Fehlerkultur durch Experimentierräume stärken

Experimentelle Organisationsentwicklung macht es möglich

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Fehler und Scheitern spielen eine wichtige Rolle für innovative Organisationen. Ein konkretes Anwendungsbeispiel zeigt auf, wie das Konzept „Experimentierräume“ im Rahmen der Organisationsentwicklung zur Entwicklung einer konstruktiven Fehlerkultur beiträgt.

Experimentelle Organisationsentwicklung für konstruktive Fehlerkultur

Eine experimentelle Organisationsentwicklung kann dazu beitragen, eine konstruktive Fehlerkultur in Unternehmen zu schaffen.

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Für Unternehmen ist die Fähigkeit, ihre Arbeitswelten stets weiterzuentwickeln, ein zentraler Erfolgsfaktor. Immer wieder müssen sich Organisationen an aktuelle Veränderungen anpassen (z.B. digitale Transformation, Covid-19 Pandemie, Finanzkrise) und finden sich in komplexen und volatilen Situationen wieder. Dabei stoßen klassische Change-Konzepte, die den Veränderungsprozess linear darstellen und ein klares Zielbild fokussieren, an ihre Grenzen.

Vielmehr müssen Veränderungen künftig häufiger ergebnisoffen und explorativ initiiert werden. Voraussetzung hierfür ist eine konstruktive Fehlerkultur, in der Neues mutig ausprobiert und Fehler als Lernchance betrachtet werden. Die Fehlerkultur stellt somit eine zentrale Anforderung an zukunftsfähige Organisationen dar. Eine Methode, die Fehlerkultur in Unternehmen zu stärken, ist die experimentelle Organisationsentwicklung. Sie bietet, anders als klassische Change-Ansätze, die Chance, Veränderungen ergebnisoffen (aber nicht strukturlos) zu initiieren.

Eine Frage der Referenz: Lernen vs. Veränderung

Die experimentelle Organisationsentwicklung stellt einen neuen Ansatz dar, um die Veränderungs- und Innovationsfähigkeit von Organisationen zu fördern. Nach dem Prinzip Ausprobieren – Fehler machen – Lernen erproben die beteiligten Akteure dabei konkrete Veränderung (z.B. Selbstorganisierte Teams ohne Führungskraft) in der Organisation.

Zu Beginn steht das Ausprobieren, was bedeutet, dass die Akteure mit der schrittweisen, gezielten und mutigen Umsetzung der Veränderung beginnen. Wichtig dabei ist, dass den Akteuren Freiraum zum Experimentieren gegeben wird, sie aktiv Risiken eingehen und auch „scheitern“ bzw. Fehler machen dürfen. Dafür braucht es für das experimentierende Team einen geschützten Raum, weshalb metaphorisch auch von einem „Experimentierraum“ gesprochen wird.

In Anlehnung an das Vorgehen bei einem wissenschaftlichen Experiment werden anfangs Hypothesen (Annahmen) über die Umsetzung und den Verlauf der neuen Arbeitsweise aufgestellt. Diese können dann während und nach der aktiven Umsetzung der neuen Arbeitsweise reflektiert und überprüft werden: welche Annahmen haben sich bestätigt und welche nicht? Welche neuen Hypothesen können für das weitere Vorgehen formuliert werden? Die ständige Reflexion der Hypothesen und der Situation im Experimentierraum zeigt, was gut funktioniert – und was eben nicht. So kann aus Fehlern systematisch gelernt werden.

Der Prozess der experimentellen Organisationsentwicklung

Der Experimentierraum ermöglicht das gemeinsame Probieren und Experimentieren, Scheitern und Verwerfen, Lernen und Verbessern in geschützten Räumen.

Experimentierräume bei der AOK Baden-Württemberg

Die AOK Baden-Württemberg konnte das Konzept der Experimentierräume bereits erfolgreich dazu nutzen, neue Arbeitsweisen zu erproben sowie ihre Veränderungsfähigkeit und Fehlerkultur zu stärken. In mehreren Teams der AOK wurden dabei gezielt und mutig neue Arbeitsweisen ausprobiert, von denen manche heute noch beibehalten werden und andere nicht. Obwohl nur ein Teil der experimentierenden Teams die initiierten Veränderungen langfristig umsetzten konnte, so können dennoch alle Experimentierräume als erfolgreich – im Sinne der Wissensgenerierung und Lernerfahrung – bezeichnet werden.

Die experimentelle Methode ermöglicht nämlich zum einen das Lernen (Hypothesen aufstellen und ggf. verwerfen) und zum anderen auch Veränderung (durch die inhaltlichen Themen der Experimentierräume). Daher ergeben sich für die Reflexion zwei Perspektiven: Was habe ich gelernt? vs. Was hat sich verändert? Auch bei einer Nicht-Veränderung können Erkenntnisse über sich selbst und die Organisation gewonnen werden, d.h. auch aus Misserfolgen kann gelernt werden. Dies ist eine zentrale Sichtweise und Bestandteil sowohl der experimentellen Haltung als auch einer Fehlerkultur.

