man die kleineren, lokalen Anbieter schützen und erhalten.
Banken werden die bereits begonnenen Digitalisierungsprozesse vollständig umsetzen müssen. Für viele Prozesse, insbesondere im Neukundengeschäft, ist immer noch ein Besuch in der Bankfiliale nötig. Eine Erfahrung wie die Corona-Pandemie hat auch wenig technikaffinen Menschen den Segen von kontaktlosem Bezahlen, digitalen Signaturen und Online-Banking verdeutlicht. Diese Erkenntnisse werden bleiben und den Druck auf eine weitere Digitalisierung der Finanzindustrie erhöhen.
In Folge werden sich die Banken weiter aus der Fläche und damit aus der Präsenz zurückziehen, die Filialnetze werden immer dünner. Die Coronavirus-Pandemie sorgt einer Studie zufolge dafür, dass dieser Trend noch an Geschwindigkeit zulegt: Laut der Beratungsgesellschaft Investors Marketing dürften „Corona-bedingt“ bis 2025 alleine in Deutschland weitere 3500 Bankfilialen wegfallen. Die Anzahl der Zweigstellen würde demnach um 10.700 auf ungefähr 16.000 fallen.
Psychologie des Bezahlens
Bezahlen ist nicht nur ein technischer Vorgang, sondern auch ein psychologischer. Die Angst vor dem Corona-Virus sorgt daher dafür, dass sich bestehende Trends noch beschleunigen: Weg vom Bargeld, weg von der Bankfiliale, raus aus den Ladengeschäften, hin zum elektronischem Payment, mobilen Bezahlverfahren und zum E-Commerce. Je schneller die Geldhäuser das begreifen und die Digitalisierung vollends umsetzen, desto besser für alle Beteiligten.