Timewashing gefährdet grüne Transformation

Nachhaltigkeit darf nicht auf die lange Bank geschoben werden

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Weltweit stehen Staaten und Firmen unter Druck, die nachhaltige Transformation voranzutreiben. Das verleitet dazu, auf Zeit zu spielen. Es bedarf eines klaren Fokus auf Messbarkeit, Verantwortlichkeit und dem Herunterbrechen von Langfristzielen in kurzfristige Zwischenziele, um dem vorzubeugen.

Beim Kampf gegen den Klimawandel spielt Zeit eine wichtige Rolle

Beim Kampf gegen den Klimawandel spielt der Faktor „Zeit“ eine wichtige Rolle.

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Weltweit stehen Unternehmen aller Sektoren zunehmend unter Druck, die nachhaltige Transformation voranzutreiben. Der Druck verleitet zu Grünfärberei – Greenwashing – und zu einer Zeitschinderei mit hehren, langfristigen Zielen, dem sogenannten Timewashing. Auf diese Weise versuchen viele Firmen, sich durch das Formulieren von weit in der Zukunft gelegenen Zielen kurzfristig von diesem Druck zu befreien und riskieren so, angreifbar zu werden.

Timewashing ist ebenso wie Greenwashing, eine Bedrohung für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele sowie für die Transformation als Ganzes. Wie kann diesem Problem effektiv entgegengewirkt werden? Der Schlüssel liegt im Herunterbrechen von Langfristzielen in kurzfristig zu erreichende Zwischenziele, wobei Messbarkeit, Verantwortlichkeit und Ambitionsniveau entscheidende Rollen einnehmen.

Heutige Transformation hat erheblichen Einfluss auf das Klima

Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur folgt dem stetigen Anstieg der Treibhausgasemissionen, mit entsprechenden gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Folgen. Die IPCC-Prognosen senden eine klare Botschaft an Politik und Wirtschaft, machen aber auch deutlich, dass die heutige Transformation noch einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Klimakennzahlen nehmen kann.

Das Klimaschutz-Sofortprogramm der deutschen Bundesregierung verfolgt das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und sieht weitreichende Maßnahmen vor, die in den kommenden Jahren alle Sektoren der deutschen Wirtschaft betreffen. Im Energiesektor wird der Ausstieg aus fossilen Energien und der Ausbau der Erneuerbaren vorangetrieben, im Bausektor steigt der Bedarf an energieeffizienteren Lösungen für Neu- und Bestandsbauten, im Verkehrssektor wird der Umstieg auf alternative Antriebe gefördert, in der Industrie werden energieintensive Produktionsprozesse umstrukturiert und in der Landwirtschaft soll die konventionelle Tierhaltung und Nutzung von Düngemitteln signifikant eingeschränkt werden.

Weltwirtschaft im Wandel: Nachhaltigkeit als Überlebensgrundsatz

Auch geostrategisch gewinnt das Thema Nachhaltigkeit bei den Unternehmen immer mehr an Bedeutung. Weltweit folgen die Regierungen großer Volkswirtschaften diesem Kurs. So sind sowohl im chinesischen Fünfjahresplan als auch in den Plänen der US-Regierung für 2030 konkrete Ziele für die Transformation des Verkehrssektors und der Energieinfrastruktur vorgesehen. Für Unternehmen wird es infolgedessen zunehmend schwieriger und riskanter, sich dem Transformationsprozess zu entziehen.

Der politisch vorangetriebene Wandel zur Klimaneutralität erhöht über alle Sektoren hinweg den Transformationsdruck auf die Unternehmen. Insbesondere neue Regulierungen, Forderungen von Aktivisten, Konsumenten und Mitarbeitenden, sowie die Bewegung von Kapitalströmen hin zu nachhaltigen Investitionen erhöhen diesen Druck.

