Oftmals stehen bei einem Personalabbau kurzfristige finanzielle Interessen des Unternehmens im Vordergrund. Eine Suche nach verborgenen Kompetenzen der Mitarbeiter unterbleibt zumeist. Dabei lohnen sich Investitionen in die Beschäftigungsfähigkeit des bestehenden Personals.
Wo sind die Kompetenzen?
Der heutige Arbeitsmarkt ist geprägt von Veränderungen. Diese stellen Mitarbeiter und Unternehmen gleichermaßen vor Herausforderungen. Das betrifft gerade die Banken, bei denen sich die Aufgaben und Rollen der Mitarbeiter drastisch geändert haben. Doch wie bereiten sich Mitarbeiter und Unternehmen am besten auf Veränderungen vor?
Unternehmen sind herausgefordert, Mitarbeiter für neu entstandene Aufgaben zu finden. Im Vordergrund stehen dabei Kompetenzen, die für die Erfüllung der jeweiligen Aufgaben nötig sind. Die Einstellung von jungen Talenten für neuentstandene Aufgaben gestaltet sich derweil schwierig, angesichts des demographischen Wandels. Mehr als die Hälfte der Deutschen (47 Mio.) ist über 40 Jahre alt – das ist der Großteil des Personals der Gegenwart. Um nicht im „Kampf“ um junge Talente unterzugehen, sollten Unternehmen auf die vorhandenen Mitarbeiter schauen und herausfinden, welche Kompetenzen in diesen schlummern.
Das Wollen kommt vor dem Können
Die Mitarbeiter eines Unternehmens müssen ihrerseits Veränderungsbereitschaft aufbringen, um sich von dem tradierten Modell der Existenzsicherung durch solide Ausbildung und gezielte Berufs- und Arbeitsplatzwahl zu lösen. Doch was braucht es, um genau diese Veränderungsbereitschaft aufzubringen? Die Antwort zeigt die folgende Formel:
Zur Erklärung: Wenn die Vision und die Vorstellung des ersten Schrittes hin zur Veränderung gestärkt werden, kann der Leidensdruck überwunden werden. Leidensdruck – die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes beispielsweise – ist deshalb nötig, da ohne ihn kein oder nur wenig Bedarf zu Veränderung besteht. Wenn diese drei Komponenten die Angst davor, die Veränderung bewältigen zu können und die Kosten (Gehaltsverlust, Statusverlust, Mehrarbeit) übersteigen, wird die Veränderungsbereitschaft bei den Mitarbeitern aktiviert.
Beschäftigungsfähigkeit stärken
Wenn es einem Unternehmen gelungen ist, Veränderungsbereitschaft zu aktivieren, ist der erste Schritt getan, die Beschäftigungsfähigkeit oder Employability seiner Mitarbeiter zu stärken. Beschäftigungsfähigkeit bedeutet laut Frau Prof. Dr. Jutta Rump: „[…] fachliche, soziale und methodische Kompetenzen unter sich wandelnden Rahmenbedingungen zielgerichtet und eigenverantwortlich anzupassen und einzusetzen, um eine neue Beschäftigung zu erlangen oder zu halten.“ Diese Fähigkeit ist entscheidend für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, um auf Veränderungen im Unternehmen reagieren zu können.
Diesen Zusammenhang erkannte auch die Deutsche Bank und entwickelte bereits 1998 das „Mosaik für Beschäftigung“. Die Bank erlebte damals einen strukturellen Wandel, von dem mehrere tausend Mitarbeiter direkt oder indirekt betroffen waren. Das Ziel des Mosaiks war es, kreative und innovative Ansätze zur Beschäftigungssicherung zu finden, ein Bewusstsein für den Wandel in der Arbeitswelt zu schaffen und die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter zu stärken. Die Mitarbeiter der Deutschen Bank sollten anstehenden Veränderungen wach und offen gegenüberstehen und so die Veränderungsbereitschaft der Organisation insgesamt verbessern. Was zunächst dem Eigennutz des Unternehmens zugutekommen sollte, entwickelte sich schnell auch zum Wohl der Mitarbeiter im Falle eines Jobverlusts.
