Banken streben mir der Digitalisierung mehrere Ziele an. Neben der Steigerung von Kundennähe und Erträgen sollen auch Kosten gesenkt werden. Dr. Dirk Vater von Bain & Company erläutert, was sie dabei beachten müssen und warum es auch in Zukunft noch Bankfilialen geben wird.
In ihrer jährlichen Studie zur Loyalität von Privatkunden zeigt die Unternehmensberatung Bain & Company aktuelle Herausforderungen für traditionelle Finanzinstitute auf. Darüber, welche dies sind und wie Banken und Sparkassen darauf reagieren sollten, habe ich mich ausführliche mit Dr. Dirk Vater, Leiter der Praxisgruppe Banken in der DACH-Region bei Bain & Company, unterhalten.
Im ersten Teil unseres Gesprächs ging es um die Herausforderungen aus immer niedrigeren Margen und steigenden Kosten sowie die Frage, wie Banken sich erfolgreich im Wettbewerb differenzieren können.
Gespräch mit Dr. Dirk Vater, Partner, Bain & Company
Im heutigen zweiten Teil zeigt Dirk Vater wie Banken die Herausforderungen der Digitalisierung angehen sollten und erläutert, warum Bankfilialen dabei auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden.
Banken müssen bei der Digitalisierung drei Prioritäten verfolgen
Der Bank Blog: Es besteht ja kein Zweifel, dass Filialbanken digital aufrüsten müssen, um mit den Kundenansprüchen mitzuhalten. Die Auswahl an möglichen technologischen Feldern ist schier erdrückend. Welche Prioritäten empfehlen Sie?
Dirk Vater: Wir unterscheiden drei Prioritäten. Zunächst einmal die sogenannten No-Regret-Moves. Das sind alle Maßnahmen, die eine Bank zur Digitalisierung ihres Geschäftsmodells ohnehin ergreifen muss. Dem folgen die „Options & Hedges“, also spezifische Differenzierungsthemen innerhalb des eigenen Geschäftsmodells. In diesen Feldern, in denen die Bank neue Wege gehen möchte, muss sie investieren, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Und zu guter Letzt muss jede Bank auch die eine oder andere Wette auf die Zukunft platzieren und für sich neue Geschäftsmodelle entwickeln, um neuen Konkurrenten etwas entgegensetzen zu können. Wir nennen das „Big Bets“.
Der Bank Blog: Was bedeutet dies für Banken und Sparkassen?
Dirk Vater: Bei den No-Regret-Moves handelt es sich um Erfordernisse des Markts. Darunter fällt die erste Welle der Digitalisierung mit Themen, die Kunden als selbstverständlich voraussetzen, so wie Online-Banking oder eine mobile App fürs Girokonto. In den kommenden zwei bis drei Jahren werden wir eine verstärkte Digitalisierung der nachgelagerten Wertschöpfungsstufen sehen, also bei den Middle- und Backoffice-Prozessen. Banken müssen hier mitmachen, um nachhaltig Kosten zu senken und ihre Überlebensfähigkeit zu sichern. Echte Differenzierung ist in diesem Bereich jedoch nicht möglich. Options & Hedges wiederum stehen in Zusammenhang mit der angesprochenen klaren Positionierung. Wenn Banken wissen, in welchen Bereichen sie sich wie aufstellen wollen, müssen sie dort angestammte Pfade verlassen, Neues versuchen und bei der Digitalisierung kräftig Gas geben. Ein Beispiel: Spielt das Wertpapiergeschäft in der Strategie eines Instituts eine dominierende Rolle, dann muss Robo-Advice mit angeboten werden, auch wenn das derzeit etwas kritisch gesehen wird. Tatsache ist, dass der Kunde es verlangen wird. Und keine Bank kann riskieren, nicht dabei zu sein.
Der Bank Blog: Um bei dem Beispiel einzuhaken: Sie haben es selbst angesprochen, dass Robo Advice nicht so „fliegt“ wie erwartet.
