Wer schreibt heute noch Briefe? Die Kommunikation über Social Media hat einen Großteil unserer zwischenmenschlichen Interaktionen übernommen. Doch es gibt sie noch, die intensiven Briefwechsel zwischen einer Bank und ihrem Kunden.
Es ist richtig entspannend, sich hinzusetzen und in aller Ruhe – oder manchmal auch der Emotion entsprechend heißblütig – seinen Gefühlen Raum zu geben und die entsprechenden Worte zu Papier oder auf die Festplatte zu bannen, um sie dann pointiert dem Adressaten zukommen zu lassen.
Die Korrespondenz mit meiner Hausbank nimmt einen besonderen Platz in meinem Herzen ein, da ich mich – den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte geschuldet – immer mehr als gleichwertiger Partner denn als Bittsteller gegenüber meinem Kreditinstitut sehe. Es wird nun Zeit, dies auch meiner Bank mitzuteilen!
Michel Lemont an seine Hausbank, 10. Januar 2020
Sehr geehrte Damen und Herren!
Vielen Dank für Ihr Informationsschreiben vom 4. Januar! Es freut mich sehr, dass Sie mir den Kontoauszug meines Wertpapierdepots haben zukommen lassen! Leider haben sich zwischen meinen Belegen auch die Auszüge eines weiteren Kunden befunden, der mir allerdings nicht persönlich bekannt ist. Bitte teilen Sie mir mit, wie ich mit den Unterlagen verfahren soll, ich nehme an, der richtige Empfänger wartet sehnsüchtig auf diese Informationen.
Mit freundlichen Grüßen
Michel Lemont
PS: das – zugegebenermaßen nicht alltägliche „Michel“ ist in meinem Fall ein männlicher Vorname. Ich bitte, dies in Ihren Stammdaten zu korrigieren.
Hausbank an Michel Lemont, 4. Februar 2020
Sehr geehrte Frau Lemont,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben. Gerne bestätigen wir hiermit Ihren Kontostand und schätzen uns glücklich, eine so bekannte Sängerin zu unseren Kunden zählen zu dürfen. Was die Kontoauszüge anbelangt, sind wir sicher, keinen Fehler gemacht zu haben, sodass es sich möglicherweise um ein Versehen Ihrerseits handeln muss.
Freundliche Grüße
Ihre Hausbank
Michel Lemont an seine Hausbank, 10. April 2020
Sehr geehrte Damen und Herren!
Mich hat soeben Ihr Schreiben betreffend alternativer Veranlagungsmöglichkeiten erreicht! Ich möchte mich auf diesem Weg bei Ihnen bedanken, wenngleich ich den einen oder anderen Vorschlag als ernsthafte Anlagemöglichkeit sagen wir – tollkühn finde. Mir sind die Vorteile von täglich fälligen (auch von zeitlich gebundenen) Sparkonten wohl bewusst, als Altersvorsorge sehe ich diese allerdings als ungeeignet.
Hochachtungsvoll
Michel Lemont
PS: nach wie vor ist „Michel“ in meinem Fall ein männlicher Vorname und ich ersuche Sie, dies in Ihrer Stammdatenanlage zu berücksichtigen!
Hausbank an Michel Lemont, 15. Mai 2020
Sehr geehrte/r Herr/Frau Lemont,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben. Gerne bestätigen wir hiermit Ihren Kontostand und schätzen uns glücklich, auch diverse Personen zu unseren Kunden zählen zu dürfen. Wie von Ihnen brieflich gewünscht, haben wir ein unverzinstes Sparbuch für Ihre Pensionsvorsorge eröffnet. Mit der monatlichen Ansparsumme von 200 Euro (geringere Beträge machen wenig Sinn) belasten wir Ihr Girokonto bei uns.
Freundliche Grüße
Ihre Hausbank
Michel Lemont an seine Hausbank, 20. Juli 2020
Sehr geehrte Damen und Herren!
Eigentlich wollte ich auf Ihre Kundeninformation betreffend bargeldlosem Zahlen nicht eingehen. In Zeiten von Corona ist es nur selbstverständlich, auf „cashless“ Payments zu setzen. Ich selbst benutze für meine Zahlungen hauptsächlich meine Debit- und Kreditkarten, wie Sie aus ihren Zahlungsstromanalysen ersehen könnten, wenn Sie einen Blick hineinwerfen würden.
