Ideologie und Moralismus

Denk-Anstöße: Interessantes, Merkwürdiges und Nachdenkliches

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Die aktuellen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft sind einzigartig komplex. Gefordert sind pragmatische Problemlösungen statt politischer Scheinlösungen, die Vernunft und Realität ausblenden und sich von Ideologie und Moralismus leiten lassen.

Aktuelle Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft

Die aktuellen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft sind einzigartig und komplex.

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Ein angebliches „Geheimpapier“ der EU-Kommission zeigt die aktuelle Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit Europas auf. Vor allem der deutsche Mittelstand stehe vor großen Herausforderungen. Die Energiekrise bedrohe die deutsche Industrie „in einer Phase beispiellosen Wandels“ wesentlich stärker als ihre globalen Konkurrenten in den USA und in China. Einer Umfrage zufolge sollen 34 Prozent der Top-Manager planen, ihre Investitionen vorübergehend auszusetzen oder zu verringern. 15 Prozent beabsichtigen, dauerhaft auf Investitionen zu verzichten.

Die deutschen Industriegewerkschaften halten wegen der hohen Strompreise mehrere hunderttausend Arbeitsplätze für gefährdet. Angesichts der Tatsache, dass die deutsche Industrie mit die höchsten Stromkosten in Europa tragen müsse, fordert die IG Metall die Einführung eines speziellen Industriestrompreises zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Andernfalls drohe „kurz oder lang“ das Verschwinden der Stahlerzeugung, der Aluminiumindustrie und anderer energieintensiver Branchen aus Deutschland.

Auch für die Chemieindustrie besteht nach Einschätzung der IG BCE das Risiko, dass Produktionsstätten verlagert und Anlagen geschlossen werden. Das bedeute dann „den ersten Schritt zur Deindustrialisierung Deutschlands“. Der BDI fordert die EU-Kommission auf, Europa in schnellerem Tempo attraktiver für den weltweiten Wettbewerb zu machen. Und an die Bundesregierung appelliert der Industrieverband, den Standort Deutschland durch eine Anpassung der Steuerpolitik voranzubringen. Damit die Bundesrepublik nicht länger ein Höchststeuerland für Unternehmen bleibe, solle die Steuerbelastung auf 25 Prozent gesenkt werden. Damit liege der Standort zumindest im internationalen Mittelfeld.

Planwirtschaft oder Marktwirtschaft?

Für zusätzliche Verunsicherung der Automobilindustrie sorgt die geplante Abgasnorm Euro 7, die wie ein Damokles-Schwert über der Branche und ihren 785.000 Beschäftigten schwebt. Die neue Norm soll den Schadstoff-Ausstoß massiv reduzieren. Bis 2035 sollen die Emissionen von PKW um 35 Prozent und diejenigen von Bussen und LKW um über 50 Prozent sinken. Die CDU-Fraktion im Bundestag hat die fachlich zuständige grüne Umweltministerin jetzt vor einem Verlust von bis zu 300.000 Arbeitsplätzen gewarnt. Und der Verkehrsminister (FDP) moniert die Verteuerung von Neuwagen, die Mobilität zum Luxusgut werden lasse.

Ab 2035 sollen bekanntlich laut Beschluss des EU-Parlaments überhaupt keine Verbrenner-Motoren mehr zugelassen werden, was der Öko-Lobby offenbar nicht ausreicht. So fordert Greenpeace ein Vorziehen des Verbots neuer Diesel- und Benzinfahrzeuge (einschließlich Hybridfahrzeugen) auf spätestens 2028. Außerdem müssten alle Verbrennungsmotoren „bis 2040 von Europas Straßen verbannt“ werden. Dagegen spricht sich der BDI für echte Technologieoffenheit aus und lehnt ein faktisches Aus für Verbrenner ab. Derzeit sind 48,8 Mio. PKW in Deutschland zugelassen. Der Anteil der batterieelektrischen Fahrzeuge beträgt mit 1,013 Mio. gerade einmal 2,1 Prozent.

„Schuss ins Knie“?