Die drei Transformationstrends: Überleben, gewinnen, sich wandeln

Staaten und Unternehmen stellen sich die Fragen zu Dringlichkeit, zum Umfang und zur Tragweite des Transformationsbedarfs. Dabei werden drei Kategorien zur Transformation unterschieden: Für energieintensive Unternehmen wie der Zement- oder Stahlproduktion gilt es, Umsatz und Gewinne zu sichern. Unter der Maßgabe Transform or Die werden diese bisherigen, treibhausgasintensiven, Geschäftsmodelle bei mangelnder Transformationsbereitschaft mit der Zeit vom Markt gedrängt. Für andere Unternehmen, wie beispielsweise Logistikunternehmen oder Konsumgüterhersteller, ergeben sich durch die Transformation neue Chancen für Gewinnwachstum.

Bei Unternehmen, für die die heutige Neuausrichtung des Unternehmens entscheidend für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ist, greift die Kategorie Transform to Win. Als Transformationstreiber profitieren zum Dritten jene Unternehmen, die den Wandel durch Innovation und Investition aktiv mitgestalten. Hierzu können beispielsweise Finanzdienstleister, Softwareanbieter und Beratungsunternehmen zählen, wenn sie nach der Kategorie Transform to Transform agieren

Drei Kategorien unternehmerischer Transformationsbereitschaft

Unternehmerische Transformationsbereitschaft lässt sich in drei Kategorien unterteilen: Transform or Die, Transform to Win, Transform to Transform.

Timewashing als Gefahr für die große Transformation

Über alle drei Transformationstrends hinweg erfolgt stets ein Rennen gegen die Zeit. Doch eine Transformation ist nur dann erfolgreich umsetzbar, wenn gegenüber Stakeholdern bestmögliche Transparenz sichergestellt ist. Hierfür braucht es hinsichtlich der Mess- und Erreichbarkeit von Langfristzielen eine Differenzierung in kurz- und mittelfristige Zwischenziele.

Ist diese kurzfristige Klarheit nicht gewährleistet, so droht der Timewashing-Vorwurf, das Ausmaß und den Erfolg der Transformation in Frage zu stellen. Timewashing hinterfragt die tatsächliche Erreichung wesentlicher Transformationsziele und verschleiert das langfristig gesetzte Ziel der Klimaneutralität. Daher stellt sich die Frage: Was begünstigt Timewashing und wodurch lässt sich dem entgegenwirken?

Was genau ist Timewashing?

Prof. Dr. Dirk Schiereck und Leonard Grebe von der TU Darmstadt definieren Timewashing als gemeinsame Schnittmenge aus einem weit in der Zukunft liegenden Ziel (zeitliche Dimension), einer fehlenden Messbarkeit der Zielerreichung (Zielcharakteristik) und der Delegation von Verantwortung bei Meilensteinverpflichtungen (Verantwortung).

Die zeitliche Dimension unterstreicht, dass es insbesondere bei weit in der Zukunft liegenden Zielen nahezu unmöglich ist, die Einhaltung der Erfolgsfaktoren sicherzustellen – und zwar unabhängig davon, welches Motiv für die Transformation verantwortlich ist. Dies wird insbesondere bei Zielen wie dem Erreichen der Klimaneutralität bis 2040 oder 2045 deutlich. Ein Zeithorizont von mehr als zehn Jahren begünstigt Nachlässigkeit bei der Umsetzung notwendiger Maßnahmen. Voraussetzung zur Zielerreichung schafft vor allem die Formulierung der Ziele nach der SMART-Methode (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert). Dies wiederum verdeutlicht, wie wichtig die Formulierung von kurz- und mittelfristigen Meilensteinen ist.

Schließlich sind die Meilensteinverpflichtungen streng auf Funktionen und Hierarchien zuzuordnen. Ohne die Übernahme von Verantwortung und wiederholte Delegation an nachgelagerte Ebenen wird keine Transformation erfolgreich umgesetzt werden können.