Eine Frage der Perspektive: Lernen versus Veränderung

Lernen und Veränderung als zwei unterschiedliche Fokusse des Experimentierraums.

Nicht-Veränderungen als Lernerfolg

Während die AOK Baden-Württemberg den Erfolg der Experimentierräume anfangs stark auf die Performance der experimentierenden Teams und den Erfolg einer bestimmten Arbeitsweise bezogen hat, konnte diese Sichtweise im Prozess verändert und stärker auf die Lernebene gelenkt werden. Dabei ist es wichtig, dass sowohl die experimentierenden Teammitglieder als auch Führungskräfte und Geschäftsführung die Nicht-Veränderungen tatsächlich als Lernerfolg definieren und konstruktiv mit dem wahrgenommenen „Scheitern“ umgehen können. Hierbei sind besonders emotionale (gefühltes Versagen) und gruppendynamische Aspekte (Schuldzuweisungen) zu beachten. Es muss eine gemeinsame Sprache über Scheitern und Fehler im Unternehmen entwickelt und etabliert werden. So kann es gelingen, anfängliche Misserfolge stärker als Lernchance und als Investition in die Zukunft zu betrachten.

Das experimentelle Vorgehen fördert die Sichtweise, Fehlerkultur als Lernkultur zu verstehen, in der  der Fokus auf dem Handeln und nicht auf der Analyse oder der Diskussion von Fehlern liegt. Die differenzierte Betrachtung von dem Nicht-Erfolg einer neuen Arbeitsweise und von den daraus entstehenden Erkenntnisgewinnen („Warum hat es nicht geklappt? Weil …“) ermöglicht das Lernen im Experimentierraum. Die anfangs formulierten Hypothesen implizieren, dass eine Annahme oder Handlung auch falsch sein kann, und stellen so eine wichtige Komponente im Umgang mit Fehlern und im Lernprozess dar. Das Prinzip der Ergebnisoffenheit ermöglicht es, Ideen schneller zu verwerfen und Meinungen und Haltungen einfacher zu ändern.

Somit ist der Experimentierraum ein Kulturimpuls, der in verschiedener Hinsicht Signale setzt. Zum einen wird bei entsprechender interner Kommunikation deutlich, dass neue Ideen und Innovationen in der Organisation willkommen sind und diese auch aufgegriffen werden. Andererseits beinhaltet und (re-)produziert der Experimentierraum wichtige Elemente und Verhaltensweisen, die zur Entwicklung der Fehlerkultur in Organisationen beitragen und ausgebaut werden können.

Fazit: Experimentelle Organisationsentwicklung für eine konstruktive Fehlerkultur

Die experimentelle Organisationsentwicklung kann v.a. in komplexen und volatilen Situationen angewandt werden, wenn Veränderungen nicht linear und mit klarem Zielbild initiiert werden können. Der ergebnisoffene Prozess des Experimentierens ermöglicht es, neue Ideen und Innovationen mutig auszuprobieren und aus Fehlern systematisch zu lernen. Dieses Prinzip (AusprobierenFehler machenLernen) fördert und (re-)produziert Elemente einer konstruktive Fehlerkultur in Unternehmen – eine zentrale Anforderung an zukunftsfähige Organisationen.


Madlen Müller (M.A.) - Wissenschaftliche Mitarbeiterin, ESB Business School Reutlingen

Madlen Müller (M.A.)

Madlen Müller (M.A.) ist Koautorin des Beitrags. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der ESB Business School, Hochschule Reutlingen. Aktuelle Forschungsthemen sind bspw. die digitale Transformation der Arbeitswelt, New Work und flexibles Arbeiten, sowie Change und experimentelle Organisationsentwicklung.

 

Adrian Mühleisen (M.Sc.) - Wissenschaftlicher Mitarbeiter, ESB Business School Reutlingen

Adrian Mühleisen (M.Sc.)

Adrian Mühleisen (M.Sc.) ist Koautor des Beitrags. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ESB Business School, Hochschule Reutlingen. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich New Work und Veränderung von Arbeitswelten, insbesondere der experimentellen Organisationsentwicklung.

Über den Autor

Prof. Dr. Arjan Kozica

Prof. Dr. Arjan Kozica lehrt Organisation, Führung und Personalmanagement an der ESB Business School Reutlingen. Schwerpunkte seiner Forschung sind Methoden der Organisationsentwicklung, die digitale Transformation der Arbeitswelt und die Praktiken des Personalmanagements. Als aktiver Reservist ist er Major der Reserve an der Führungsakademie der Bundeswehr.

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