Das aktuelle Umfeld steigender Zinsen bietet Banken und Sparkassen beste Chancen, ihre Erträge im Privatkundengeschäft zu steigern. Belohnt werden aber nur die Institute, die insbesondere im Vertrieb jetzt konsequent digitalisieren.
Die Zinsen steigen! Man meint fast, den kollektiven Stoßseufzer aus den Vorstandetagen deutscher Banken zu hören. Das klassische, seit Jahrhunderten funktionierende Margengeschäft – Geld billig annehmen und teuer ausleihen – läuft wieder an. Rückenwind für die Branche also?
Viele Kreditinstitute scheinen genau auf dieses „Alles-wie-früher-Szenario“ „zu setzen. Nach Jahren immer neuer Krisen in den Kerngeschäftsbereichen, fortdauernder Digitalisierung oder zumindest Bemühungen in diese Richtung, hat sich so etwas wie eine gewisse Transformationsmüdigkeit eingestellt. Nun endlich ein Silberstreif am Zinshorizont, das margenstarke Einlagengeschäft lebt wieder auf. Traditionell generierten deutsche Banken hier die meisten Erträge – wenngleich sich diese in den vergangenen Jahren aufgrund der Negativzinsen geviertelt haben.
Einlagengeschäft wächst, aber Baufinanzierung schwächelt
Der erhoffte Rückenwind könnte sich allerdings als laue Brise erweisen. Zwar beleben steigende Zinsen das Einlagengeschäft, aber an andere Stelle droht bereits Ungemach: Das in den vergangenen Zinstiefjahren so wichtige Baufinanzierungsgeschäft geht zurück und es wird weiter an Bedeutung verlieren.
Steigende Finanzierungskosten gepaart mit – zumindest in Ballungsräumen – weiterhin hohen Immobilienpreisen drücken die Zahl neu abgeschlossener Hypothekendarlehen.
In anderen Bereichen des Retailsektors sind die Zukunftsperspektiven deutlich positiver. Das private Wertpapiergeschäft, das sich in Nullzins- und Corona-Zeiten deutlich gestiegenem Interesse der deutschen Sparer erfreute, wird auch weiterhin für Erträge sorgen. Viele Sparer erkennen, dass die Zinswende nicht ausreicht, um für die hohe Inflation zu entschädigen und werden trotz aller Unsicherheit weiterhin ihr Heil am Kapitalmarkt suchen. Ebenso das lange defizitäre Privatkonto- und Zahlungsverkehrsgeschäft, da viele Banken die Abkehr vom kostenlosen Girokonto und die Einführung beziehungsweise Erhöhung von Transaktionsgebühren nicht mehr rückgängig machen werden.
Erfreulicher Zuwachs – aber nicht für alle
Insgesamt rechnet BCG nach Jahren der Stagnation im Privatkundengeschäft deutscher Banken bis 2026 nun mit einem jährlichen Ertragswachstum im Retailsektor von 4,2 Prozent auf dann 61 Milliarden Euro. Gehen die globalen politischen und ökonomischen Risiken zurück, könnte sich der Ertrag sogar auf 66 Milliarden Euro summieren.
Leider – und das muss allen klar sein – wird dieser Zuwachs nicht gleichmäßig unter den jetzigen Playern aufgeteilt. Und von denen gibt es viele: Der deutsche Bankenmarkt ist im Vergleich etwa zu Frankreich, Großbritannien oder Skandinavien weit weniger konzentriert, entsprechend gering sind die Ertragsmargen. Hinzu kommen ausländische Anbieter und vor allem FinTechs, die bereits unter Beweis gestellt haben, dass sie bedarfsgerechte Angebote, exakt auf die digitalen Erwartungen der Endkunden abgestimmt, schnell und erfolgreich im Markt platzieren können.
Virtuelle Vertriebswege ausbauen
Deutschen Instituten, die vom Ertragspotenzial des Retailgeschäfts profitieren wollen, kommen also nicht umhin, die Digitalisierung voranzutreiben und insbesondere virtuelle Vertriebswege sowie Distanzberatung auszubauen. Nur relevante, personalisierte und digitale Interaktionen schaffen dauerhafte Kundenbeziehungen. Die gilt vorrangig für die Zielgruppe des gehobenen privaten Mittelstands – ein echter Ertragsbringer im Retailsektor. Das Kundenverhalten im Affluent-Segment hat sich geändert, auch hier werden jetzt vorrangig digitale Kanäle genutzt – auch für Bankgeschäfte. So haben von den Investmentbooms der jüngeren Vergangenheit vor allem die Direktbanken und digitale Neobroker profitiert.
Wollen die klassischen Banken die wohlhabende private Mittelschicht auch weiterhin an sich binden, müssen sie die Ansprache fundamental verändern. Denn eins ist klar: Das künftige Ertragswachstum findet nicht mehr in der Filiale statt. Dieses ist – obwohl im vergangenen Jahr bereits um fast zehn Prozent geschrumpft – immer noch viel zu dicht und kostenintensiv. Banken müssen ihre digitalen Kanäle stärken, und zwar primär im bislang stiefmütterlich behandelten Vertriebsbereich.
Neugeschäft ohne Filialbesuch
Was das konkret bedeutet: Die Finanzinstitute sollten ihre Vertriebswege grundlegend neu aufstellen, mit ihren Kunden über digitale Kanäle interagieren und über Distanzbetreuungsteams den persönlichen Kontakt ohne Filialbesuch ermöglichen. Digitale Kanäle dürfen keine reinen Servicekanäle bleiben, sondern auch dem Neugeschäft dienen. Nach BCG-Analysen müssten Geldhäuser im Neugeschäft mindestens 75 Prozent mit einfachen und 50 Prozent mit komplexen Produkten dauerhaft über digitale Kanäle hereinholen. Die hierfür erforderliche Kompetenz ist bei deutschen Retailbanken aber oftmals nicht vorhanden. Auch mangelt es häufig schlicht an der technischen Infrastruktur.
Traditionelle Banken verfügen im Kampf um die Privatkundenerträge aber auch über Aktivposten: Sie haben einen erheblichen Wissensvorteil gegenüber
neuen Wettbewerbern. Ihre langjährigen Kundenbeziehungen können Informationen liefern, um individuelle Angebote zu entwickeln. Dieses Wissen bleibt jedoch zu häufig ungenutzt.
Gewinner werden überproportional belohnt
Banken müssen angesichts der zahlreichen Herausforderungen weiterhin ihre Hausaufgaben machen. Die Gewinner werden jedoch mit überproportionalem Markterfolg in einem wachsenden Markt belohnt. Retailbanken sollten sich insbesondere folgende Fragen stellen:
- In welchen Bereichen wollen wir von dem sich abzeichnenden Wachstum besonders profitieren?
- Auf welche Kundensegmente und Produkte fokussieren wir uns?
- Wie stellen wir sicher, dass sich aktuelle und neue Kunden bei anstehenden Produktbedarfen für uns entscheiden?
- Was müssen wir ganz konkret anders machen als der Wettbewerb?
- Welche Fähigkeiten müssen wir aufbauen, wie müssen wir unsere Ressourcen priorisieren, und wie müssen wir steuern, um in den Fokusbereichen tatsächlich unseren Neugeschäftsmarktanteil zu erhöhen?