Der gezielte Einsatz von Sprachtechnologie verbessert im Banken-Callcenter die Effizienz und Kundenzufriedenheit. Gleichzeitig wird auch eine Entlastung der Mitarbeiter ermöglicht. Das zeigt das Beispiel des Kundencenters der Migros Bank.
Der Anruf im Callcenter einer Bank beginnt oft mit einem negativen Kundenerlebnis. Als Kundin oder Kunde wird man für die Identifikation über Kontostand, letzte Transaktionen oder andere Details der Bankbeziehung befragt. Oft Weiß man spontan die Antworten nicht genau. Oder empfindet es schlicht als nervig, sich minutenlang mit Sicherheitsfragen herumschlagen zu müssen, statt dass das drängende Kundenanliegen zügig erledigt wird.
Trotzdem: Bei rund 50 bis 60 Prozent der Anrufe ist eine Kundenidentifikationen unabdingbar, damit das Kundenanliegen gelöst werden kann. Um die Identifikation einfacher und schneller zu gestalten, nutzen wir im Kundencenter der Migros Bank seit 2020 die automatische Stimmerkennung.
Hohe Bequemlichkeit und Sicherheit
Wie läuft die automatische Stimmerkennung ab? Wer das Kundencenter der Migros Bank anruft, kann sofort ins Gespräch einsteigen. Denn während man sich vorstellt und sein Kundenanliegen schildert, wird gleichzeitig im Hintergrund die Live-Stimme mit dem Stimmprofil verglichen, das man bei einem früheren Anruf aufnehmen ließ. Dieser Abgleich dauert gut 15 Sekunden. Verläuft die Identifizierung erfolgreich, erhält die Betreuerin bzw. der Betreuer auf dem Bildschirm ein positives Signal und kann sogleich die Beratung starten. Andernfalls werden die herkömmlichen Sicherheitsfragen gestellt.
Nicht nur punkto Bequemlichkeit ist die automatische Stimmerkennung dem System mit Sicherheitsfragen überlegen, sondern auch hinsichtlich Missbrauchsrisiko. Bei Sicherheitsfragen besteht nämlich das Risiko von Social Engineering: Durch Phishing oder andere kriminelle Praktiken können Unbefugte in den Besitz vertraulicher Informationen gelangen und so Identitäten vortäuschen. Das Stimmprofil dagegen ist eindeutig einer Person zugeordnet – dank Hunderten von charakteristischen Merkmalen wie Sprechgeschwindigkeit, Tonhöhe oder Betonung ist jede Stimme unverwechselbar. Das gilt insbesondere bei freiem Sprechen, wie es die Migros Bank zur Identifikation anwendet. Entsprechend sind der Migros Bank bislang keine erfolgreichen Betrugsversuche bekannt.
Wer als Kundin bzw. Kunde der Migros Bank auf die Vorteile der automatischen Stimmerkennung verzichten möchte, kann weiterhin die Identifizierung über Sicherheitsfragen wählen. Denn die automatische Stimmerkennung ist freiwillig. Nur wenn die Kundin oder der Kunde vorgängig explizit zustimmen, wird ein persönliches Stimmprofil aufgezeichnet (sogenanntes Opt-In-Verfahren). Es dient dann für die folgenden Anrufe als Basis für die Identifizierung. Das Stimmprofil kann jederzeit auf Kundenwunsch wieder gelöscht werden. Die Löschung erfolgt zudem automatisch drei Monate nach Auflösung der Bankbeziehung.
Pro Monat über 10’000 Identifikationen
Die Stimmerkennung erfreut sich einer hohen Kundenakzeptanz: Aktuell sind rund 100’000 Stimmprofile vorhanden. Damit macht bereits gut ein Zehntel unseres Kundenbestands von dieser Möglichkeit Gebrauch. Bezogen auf die Anrufer ist es sogar ein Fünftel – das zeigt, dass gerade Personen die Stimmerkennung nutzen, die wiederholt das Kundencenter kontaktieren. Insgesamt führen wir im Kundencenter pro Monat mehr als 10.000 Identifikationen mithilfe der automatischen Stimmerkennung durch, und zwar auf Deutsch (inklusive Schweizerdeutsch), Französisch und Italienisch.
Was kommt als Nächstes? – Mehr als nur Kundenidentifikation
Bereits heute erlaubt die Kundenidentifikation über die Spracherkennung die automatische Abfrage von Kontoständen. Künftig werden auch Auftragserteilungen möglich sein, z.B. Zahlungs- und Börsenaufträge oder Kartensperrungen. Letztere planen wir gegen Jahresende 2023 einzuführen. Bei Auftragserteilungen wird zusätzlich zur Spracherkennung eine zweite Identifikation erforderlich sein, z.B. die Bestätigung über die Online-Banking App.
Wir treiben den Einsatz von Spracherkennung laufend weiter voran – nicht nur zum Zweck der Kundenidentifikation. Wir verwenden sie auch, um Kundenanliegen effizient zu erfassen und zu triagieren. Zu diesem Zweck hat das Kundencenter im April 2023 als Ersatz der Tastenwahl (IVR) einen Voice-Bot eingeführt. Dieser begrüßt die Kundinnen und Kunden, erfragt ihr Anliegen und leitet die Anrufer ohne Wartezeiten direkt an die entsprechenden Betreuerinnen und Betreuer weiter. Dabei übernimmt der Voice-Bot nur das Erfassen des Kundenanliegens, nicht die Kundenidentifikation. Letztere erfolgt nachgelagert im Gespräch mit der Betreuerin bzw. dem Betreuer über die eingangs erwähnte automatische Spracherkennung oder über herkömmliche Sicherheitsfragen.
Im Mai 2023 wird der Voice-Bot weiter ausgebaut, indem er nicht nur an eine Betreuerin bzw. einen Betreuer verbindet, sondern bei den häufigsten Kundenanliegen auch direkt auf ein FAQ verweisen kann, beispielsweise durch die automatisierte Zusendung eines Links auf das Handy des Anrufers.
Fazit: Win-Win für Anrufer und Angerufene
Letztlich profitieren nicht nur die Anruferinnen und Anrufer vom Einsatz von Stimmerkennungssystemen, indem ihre Anliegen schneller erfasst und gelöst werden. Stimmerkennungssysteme bringen auch erhebliche Vorteile für die Betreuerinnen und Betreuer im Kundencenter. Diese werden einerseits von Identifikationsfragen entlastet. Andererseits – und das ist viel entscheidender – werden sie von einfachen und repetitiven Fragen entbunden, die an einen Voice-Bot abgegeben werden können.
So bleibt den Betreuerinnen und Betreuern mehr Zeit für anspruchsvollere Anfragen. Ihr Jobprofil wird dadurch vielseitiger und interessanter, und sie können sich besser um die Kundinnen und Kunden kümmern. Eine Win-Win-Situation also sowohl für die Anrufer als auch für die Angerufenen.
Urs Aeberli ist Koautor des Beitrags. Er ist Mitglied des Teams Unternehmenskommunikation und Pressesprecher bei der Migros Bank. Zuvor war er in verschiedenen Funktionen für Schweizer Medien tätig.