Auch im Heizungsbereich setzt die amtierende Bundesregierung auf Verbote statt auf Vernunft. SPD und Grüne wollen den Einbau neuer Gas- und Ölheizungen ab 2024 untersagen. Die Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm bezeichnet diesen Plan als falsch. Durch solche Verbote könne sich die Regierung „ins Knie schießen“. Es sei mit Ineffizienzen zu rechnen, wenn etwa Betriebe kein Gas zum Heizen nutzen könnten. Fraglich sei, ob die Sanierung von Häusern sowie die Herstellung und der Einbau von Wärmepumpen überhaupt schnell genug erfolgen könnten, um die Gasheizungen zu ersetzen.

Das kürzlich erklärte Ziel der Bundesregierung, bis 2030 pro Tag vier bis fünf neue Windräder aufzustellen und täglich mehr als 40 Fußballfelder voller Solaranlagen zu installieren, erscheint ebenso ambitioniert wie illusorisch. Der bayerische Ministerpräsident bezeichnete die Verbotspläne von Wirtschaftsminister Habeck als „Angriff auf die Mittelschicht und sozial Schwächere“. Söder weiter: „Diese Pläne treiben den Stromverbrauch weiter nach oben und könnten am Ende zu einer Rationierung von Strom führen. Die Grünen haben offenkundig den Bezug zur Lebensrealität komplett verloren. Sie sind inzwischen eine reine Luxuspartei, die sich nur um gut verdienende Großstadtbürger kümmert und stattdessen Arbeitnehmer und den ländlichen Raum bewusst vernachlässigt.“ Mit ihrem „ideologischen Verbot“ der Kernenergie und der Gasförderung blieben die Grünen „ein Blackout- und Wohlstandsrisiko“. Der CSU-Vorsitzende warf den Grünen zugleich vor, die normale Bevölkerung aus dem Blick verloren zu haben: „Die Grünen leben in einer Fantasie- und Verbotswelt. Sie sind die Verbotspartei Nummer 1: Fleisch-, Böller-, Autowasch-, Werbe- und Luftballonverbote sind nur eine kleine Auswahl ihrer Pläne. Sie wollen letztlich eine andere Republik und die Deutschen umerziehen. Die meisten Menschen wollen aber nicht nach der grünen Pfeife tanzen.“

Gralshüter der Moral

Vor allem die grünen Bundesminister argumentieren regelmäßig mit der Attitüde, alleinige Sachwalter und Gralshüter der politischen Moral zu sein. Ein besonders eklatanter Bruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein stellt die Energiepolitik dar. Es sind dieselben grünen Spitzenpolitiker, die mit Verve für ein Verbot von Kernkraft und Fracking in Deutschland eingetreten sind, gleichzeitig aber stillschweigend hinter den Kulissen den Bezug von Atomstrom aus europäischen Nachbarländern und von Fracking-Gas aus den USA dulden oder sogar fördern.

Erstaunlich ist, wie gut und unbeschwert solche Protagonisten offenbar mit dieser speziellen Variante einer kognitiven Dissonanz leben können. Während die Partei gegenüber den deutschen Wählern sehr bemüht ist, das Gesicht in puncto Konsequenz und Glaubwürdigkeit zu wahren, erfolgt der energiepolitische Umgang mit anderen Ländern und internationalen Institutionen eher pragmatisch und flexibel.

Das zeigt sich vor allem im Kontakt mit der EU-Kommission und dem Atomstrom-Lieferanten Frankreich. Während Ende April die letzten deutschen Kernkraftwerke stillgelegt werden, befinden sich in unserem westlichen Nachbarland 56 Atommeiler am Netz. Während hierzulande der finale Ausstieg als Erlösung gefeiert wird, macht Frankreich das Motto „Kernkraft – ja bitte“ zur Devise gegen Klimakollaps und Energienotstand. Mit Frankreich, den Niederlanden, Polen, Finnland, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Slowenien und der Slowakei haben sich bereits 11 Länder zu einer Atom-Allianz zusammengeschlossen. Die französische Energieministerin hat den Auftritt Deutschlands contra Kernenergie als „heuchlerisch“ bezeichnet.

Auf Druck Frankreichs hat die EU-Kommission schon Ende 2021 vorgeschlagen, neben modernen Gaskraftwerken auch die Atomenergieerzeugung mit dem grünen Gütesiegel für umweltverträgliche Investitionen zu versehen. Der deutsche Widerstand soll sich seinerzeit in engen Grenzen gehalten haben. Die Dimension der hier praktizierten Doppelmoral ist selbst für politische Verhältnisse erstaunlich.