Was tun gegen Timewashing?

Eine erfolgreiche Transformation kann nur dann gelingen, wenn der Transformationsprozess transparent dokumentiert und nachverfolgt wird. Es ist sinnvoll, sich hier professionellen Support und fachkundige Beratung zu holen. So unterstützt etwa die Initiative Deloitte Sustainability and Climate (DSC) Organisationen dabei, Chancen und Risiken der nachhaltigen Transformation realitätsnah zu erkennen, zu analysieren und so den Gefahren des Timewashing aktiv entgegenzuwirken.

Dazu zählt insbesondere eine exakte Definition messbarer, kurz- und mittelfristiger Ziele, aussagekräftiger Kennzahlen und klar definierter Verantwortlichkeiten. Grundlage dafür ist in erster Linie die Erhebung und Verarbeitung relevanter Daten. Durch konkrete Meilensteinverpflichtungen kann der Transformationsprozess transparent dargestellt und von den Verantwortlichen aktiv gestaltet werden.

Damit wird auch auf die immer anspruchsvolleren regulatorischen Anforderungen reagiert. So sieht beispielsweise die Neufassung des Corporate-Governance-Kodex eine stärkere Verankerung von Nachhaltigkeitszielen in den Führungsgremien börsennotierter Unternehmen vor. Durch die Institutsvergütungsordnung im Rahmen der EU-Taxonomie wird zudem eine Verknüpfung von Nachhaltigkeitskennzahlen an die Vergütung intensiviert.

Die Offenlegungs- und Transparenzverordnung sieht darüber hinaus eine Klassifizierung von Finanzprodukten nach Nachhaltigkeitskriterien vor. Neben strategischem Sparring unterstützen hier KI-basierte ESG-Tools bei der Pfadsimulation, der Erfolgsmessung und dem Erwartungsmanagement. Schließlich muss nachhaltige Transformation angesichts der Datentiefe und -breite stets gemeinsam mit Digitalisierung und Automatisierung gedacht werden.

Fazit: Timewashing gefährdet die reale Erreichung von Nachhaltigkeitszielen

Das Phänomen Timewashing gefährdet die reale Erreichung von Nachhaltigkeitszielen und hemmt deren realistische Umsetzung. Das Festlegen von kurz- und mittelfristigen Zielen für den langfristigen Bestand von Unternehmen ist daher unerlässlich und entscheidend. Um Timewashing entgegenzuwirken und vorzubeugen, müssen die langfristigen Transformationspläne in kurz- und mittelfristige Ziele aufgebrochen werden.

Nur so können sie transparent, messbar und von den Verantwortlichen in einem definierten Zeitraum umgesetzt werden. Andernfalls bedroht Timewashing – ebenso wie Greenwashing – die Reputation der handelnden Personen, des Unternehmens sowie die langfristige Zielerreichung und somit den Gesamterfolg der nachhaltigen Transformation signifikant.


Munir Mahrufi – Manager, Deloitte Consulting

Munir Mahrufi, Deloitte

Munir Mahrufi ist Manager bei Deloitte Consulting und verfügt über langjährige Erfahrungen im Finanzsektor. Er berät zu komplexen Fragestellungen bei der digitalen und nachhaltigen Transformation. Innerhalb der Abteilung Banking & Capital Markets Operations leitet er das Sustainable-Finance-Team. Er ist zudem Mitglied der Deloitte Sustainability & Climate-Initiative, die an innovativen Lösungen zu aktuellen ESG-Herausforderungen arbeitet.


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Über den Autor

Wiebke Merbeth

Wiebke Merbeth ist Partnerin in der Strategieberatung Monitor Deloitte. Als Expertin für Sustainable Finance unterstützt sie Organisationen dabei, nachhaltige Transformation optimal zu gestalten. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Finanzindustrie mit Stationen bei Asset Managern der HSBC und BayernLB und ist zudem Mitglied im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung.

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