Mitarbeiter halten und profitieren
Mitarbeiter deren Beschäftigungsfähigkeit gestärkt ist, werden es leichter haben, ihre Kompetenzen an andere Stelle im Unternehmen oder am Arbeitsmarkt einzubringen und stärken gleichzeitig das gesamte Unternehmen. Zwei Beispiele demonstrieren, wie eine Förderung der Beschäftigungsfähigkeit Unternehmen und Mitarbeiter auch in einer Phase des Personalumbaus bzw. Abbaus stärken kann:
Das Beispiel Nokia
Nachdem die Geschäftsführung von Nokia im Jahr 2011 feststellte, dass eine erneute Umstrukturierung unumgänglich war, entwickelte eine kleine Gruppe von Führungskräften das sogenannte Bridge- oder Brückenprogramm. Durch dieses Programm sollten so viele Mitarbeiter wie möglich nach Beendigung ihrer Aufgaben eine andere Beschäftigung aufnehmen können. Nokia bot den betroffenen Mitarbeitern umfangreiche Unterstützung in fünf freiwählbaren Bereichen an, um die Umstrukturierung umzusetzen:
- Eine andere Stelle bei Nokia finden
- Eine andere Stelle außerhalb von Nokia finden
- Ein eigenes Unternehmen gründen
- Einen neuen Beruf erlernen
- Einen neuen Pfad einschlagen
Für das Brückenprogramm zahlte Nokia 50 Millionen Euro, das entsprach nur knapp 4 Prozent der Umstrukturierungsmaßnahmen von 1,35 Milliarden Euro zwischen 2011 und 2013.
Das Ergebnis des Programms war bemerkenswert:
- Von 18 000 betroffenen Mitarbeitern wussten sechs von zehn an ihrem letzten Arbeitstag, wie es weitergehen würde.
- Zwei Drittel der weltweiten Programmteilnehmer erklärten sich mit dem Umbau zufrieden.
- Das Qualitätsniveau konnte über die gesamte Umstrukturierungsphase hinweg gehalten oder verbessert werden, was nur durch die Zusammenarbeit aller Mitarbeiter (gehender und bleibender) gelingen konnte.
- Die vom Stellenabbau betroffenen Niederlassungen erwirtschafteten mit neu eingeführten Produkten einen Umsatz von 3,4 Milliarden Euro und konnten damit ihren Anteil am konzernweiten Umsatz durch Neueinführungen halten.
Nokia hatte durch die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit seiner Mitarbeiter einen besseren und erfolgreicheren Weg gefunden, Personal ab- und umzubauen.
Das Beispiel AT&T
Im Jahr 2013 stellte die Geschäftsführung des Telekommunikationskonzerns AT&T fest, dass von 240.000 Mitarbeitern ca. 40% in Positionen arbeiteten, die es in dieser Form in zehn Jahren nicht mehr geben würde. Der Konzern zog einer Entlassung der ca. 100.000 Betroffenen eine großangelegte Umschulung vor. Die Kompetenzen aller Mitarbeiter sollten erhalten, das Vertrauen der Belegschaft in die Unternehmensführung gefestigt und insgesamt die Veränderungsbereitschaft und Innovationskraft des Unternehmens gestärkt werden.
Die erst einmal kostenintensive Umschulung zahlte sich schnell aus. Bereits 18 Monate nach Start des Programms wirkte AT&T deutlich agiler. Die Produktentwicklungszyklen sanken um 40% und der Umsatz stieg. Außerdem schaffte es das Unternehmen im Jahr 2017 erstmals auf die „Fortune“ Liste der 100 besten Arbeitgeber.
Fazit: Langfristig denken lohnt sich!
Unternehmen sollten stets prüfen, welche Potentiale in ihren Mitarbeitern schlummern, bevor sie Personal abbauen, um neue Talente einzustellen. Dies ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die es auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt zu treffen gilt. Dabei sollten langfristige Ziele – wie das Wohl der Mitarbeiter und des Unternehmens – kurzfristigen Aussichten auf höheren Umsatz oder Gewinn vorgezogen werden.
Anstatt Personal zu entlassen, gilt es vorhandene und verborgene Kompetenzen zu fördern sowie Mitarbeiter für neuentstandene Positionen zu qualifizieren. Das fördert aber auch die Veränderungsbereitschaft und die Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Arbeitnehmer und Unternehmensführung sollten gemeinsam an den Herausforderungen des Arbeitsmarktes arbeiten, um für die bevorstehenden Veränderungen gewappnet zu sein.