Wie der Ukraine-Krieg die Welt verändert

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Die Zahl, Vielfalt und Dimension der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Großbaustellen geben allen Anlass zur Besorgnis. Es kommt jetzt vor allem darauf an, fatale Kettenreaktionen zu verhindern.

Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die deutsche Wirtschaft

Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die deutsche Wirtschaft.

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Der Krieg in der Ukraine bremst zunehmend das Geschehen auf den Weltmärkten ein. Eine McKinsey-Studie hat zwölf makroökonomische Problemkreise („Twelve disruptions changing the world“) definiert, die die globale Politik und Wirtschaft über die aktuelle Krise hinaus fordern werden. Dazu zählen Energieversorgung, Rohstoffe, Lieferketten, Preissteigerungen, Deglobalisierung, Nahrungsmittelknappheit, Cyber-Attacken, Finanzsystem, Fluchtbewegungen und Verteidigungsausgaben.

Die Studienautoren ziehen folgendes Fazit: „Diese Störungen beeinträchtigen das Leben und die Lebensgrundlagen der Menschen schon jetzt mit großer Wucht und sollten Teil der Szenarienplanung jedes Unternehmens sein. Und je länger der Krieg andauert, desto stärker und unvorhersehbarer können diese Störungen werden.“ Das Gros dieser geopolitischen Trends mache Strategieanpassungen in Unternehmen dringend erforderlich, um nicht deren Existenz zu gefährden.

Gefährliche Beschaffungsprobleme

Der Auftragseingang der deutschen Industrie ist im März, dem ersten vollen Kriegsmonat, gegenüber Februar um 4,7 Prozent zurückgegangen. Uneinheitlich zeigte sich der Export: Während die Nachfrage außerhalb der Euro-Zone um 13,2 Prozent sank, stiegen die Aufträge aus der Währungsunion um 5,6 Prozent. Die Inlandsnachfrage war mit 1,8 Prozent rückläufig. Investitionsgüter wie Maschinen brachen um 8,3 Prozent ein. Die Auftragsreichweite belief sich auf rund acht Monate.

Zunehmende Sorgen bereitet die Tatsache, dass die Unternehmen die Bestellungen infolge von Beschaffungsproblemen nicht termingerecht abarbeiten können. Fast 80 Prozent der deutschen Industrieunternehmen klagen derzeit über Lieferengpässe. Außerdem explodieren die Kosten für Rohstoffe und Vorprodukte, die von den Verarbeitern je nach Möglichkeit weitergegeben werden. Der Anteil der Unternehmen, die ihre Preise erhöhen wollen, war laut ifo noch nie so hoch wie jetzt. Nicht nur der Auftragseingang, sondern auch die Produktion der deutschen Industrie ist im März – laut Statistischem Bundesamt – mit 3,9 Prozent eingeknickt. In der Automobilindustrie ging der Ausstoß um 14 Prozent zurück, im Maschinenbau um 5,3 Prozent.

Über 7 Prozent Inflation

Die Geldentwertung verkörpert derzeit die mit Abstand größte Sorge der Menschen in Deutschland. Einer Untersuchung zufolge haben 40 Prozent der Befragten die Inflation – noch vor dem Ukraine-Krieg – auf Platz 1 ihrer persönlichen Sorgenliste gesetzt. Im April kletterte die Teuerungsrate auf 7,4 Prozent. Ebenfalls im April stiegen die gewerblichen Erzeugerpreise gegenüber dem Vorjahresmonat um – sage und schreibe – 33,5 Prozent, was den höchsten Preissprung seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949 markiert.

Verschärft wird die allgemeine Verunsicherung dadurch, dass die BIP-Wachstums-Prognosen in immer kürzeren Abständen nach unten korrigiert werden. So hat die EU-Kommission die Voraussage des europäischen Wirtschaftswachstums 2022 kürzlich von 4 auf 2,7 Prozent gesenkt und gleichzeitig die Inflations-Prognose fast verdoppelt auf 6,1 Prozent. Dass die EU-Kommission die Geldentwertung nicht als kurzfristiges Phänomen bewertet, zeigt sich an der Erwartung, dass die durchschnittliche Teuerung in den Euro-Ländern 2023 sogar auf 6,8 Prozent steigen wird. Schon heute befürchtet ein Drittel der Bundesbürger, wegen steigender Preise den eigenen Lebensstandard einschränken zu müssen. Dass eine Inflation von offiziell über 7 Prozent bei Null- oder Minus-Zinsen de facto eine schleichende Vernichtung der Anlagevermögen bedeutet, wird in der politischen Diskussion meist vernebelt.