Hochachtungsvoll
Michel Lemont
PS: ich fordere Sie auf, mich in Ihren Stammdaten richtig anzulegen. Bitte einfach die Auswahl „Herr“ markieren, dann sollte es schon funktionieren!
Hausbank an Michel Lemont, 11. August 2020
Sehr geehrt*Wildcard Lemont!
Wir haben uns über Dein Schreiben sehr gefreut und dürfen Dir mitteilen, dass Du den dritten Platz in unserem Volksschulwettbewerb zum Thema „Braucht Papa wirklich Bargeld?“ gewonnen hast. Deine Wortwahl ist schon ziemlich erwachsen, auch wenn Kunstwörter wie „Zahlungsstromanalyse“ etwas aus dem Zusammenhang gerissen sind.
Trotzdem: ein Zeichenblock mit vielen, vielen bunten Stiften ist als kleines Dankeschön schon auf dem Weg zu Dir. Wir hoffen, dass Du, wenn Du einmal groß bist, unserer Bank die Treue hältst!
Deine Hausbank
Michel Lemont an seine Hausbank, 24. September 2020
Hallo Leute!
Wie Ihr ja wisst (oder vielleicht auch nicht?), bin ich nun seit Jahrzehnten ein treuer Kunde. Ich habe bei Euch ein Girokonto, ein Wertpapierdepot, mehrere Versicherungen und Leasingverträge. Trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen?) finde ich es merkwürdig, dass ich vor kurzem ein Schreiben von Euch erhalten habe, in dem ihr mich auf die Risiken von Kryptowährungen hinweist und Euch vorbehaltet, die Geschäftsbeziehung mit mir aufzukündigen, sollte ich weitere Geschäft mit Kryptowährungen über mein Girokonto abwickeln.
Danke und Tschüss!
PS: Zeichenblock und Stifte sind alle, bitte schickt Nachschub!
Hausbank an Michel Lemont, 9. Oktober 2020
Hallo Michel!
Als Gewinner*in unseres Zeichenwettbewerbes liegst Du uns ganz besonders am Herzen. Deswegen wollen wir unsere jüngsten Kunden auch auf die Gefahren und den spekulativen Charakter von Währungen hinweisen, die nicht von Notenbanken herausgegeben und kontrolliert werden. Finanzbildung ist ja soooo wichtig! Junge Menschen wie Du sollten ihre ersten Schritte in der Anlagewelt mit seriösen Produkten setzen. Wieso versuchst Du es nicht mit einem unserer Sparbuchvarianten? Wenn die Inflation auf so niedrigem Niveau wie derzeit bleibt, verlierst Du fast nichts!
Deine Bank, die auf Dich aufpasst!
PS: die Leasingabteilung hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass Dein Vertrag für die Motorjacht „Claudia“ ausläuft. Möchtest Du den Vertrag um weitere 12 Monate verlängern? Schreib uns bitte bald!
Michel Lemont an seine Hausbank, 10. Dezember 2020
Servus miteinander!
Zuerst einmal ein Kompliment: Ihr seid wirklich eine sparsame Bank! Mit der Schließung der letzten Filiale, die ich noch fußläufig erreichen konnte, bin ich nun tatsächlich hauptsächlich auf Electronic Banking angewiesen und ich werde Euch physisch nicht mehr belästigen. Außer in Notfällen.
Da kommt es sehr gelegen, dass Ihr mir letzte Woche mit einer Werbeaussendung mitgeteilt habt, dass nun alle Eure Filialen mit Defibrillatoren ausgestattet sind. Sollte ich also ein Stechen in der Brust verspüren, werde ich mich ins Auto oder in den nächsten Bus setzen und eine Eurer nächstgelegenen Niederlassungen aufsuchen. Das nenne ich Service.
Tschüss mit Ü
Hausbank an Michel Lemont, 13. Januar 2020
Sehr geehrt*.* Michelle,
Es freut uns sehr, wenn unsere Kunden die Bemühungen zur Verbesserung unseres Serviceangebotes zur Kenntnis nehmen. Wir hören eben genau zu, was unsere Kunden wollen!
Hochachtungsvoll
Deine Hausbank
PS: und noch viel Erfolg bei der nächsten Schlagerparade!