Dirk Vater: Für mich stellt sich die Frage, warum es noch keine Filialbank gibt, die einen Robo-Advisor intelligent in die Kundenberatung der Filiale eingebaut hat. Denn Robo-Advice ist eine standardisierte Beratungsplattform, die man gut integrieren kann. Damit ließen sich auch viele der Qualitätsprobleme beseitigen, die bei Testkäufen festgestellt werden.
Der Bank Blog: Und was verbirgt sich hinter den Big Bets?
Dirk Vater: Das Bankgeschäft leidet unter sinkenden Erträgen – insgesamt und bei den Margen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Wenn ein Institut wachsen will, braucht es neue, zusätzliche Geschäftsmodelle. Das sind die Big Bets. Und jede Bank muss für sich herausfinden, welche für sie attraktiv sind. In der Schweiz hat beispielsweise die PostFinance vor Kurzem ihre neue Hypothekenvermittlungsplattform „Valuu“ auf den Markt gebracht. Nutzer können über eine App ihre finanziellen Möglichkeiten für den Abschluss oder die Ablösung einer Baufinanzierung prüfen und das Ganze dann voll digital abwickeln. Die PostFinance glaubt an die Zukunft des Immobiliengeschäfts und will in diesem Segment vertreten sein.
Der Bank Blog: Können Sie noch weitere Beispiele nennen?
Dirk Vater: Die Development Bank of Singapore ist aus meiner Sicht die digitalste Filialbank der Welt. Sie hat unter anderem massiv in eine Plattform für Gebrauchtwagen investiert und gewinnt darüber einen Großteil ihrer Kfz-Finanzierungen.
Bankfilialen wird es auch in Zukunft geben
Der Bank Blog: Nachdem die Großbanken das Thema Filialschließung schon seit einigen Jahren weitgehend abgeschlossen haben, könnte man derzeit meinen, dass Sparkassen und Volksbanken darum kämpfen, wer am schnellsten die meisten Filialen schließt. Wo sehen Sie den stationären Vertriebskanal in fünf bis zehn Jahren?
Dirk Vater: Ich bin davon überzeugt, dass es auch in zehn Jahren noch einen Vertrieb von Bankdienstleistungen in Filialen geben wird – und muss. Aber es werden deutlich weniger Filialen sein. Wir rechnen mit einem Rückgang um 30 bis 50 Prozent. Das hat vor allem betriebswirtschaftliche Gründe, denn es wird sich nicht mehr rechnen, eine Filiale für ein Einzugsgebiet von 3.000 bis 4.000 Privatkunden aufrechtzuerhalten.
Der Bank Blog: Wie sieht Ihr Erfolgsrezept für die Filiale der Zukunft aus?
Dirk Vater: Die Filiale der Zukunft wird auf jeden Fall anders aussehen als heute. Für einfache Transaktionen werden Kunden nicht mehr hingehen, denn dafür gibt es bessere Möglichkeiten. Sie werden aber weiterhin eine Filiale aufsuchen, um sich persönlich beraten zu lassen. Das ist vergleichbar mit dem Gang zum Steuerberater oder Rechtsanwalt. Mit anderen Worten: Kunden werden seltener eine Filiale aufsuchen, und sie sind bereit, längere Wegstrecken auf sich zu nehmen, erwarten dann aber auch eine qualitativ hochwertige Beratung, die online nicht machbar ist.
Der Bank Blog: Wie sehen Sie denn überhaupt die Perspektiven für eine persönliche Finanzberatung?
Dirk Vater: Wir sehen drei Bedarfsfelder, in denen auch jüngere Kunden in Zukunft mit einem Berater sprechen wollen: komplizierte Baufinanzierungen sowie komplexe Anlage- und Vorsorgeberatungen. Dafür müssen sie nicht zwingend in eine Filiale gehen. Die Beratung kann auch per Video, Chat oder am Telefon erfolgen. In vielen Fällen werden Kunden aber trotzdem das persönliche Gespräch suchen, weil es eine Atmosphäre des Vertrauens schafft.