EZB in der Falle

Der als systemkritisch bekannte Ökonom und Autor Dr. Markus Krall schätzt, dass die heutige Geldentwertung real bei 20 Prozent liegt, wenn man die frühere Warenkorb-Methodik der Bundesbank aus den 80er Jahren zugrunde legen würde. Krall schreibt weiter: „Die Zentralbank-Geldmenge, ausgedrückt in der Bilanzsumme der EZB, ist seit Gründung dieser Geld-Bürokratie 1999 von knapp unter 700 Milliarden auf über 8.700 Milliarden Euro angeschwollen. Eine Verzwölffachung der Geldmenge – angehäuft durch verbotene, aber dennoch von EZB-Rat und EU-Politik herbeikonspirierte Staatsfinanzierung, der keine entsprechende Steigerung der Produktion gegenübersteht – verändert das Verhältnis von Geldmenge zur Gütermenge.

Immer mehr Geld jagt einer nicht wachsenden und neuerdings fallenden Menge an Gütern hinterher. Das Auktionsprinzip sorgt dafür, dass der Meistbietende die Güter erhält, und so gleicht sich das Verhältnis von Geld zu Gütern wieder an. Inflation ist ein monetäres Phänomen, war es immer, wird es immer sein. Es ist eben entgegen den mit Logik auf Kriegsfuß stehenden neo-keynesianischen Theorien der ‚Modern Monetary Theory‘ nicht möglich, die Knappheit der Güter durch die Beseitigung der Knappheit des Geldes abzuschaffen.“

Der Autor sieht die EZB in einer selbst gestellten Falle. Sie habe nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln, von denen jedes das Ende des Euro-Experiments bedeute: „Entweder sie akkommodiert die Inflation, oder sie tut es nicht.

Wählt sie den ersteren Weg (und davon gehe ich zunächst aus), wird die Inflation in schnellen Schritten weiter steigen. 10 Prozent, dann 20 Prozent, dann 30 Prozent. Warum wird das passieren? Ganz einfach: Akkommodieren heißt, den Geldhunger zu stillen, der durch die Inflation beim Konsumenten und bei den Unternehmen entsteht. Die höheren Preise können nur bezahlt werden, wenn die Leute mehr Geld haben. Es kann nur herbeigeschafft werden, wenn man das Gelddrucken noch weiter beschleunigt und die Zinsen auf der Nulllinie hält. Dann trifft noch mehr Geld auf die Güter und die Preise steigen weiter, und zwar immer schneller. Das bedeutet: Das politische Projekt der EZB ist gescheitert, der Laden fliegt in die Luft.

Oder die EZB bekämpft die Inflation. Dann muss sie die Geldmenge begrenzen. Das geht nur durch eine Beendigung der Staatsanleihenkäufe und positive Realzinsen. Letzteres heißt: Die Zinsen müssen bei 7 Prozent Inflation mindestens 7,1 Prozent betragen, eher mehr, wenn sich Wirkung entfalten soll. Das würde den Kollaps der Staatsfinanzen von Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und anderen innerhalb von Tagen bewirken, weil jedem klar wäre, dass die Staaten diese Zinsen nicht bedienen können und der Markt die neuen Anleihen daher nicht abnimmt. Dann werden die Südländer den Euro verlassen, weil sie im Gegensatz zu den Deutschen keine so ausgeprägte Neigung zum ökonomischen Selbstmord haben und in Deutschland auch nichts mehr zu holen ist.

Wie wird es ablaufen? Die EZB wird einen kleinen Trippelschritt in Richtung Normalisierung versuchen und die Zinsen vorsichtig erhöhen. Sie wird versuchen, ‚den Kompromiss‘ zu finden. Weil aber das Gift billigen Geldes den Kontinent verseucht hat, wie Heroin einen Junkie, viele Unternehmen zombifiziert und die Staatsfinanzen zerrüttet sind, wird das sofort zu einer gigantischen Pleitewelle und massiven Verwerfungen der Finanzmärkte führen. Dann wird die EZB sofort wieder auf Akkommodieren umschalten. Die Inflation nimmt dann erst so richtig Fahrt auf, weil die Pleitewelle auch noch die Produktion einbrechen lässt.“

Merkels Altlasten

Die „Wirtschaftswoche“ dekorierte ihre Titelgeschichte „Das fatale Erbe der Ära Merkel“ im Mai mit dem Bild einer zerfallenden Büste der Altbundeskanzlerin. Im Innenteil liest sich der Vorspann des Artikels unter der Überschrift „Ende der Legende“ so: „16 Jahre lang steuerte Angela Merkel das Land stoisch durch alle Krisen. Doch der Preis der ruhigen Raute war hoch. Die Bundeswehr: marode. Die Russlandpolitik: naiv. Die Zukunft: unbearbeitet. Jetzt wird die Rechnung beglichen.“ Und als Analyse fasst die Redaktion im Rückblick zusammen: „Deutschland merkelte sich ‚alternativlos‘ und auf hohem Niveau durch die Welt, an allen Reformbedarfen vorbei, über alle Innovationslücken und Lebenslügen hinweg. Ach, es waren glückliche Jahre mit ihr. Und verlorene.

