Wie steht es um Deutschland Innovationsfähigkeit, wie finden wir den Anschluss zurück an die Weltspitze und wie kann sich insbesondere der deutsche Mittelstand auf die digitale Zukunft vorbereiten?
Digitalisierung ist längst ein globaler Wettbewerbsfaktor, das steht außer Zweifel. Deutschland muss seine Innovationsfähigkeit bewahren und ausbauen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Der aktuelle Innovationsindikator von Roland Berger und BDI zeigt, wo wir stehen. Im Vergleich mit 35 ausgewählten Volkswirtschaften belegt Deutschland den zwölften Platz. Gerade im Bereich Digitalisierung gibt es einiges an Nachholbedarf.
Die Zahlen werfen Fragen auf: Wie kann Deutschland seine Innovationskraft nutzen und den Anschluss an die Spitze wiederfinden? Insbesondere der deutsche Mittelstand steht vor großen Herausforderungen. In unserem Artikel analysieren wir die aktuellen Entwicklungen, diskutieren mögliche Wege zur Stärkung der Innovationsfähigkeit und beleuchten die Rolle Europas für eine starke Wirtschaft.
Deutschlands Innovationsfähigkeit: Licht und Schatten
Moderne Industriegesellschaften benötigen Innovation und Fortschritt, um nachhaltig zu wachsen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren und damit den Wohlstand ihrer Gesellschaften sicherzustellen. Es gibt immer wieder Diskussionen über die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und über den Stand der Digitalisierung – daher lohnt sich ein genauer Blick.
Der jährliche Innovationsindikator, eine Studie Roland Berger und BDI, zeigt: Deutschland liegt im Vergleich der Innovationsfähigkeit 35 ausgewählter Volkswirtschaften auf dem zwölften Platz. Wie ist das zu bewerten?
Auf den vorderen Plätzen – u.a. Schweiz, Singapur und die skandinavischen Länder – handelt es sich nicht um klassische Industrienationen. Sie investieren massiv in ein leistungsfähiges Wissenschaftssystem und sorgen für enge Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. So bieten sie innovativen und international vernetzten Unternehmen hervorragende Standortbedingungen. Im Umkehrschluss bedeutet die Platzierung Deutschlands, dass kein Land der G7-Gruppe oder der BRIC-Staaten innovationsfähiger war. So weit, so gut – aber kann man damit zufrieden sein?
Digitale Hardware: Deutschland auf dem respektablen 7. Platz
Es lohnt ein genauerer Blick auf das „Digitalisierungs-Ranking“, das die beiden Bereiche digitale Hardware (mikro- und nanoelektronische Bauteile, u.a. Computerchips und andere integrierte Schaltungen) sowie digitale Vernetzung und softwarebasierte Anwendungen (Entwicklung zukunftsfähiger digitaler Kommunikationsnetzwerke, z.B. Halbleiter und Halbleiterlaser, Quantentechnologien, Künstliche Intelligenz und Cloud-Computing) getrennt betrachtet.
Im Bereich der digitalen Hardware landete Deutschland auf einem respektablen siebten Platz und kann als vielleicht wichtigster verbliebener Produktionsstandort in Europa (s. „Silicon Saxony“) durch einen positiven Handelsbilanzsaldo, gute Indexwerte bei wissenschaftlichen Publikationen sowie bei den Markenanmeldungen punkten. Allerdings bleiben Patentintensität und -anzahl deutlich hinter anderen Ländern zurück. Hinzu kommt: Deutschland verbessert sich gegenüber dem Jahr 2020 bei fast allen Indikatoren, fällt aber dennoch im Ranking zurück. Das liegt daran, dass Länder wie Finnland in diesem Bereich dynamischer sind.