Der Bank Blog: Wir beobachten z.B. in England eine gegensätzliche Bewegung. Während die High Street Banken massiv Filialen geschlossen haben, machen neue Institute wie die Metro Bank Filialen auf. Wie beurteilen Sie das?
Dirk Vater: Die Metro Bank ist ein schönes Beispiel für eine Bank, die sich maximaler Kundenzufriedenheit verschrieben hat. Die Mitarbeiter sind freundlicher und kundenorientierter als in anderen Bankfilialen. Das macht nicht nur den Unterschied, sondern den Kunden auch Spaß. Man darf nicht vergessen, dass der Kunde viel Zeit für einen Filialbesuch investiert und deshalb darin einen Nutzen sehen muss. Wenn dies wie bei der Metro Bank gelingt, kommt der Kunde wieder.
Die Zahl der digitalen Bankkunden wird wachsen
Der Bank Blog: Wie groß schätzen Sie das Segment der Digital-Only-Kunden ein?
Dirk Vater: Das variiert nach Geschäftsfeldern. Im Wertpapiergeschäft sind heute 12 Prozent aller Kunden in Deutschland rein digital unterwegs. Bis 2025 werden es nach unseren Prognosen 35 Prozent sein.
Der Bank Blog: Ich komme noch einmal auf die zuvor erwähnte Studie zurück. Darin haben Sie ja – anders als viele vorangegangene Untersuchungen – festgestellt, dass immer mehr Verbraucher bereit sind, Finanzdienstleistungen auch von Technologieunternehmen zu kaufen. Für wie wahrscheinlich halten Sie die Apple, Google, Facebook oder Amazon-Bank?
Dirk Vater: Die Technologiekonzerne werden keine eigenen Bankprodukte anbieten oder eine Bank eröffnen. Davon hält sie schon die Regulatorik ab. Die Vermittlung von Bankprodukten ist jedoch eine sinnvolle Erweiterung ihrer Kundenplattform und sie können damit neue Erlöse generieren. Letztlich ist das ihr Cross-Selling.
Finanzinstitute müssen mehr aus ihren Daten machen
Der Bank Blog: BigTechs beneiden Banken um die Daten und Informationen über ihre Kunden. Was müssten die Institute tun, um aus dem digitalen Gold der Zukunft einen Vorteil zu erlangen?
Dirk Vater: Die Daten eines Girokontos sind gut. Doch Google und Amazon verfügen über bessere Informationen. Nehmen Sie beispielsweise den Einkauf im Supermarkt, den Sie per Girocard bezahlen. Im Girokonto sieht die Bank nur den Ort der Zahlung. Viel interessanter ist allerdings, was gekauft wurde. Amazon sieht genau, wofür sich die Kunden interessieren und was sie kaufen. Daraus lassen sich individuelle Profile erstellen und passgenaue Kaufimpulse setzen. Für die Banken wird es entscheidend sein, die vorliegenden Informationen sinnvoll mit anderen Daten anzureichern.
Der Bank Blog: Das sollte aber doch nicht so schwierig sein, oder?
Dirk Vater: Für die Banken ist der Regulator die größte Hürde. Sie dürfen schlichtweg nicht alles, was sie gerne möchten.
Der Bank Blog: Und wenn die Kunden dem zustimmen?
Dirk Vater: Genau das ist die Herausforderung. Bei den bisherigen Opt-in-Kampagnen der Banken waren die Zustimmungsraten der Kunden extrem schlecht. Das liegt nicht zuletzt am aus Kundensicht angeschlagenen Image der Institute. Die Kunden unterstellen den Banken, mit den Daten vor allem eigene Interessen zu verfolgen, statt den Kundennutzen zu erhöhen. Die Kunden zu überzeugen und ihre Zustimmung zu erhalten, wird für die Banken kein leichtes Unterfangen sein. Da haben sie noch ein dickes Brett zu bohren.
Der Bank Blog: Herzlichen Dank für das Gespräch.
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