Die ehemalige Kanzlerin war eine Meisterin des Moments, eine Chefdirigentin der Gegenwart. Sie hat das Kanzleramt umgebaut zur Nichtregierungsorganisation. Und die Deutschen im guten Gefühl gewogen, geborgen zu sein, mochten sich die Wogen der Weltpolitik auch noch so hoch türmen. Merkel war eine Trutzburg: Fürchtet euch nicht, ihr habt ja ‚Mutti‘. Die Kraft, die Merkel als Krisenmanagerin verbrauchte – sie fehlte ihr für perspektivisches Regieren. Sie sprach vom ‚Neuland‘ und bewirtschaftete die Digitalisierung maximal halbherzig. Sie beschwor die Kampfkraft der Nato – und behandelte die Bundeswehr wie ein Relikt des Kalten Krieges. Sie verehrte die Vereinigten Staaten – und band die Bundesrepublik eng und enger an China. Sie ließ sich als Klimakanzlerin feiern – und vertrödelte die Energiewende. Sie genoss ihre Stellung als Grande Dame in Europa – und lieferte Deutschland Putins Gas- und Ölexporten aus. Das ist ihr Erbe.“

Wohlstand in Gefahr

Vor erheblichem Wohlstandsverlust in Deutschland warnt die Unternehmensberatung Deloitte in einer bemerkenswerten Studie. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass sich das Produktivitätswachstum der Volkswirtschaft trotz des technischen Fortschritts und der Automatisierung im vergangenen Jahrzehnt – gegenüber der vorangegangenen Dekade – halbiert hat. Dieser Tatbestand sei angesichts einer alternden Gesellschaft mit abnehmender Erwerbsbevölkerung besonders problematisch. Deloitte kommentiert: „Gelingt es nicht, den negativen Produktivitätstrend umzukehren, wird der Standort an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Wachstum und Wohlstand werden deutlich leiden.

Wie die Weichen in den nächsten Jahren gestellt werden, entscheidet über den künftigen Wohlstand des Landes und die Lebensqualität nachfolgender Generationen. Mit der richtigen Politik sei bis 2030 ein Wirtschaftswachstum von 3,4 Prozent jährlich und die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 8.600 Euro auf 51.600 Euro pro Kopf möglich. Ein entscheidender Hebel dafür sei der Arbeitsmarkt. Die Automatisierung könne den wachsenden Fachkräftemangel nicht kompensieren. Aber mit flexiblen Arbeitszeiten und umfassender Kinderbetreuung könnten mehr Frauen in Vollzeit arbeiten. Eine höhere Erwerbsquote ausländischer und älterer Bürger würde ebenfalls helfen.

Entscheidend für Wachstum und wettbewerbsfähige Standorte seien auch Software-Investitionen und ein rascher Breitbandausbau. Deutschland müsse die Digitalisierung entschlossener angehen und deutlich an Umsetzungsgeschwindigkeit gewinnen. Sonst werde sich der Rückstand digitaler Technologien bemerkbar machen und die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft langfristig darunter leiden. Digitale Neuentwicklungen fänden vermehrt in Start-ups statt. Allerdings bremsten strukturelle und regulatorische Schwierigkeiten junge Unternehmen hierzulande aus. Mehr Risikokapitalinvestitionen und weniger administrativer Aufwand könnten ‚einen echten Wachstums-Boost‘ nach sich ziehen.“

Triple-Rezession

Vor einer Triple-Rezession, einer parallelen Rezession der drei wichtigsten Wirtschaftsmächte USA, China und Euro-Zone, noch in diesem Jahr warnt der Harward-Ökonom Kenneth Rogoff. Zwar gebe es unterschiedliche Ursachen für die möglichen Abstürze, gleichwohl steigen – so Rogoff – „die Risiken eines weltweiten rezessionären Dreiklangs derzeit von Tag zu Tag“.

Über den Autor

Dietrich W. Thielenhaus

Der Unternehmer Dietrich W. Thielenhaus, der vor seinem Studium Bankerfahrung gesammelt hat, kommentiert aktuelle Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Geldanlage.

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