Ein nicht ganz unwesentlicher Aspekt findet in der öffentlichen Meinungsbildung erstaunlicherweise kaum Beachtung: Selbst wenn Deutschland seinen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß von derzeit 1,8 Prozent auf den (theoretischen) Wert von Null reduzieren könnte, wäre dies für die globale Bilanz zwar symbolisch schön, aber faktisch irrelevant, weil die zunehmenden Schadstoffbelastungen anderer Länder die deutsche Senkung überkompensieren. Zum Vergleich: Der Anteil Chinas lag 2021 bei 30,9 Prozent. Dass die gut gemeinte Hoffnung, am deutschen Wesen soll die (Öko-)Welt genesen, naiv und trügerisch ist, liegt auf der Hand und führt auf Irrwege. Hilfreich wären mehr Augenmaß und Realitätssinn für das sinnvollerweise Machbare.

„Finanzieller Kontrollverlust“

Aus gegebenem Anlass hat der Bundesrechnungshof die Bundesregierung – mit Blick auf den Schuldenberg von mittlerweile 2,1 Billionen Euro – vor dem finanziellen Kontrollverlust gewarnt. Die Dynamik und die Folgen der Verschuldung drohten die Tragfähigkeit der Bundesfinanzen und damit auch die staatliche Handlungsfähigkeit ernsthaft zu gefährden. Um das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, müsse die Bundesregierung alle Ausgaben neu priorisieren und den Haushalt konsequent auf die Kernaufgaben ausrichten. Es dürften keine neuen Maßnahmen mehr beschlossen werden, ohne ihre langfristige Finanzierung zu klären.

Rechnungshofpräsident Kay Scheller, der schon mehrfach seine richterliche Unabhängigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, merkt an: „Für stabile Bundesfinanzen bedarf es jetzt klarer, kluger und auch schmerzhafter Entscheidungen. Permanent in neue Schulden auszuweichen, ignoriert die Realität und übergeht die Interessen vor allem der jungen Generation.“ Unter anderem schlägt der Rechnungshof vor, dass die in den vergangenen drei Jahren aufgenommenen Kredite schneller als geplant getilgt werden und Sondervermögen abgewickelt werden. Diese kreditfinanzierten Töpfe neben dem regulären Haushalt umgingen die Schuldenbremse.

Wie sich die EZB-Zinserhöhungen in der Realität auswirken, zeigt ein Blick in den Bundeshaushalt: Die dort gebuchten Zinsausgaben haben sich von rund 4 Mrd. Euro in 2021 auf etwa 40 Mrd. Euro in 2023 verzehnfacht.

„83 Mio. Versuchskaninchen“

Massive Grundsatzkritik an der Ampelregierung übt Prof. Hans-Werner Sinn. Der Ökonom fordert in einem Interview das Ende deutscher Alleingänge: „Deutschland ist dabei, durch seine extremistische Klimapolitik die eigene Industrie zu ruinieren, und wir setzen damit ein Negativbeispiel für die ganze Welt.“ China und andere Schwellenländer würden „einen Teufel tun, uns zu folgen, wenn wir unsere Unternehmen mit Energieverboten aus dem Land jagen und den Lebensstandard der Bevölkerung ruinieren.

Das Gerede von der Vorbildfunktion und den Wettbewerbsvorteilen, die wir durch diese Politik angeblich generieren, ist Propaganda“. Deutschland habe „keine Chance“, das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, bis 2045 komplett aus der fossilen Energie auszusteigen. Trotzdem werde „eine ganze Volkswirtschaft mit 83 Millionen Einwohnern zum Versuchskaninchen für alternative Technologien gemacht“. Nur eine weltweit koordinierte Einschränkung der Ölnachfrage könne zu einem geringeren CO2-Ausstoß führen. „Alleingänge bedeuten lediglich, dass andere Teile der Welt exakt so viel mehr Öl kaufen und CO2 emittieren, wie wir einsparen. Wer in Europa trotzdem einen unilateralen Totalausstieg fordert, desavouiert die gesamte grüne Bewegung.“

Über den Autor

Dietrich W. Thielenhaus

Der Unternehmer Dietrich W. Thielenhaus, der vor seinem Studium Bankerfahrung gesammelt hat, kommentiert aktuelle Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Geldanlage.

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