Digitale Vernetzung: Chancen noch nicht genutzt
Bei digitaler Vernetzung und software-basierten Anwendungen nimmt Deutschland lediglich eine Position im oberen Mittelfeld ein, deutlich hinter China und den USA. Mit Ausnahme der absoluten Exportgrößen sowie bei Patent- und Markenanmeldungen kann Deutschland hier bei keinem der Indikatoren ausreichend für einen Spitzenplatz punkten. Vor dem Hintergrund unserer Faktorausstattung und ökonomischen Größe müsste deutlich mehr investiert werden, um zur Weltspitze aufzuschließen. Die zunehmend automatisierten Logistik- und Wertschöpfungsketten der Industrie bieten hier Innovationspotenziale, die bei Weitem noch nicht ausgeschöpft werden.
Der Mittelstand leidet unter dem Fachkräftemangel
Hier setzt sich ein Trend fort, der unsere Schwäche im Vergleich zum Wettbewerb deutlich ins Licht rückt: Lange bekannte Defizite werden nicht oder zu langsam angegangen, Chancen nicht ausreichend genutzt. Die Industrie und vor allem der Mittelstand leidet längst unter dem Fachkräftemangel, der Innovationskraft und Wohlstand kostet.
Einerseits können Digitalisierung und Künstliche Intelligenz dabei helfen, die Folgen abzufedern, aber andererseits ist es gerade abseits der Metropolen enorm schwer, die für die Transformation benötigten Experten zu gewinnen und zu halten. Die globalen Tech-Giganten mit ihren schier unbegrenzten Möglichkeiten sind für viele der anspruchsvollen Talente doch einfach zu attraktiv.
GenAI führt nicht zu Arbeitsplatzverlust – ganz im Gegenteil
Ängste, dass GenAI der große Arbeitsplatzvernichter werden könnte, haben sich allerdings nicht bestätigt. Die zunehmend automatisierte Fabrik kommt zurück aus den Niedrigkostenländern. Mitarbeiter können sich von repetitiven oder administrativen Tätigkeiten weitgehend befreien und sich auf die eigentliche Wertschöpfung konzentrieren. Die Einsatzbereiche von GenAI sind vielfältig: ob im Internet der Dinge, für Optimierungsaufgaben, als virtuelle Assistenten, um Daten nutzbar zu machen oder Bedrohungen zu erkennen. Sogar die Produktentwicklung kann durch KI beschleunigt und verbessert werden. Und schließlich geht es auch darum, wie unsere Hidden Champions ihre Spezialprodukte effizient und global vermarkten können.
Kulturwandel und Mut zur Innovation erforderlich
All dies erfordert allerdings einen tiefgreifenden Kulturwandel in der gesamten Organisation, angefangen bei der Geschäftsleitung, das Überwinden von Berührungsängsten mit Neuem und die Entwicklung hin zu einer global verfügbaren Servicekultur. Und last but not least wird es darauf ankommen, wie sich Europa hier weiter positioniert. Der European AI Act als das weltweit erste umfassende KI-Gesetz ist ein Meilenstein, und viele Organisationen geben sich selbst bereits entsprechende Policies, v.a. um GenAI sicher im Unternehmenskontext einzusetzen. Das ist gut, darf aber nicht zu überbordender Bürokratie führen. Jetzt braucht es die richtigen Rahmenbedingungen, aber v.a. auch den Mut zur Innovation, um die Chancen und Risiken aktiv anzugehen und zu managen.
Im Fazit lässt sich festhalten, dass Deutschland sich in einem entscheidenden Stadium seiner digitalen Transformation befindet. Der Innovationsindikator verdeutlicht die aktuellen Chancen und Herausforderungen. Um den Anschluss an die Weltspitze nicht zu verpassen, ist es entscheidend, dass Deutschland seine Innovationsfähigkeit v.a. im Bereich digitaler Vernetzung und software-basierter Anwendungen weiter stärkt. Der Mittelstand als wirtschaftliches Rückgrat wird dabei ebenso entscheidend sein wie die Positionierung Europas.
Jochen Ditsche ist Koautor des Beitrags. Der Mathematiker ist Global Head des Digital Teams und Experte für Digitalisierungsprozesse bei Roland Berger und berät Kunden aus unterschiedlichen Branchen bei der Anpassung ihres digitale Produktportfolios. Er ist spezialisiert auf die Etablierung neuer digitaler Vertriebsstrategien und die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle.