Gemäß Bill Gates braucht man Banking, aber nicht unbedingt Banken. Ein rasanter Strukturwandel, mit dem Banken nur schwer mithalten, mag als Beleg dafür dienen. Um relevant zu bleiben, müssen Kreditinstitute ihre Innovationen und Initiativen sorgfältig auswählen.
Die Banking Community und alle Beobachter der Bankenlandschaft kommen einhellig zum Schluss, dass das Banking mitten in einem tiefgreifenden und fundamentalen Umbruch steckt. Die Dramatik der Situation wird vielleicht noch zutreffender beschrieben – und auch darin besteht weitreichender Konsens – wenn man konzediert, dass das Bankwesen vielmehr am Anfang einer Wand der Umwälzung der gesamten Branche steht, die primär durch folgende Faktoren gekennzeichnet ist:
- Digitale Wettbewerber und Neueinsteiger schlagen etablierte Banken mit besseren, schnelleren und günstigeren Lösungen für Kundenprobleme. Aufsetzend auf automatisierten und digitalen Prozessen bieten sie eine einfache und intuitive User Experience und ein insgesamt überlegenes Angebot.
- Moderne Technologien ermöglichen gänzlich neue Wege der Wertschöpfung. Die wesentlichen Trends im Bereich Mobile first, Cloud Computing, Open Technologies sowie Künstliche Intelligenz bedingen gleichzeitig neue Kompetenzen innerhalb der Bank.
- Kundenbedürfnisse und -erwartungen entwickeln sich ständig weiter – auf den Status Quo bei Produkt- und Dienstleistungsgestaltung zu hoffen, ist keine Option. Etablierte Banken müssen sich von der generischen, linearen Kundenerfahrung verabschieden, wenn sie ihren Kundenstamm halten und ausbauen wollen.
Verschiedene Themen auf der Banking-Agenda
Um dieser Umwälzung zu begegnen, befassen sich Banken erkennbar mit zahlreichen, unterschiedlichen und durchaus erforderlichen Themen. Im Wesentlichen konzentrieren sich die unternommenen Anstrengungen auf die digitale Transformation der Bank, flankiert u.a. durch Aktivitäten im Bereich Talentakquisition, Kultur und Governance.
Vor allem das Thema Customer Engagement stellt hierbei eine der wichtigsten Prioritäten dar. Die Banken zielen darauf ab, ihre angebotenen Produkte und Dienstleistungen besser auf die Bedürfnisse und Interaktionspräferenzen der Kunden, abzustimmen. Mit einer Reihe von Technologien und Kanalstrategien bereiten sie sich darauf vor, ihre eigene Reichweite zu vergrößern, u. a. auch mit dem Einsatz von Internet der Dinge (IoT), KI und kognitiven Lösungen sowie in zunehmendem Maße auch durch die Verwendung offener APIs. Diese Maßnahmen werden oftmals von Infrastrukturmodernisierungen unterstützt. Einen wesentlichen Schwerpunkt stellt hierbei neben Effizienz und Skalierbarkeit die Resilienz dar,– also die Fähigkeit, sowohl lokalen als auch globalen Störungen aller Art standzuhalten, von Systemausfällen über Skalierbarkeit bis hin zu Störungen der Service-Levels.
In diesem Zusammenhang rückt auch der sichere Zugang zu Informationen, der Schutz dieser Daten und die Möglichkeit, Transaktionen auf der Grundlage dieser Informationen durchzuführen, zunehmend in den Fokus der Banken. Das Risiko-, Compliance- und Sicherheitspersonal der Institute steht unter enormem Druck, den Zugang zu Daten zu ermöglichen und gleichzeitig sicherzustellen, dass diese Ressourcen nicht anfällig für Verstöße sind und dass Transaktionen nicht im Widerspruch zu etablierten regulatorischen Richtlinien und Bankrichtlinien durchgeführt werden.
Darüber hinaus stehen Themen wie Open Banking und Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) auf der Transformationsagenda der Banken und gewinnen zunehmend an Momentum, um der zunehmenden Dynamik von Herausforderern, Partnern, Dienstleistern und dem wachsenden Interesse und Druck von Kunden und Öffentlichkeit gerecht zu werden.
Mehr Tempo ist gefragt
Die operationelle Relevanz rückt im momentanen Marktumfeld für eine Vielzahl an Banken etwas in den Hintergrund, was zum einen auf die Dringlichkeit der oben beschriebenen Themen und zum anderen auf die Erwartung zurückzuführen ist, dass die neu entwickelten Lösungen bereits Effizienzgewinne mit sich bringen.
Zugegebenermaßen wenden Banken enorme Ressourcen auf, um die vielschichtigen und interdependenten, aber notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, also um sich dem Wandel zu stellen und ihre immanenten Schwächen zu beheben.
Dennoch entsteht der Eindruck, dass Banken mit der Geschwindigkeit der Veränderung im Banking nicht Schritt halten können. Man könnte etwas salopp sagen, dass sich das Banking rasant entwickelt, aber die Banken, die eigentlichen Träger des Banking, mit diesen Veränderungen nicht schritthalten; bestenfalls wird der Status Quo „digitalisiert“. Und somit laufen Banken Gefahr, an Relevanz fürs Banking (weiter?) zu verlieren.
Fehlende Wirkung von Transformationsprojekten
Doch woran liegt es, dass die initiierten Programme, trotz ihrer hohen Intensität nicht so recht Wirkung entfalten?
Liegt das an den üblicherweise genannten Faktoren, die beim Scheitern von Transformationsprojekten ins Land geführt werden, wie etwa fehlende Ressourcenausstattung, mangelnde Kompetenzen neuer Technologien oder ungenügende organisatorische Unterstützung und Verankerung? Nein, sicherlich ließen sich auf diesem Feld Verbesserungspotentiale nennen, aber Banken zeigen auch aktuell, dass sie durchaus in der Lage sind, komplexe Projekte erfolgreich umzusetzen.
Oder liegt es an einer ungünstigen Auswahl bzw. Priorisierung der Initiativen, nimmt man sich gar der falschen Themen an, oder hat einfach die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt? Wohl eher nicht, denn wir haben eingangs schon geschildert, welche notwendigen Anstrengungen unternommen werden und auch die Fülle an gleichlautenden Artikeln kommen zur selben Aussage. Ein Mangel an Erkenntnis dürfte demnach nicht vorliegen.
Fehlen echte Innovationen im Banking?
Sind die angestrebten Lösungen nicht innovativ genug? Für sich genommen, als isolierte Initiative, sind sie notwendig und stellen auch durchaus Innovationen dar (zumindest für die Bank selbst, von den Kunden wird das nicht immer gleichermaßen innovativ wahrgenommen). Aber nun kommen wir u.E. den Dingen auf die Spur, denn diese eher fragmentierten Innovationen sind oft weniger wirkungsvoll als gewünscht, weil sie keine relevante Innovation des Geschäftsmodells darstellen. So stellt bspw. die Studie „Roland Berger Retail Banking Survey“ aus dem Jahr 2021 fest, dass der Fokus bei Retailbanken vor allem auf bestehenden Produkten und Prozessen liegt, und darüber hinaus keine Entwicklung des Geschäftsmodells zu beobachten ist – und das, obwohl die Konkurrenz und der Handlungsdruck innerhalb der Branche enorm ist.
Mit Gassmann et al (2013) sehen auch wir eine Geschäftsmodellinnovation dann für gegeben, wenn 2 der folgenden 4 Elemente, nämlich Kunde (Wer?), Nutzenversprechen (Was?), Wertschöpfungskette (Wie?) und Ertragsmechanik (Wert?), geändert werden – andernfalls liegt eher eine Produkt- oder Prozessinnovation vor. Letztlich steht bei einer Geschäftsmodellinnovation immer der Kunde im Zentrum der Überlegungen und weniger die Bank selbst. (nota bene: Ist es nicht bemerkenswert, dass KYC, also Know Your Customer, von Banken vor allem als Compliance-Herausforderung betrachtet wird, aber kaum als strategisches, steuerungsrelevantes Thema? Und dies vor dem Hintergrund, dass die Internetgiganten und anderen Datenspezialisten bereits verkünden, den Kunden besser zu kennen, als der sich selbst).
Insofern muss man konzedieren, dass sozusagen die Innovationsambitionen der Banken nicht ausreichen. Dies scheint nur erreichbar durch Innovation bzw. innovative Neu-Kombination des Nutzenversprechens, was eine Weiterentwicklung des Geschäftsmodells bedeutet. Wer demnach langfristig relevant bleiben und im Banking erfolgreich bestehen will, sollte die zukünftige Lebensführung seiner Kunden antizipieren und entsprechend attraktive Produktangebote entwickeln
Das Konto als zentrales Bankprodukt der Kundenverbindung
Am Konto als konkretes Beispiel wollen wir unsere Überlegungen veranschaulichen: Das Konto ist das zentrale Bankprodukt einer jeden Kundengeschäftsverbindung. Im Kern kommt hier alles zusammen, was die Bank über ihren Kunden hat und weiß. Tatsächlich nimmt das Konto aber weder aus Sicht des Kunden, noch aus Sicht der Bank einen hohen Stellenwert ein. Für den Kunden ist es sicherlich alles andere als ein Lifestyle-Produkt, es erfüllt eben wichtige Funktionen des Alltags und der Haushaltsführung (Gehaltseingang, Rechnungen zahlen, etc.). Banken wiederum betrachten das Konto oft nicht mehr als einen Kostenfaktor und organisatorische Hülle für andere Bankprodukte.
Nun kommt aufgrund der eingangs bereits detailliert aufgeführten Faktoren des Wandels im Banking das Konto sozusagen weiter unter Druck. Kunden können mittlerweile zahlreiche Kontofunktionen, insbesondere Zahlungen, ganz bequem, ohne Medienbrüche vollständig integriert im für den Kunden eigentlich relevanten Geschäftsvorgang (z.B. beim Kauf) ausführen. Durch das Angebot externer Dienstleister muss für diese Transaktion, nicht mal das Bankkonto direkt eingebunden sein. Aus Kundensicht stellt sich immer mehr die Frage, wieso er überhaupt bei einer Bank sein sollte, wenn alle Funktionalitäten, die für ihn relevant und nützlich sind, anderswo besser angeboten werden.
Banken innovieren hinterher
Banken reagieren hierauf mit Produkt- oder Prozessinnovationen. Sie modernisieren ihr Online-Banking, entwickeln neue Apps, verbessern die User Experience für Zahlungen, zum Einrichten von Daueraufträgen und vieles mehr. Allerdings stellt dies für Kunden weit weniger eine Innovation dar, denn Kunden kaufen nicht, um zu bezahlen, sondern bezahlen, um zu kaufen. Zugespitzt auf den Punkt gebracht: Banken innovieren hinterher.
Wie nun behauptet, wären also Geschäftsmodellinnovationen erforderlich, um mit dem Struktur-wandel im Banking Schritt zu halten, ggf. sogar dem Wandel voraus zu sein. Ein solches Beispiel aus unserer Sicht sind die aktuellen Initiativen, das Konto zum zentralen Dreh- und Angelpunkt für die „Haushaltsführung“ des Kunden zu verankern. Das bedeutet die Sphäre der Zahlungen und Zahlungs-ströme mit der dokumentären Sphäre und den Dokumentströmen zu verknüpfen. So können die Rechnungen direkt den Konten der jeweiligen Rechnungsempfänger zugestellt werden, der Konto-inhaber kann dort die Rechnung kontrollieren, ggf. zurückgeben und eine vollständig fehleingabenfreie Zahlung anstoßen. Vom Gehaltseingang, über die Archivierung von Rechnungs- und Zahlungsbelegen bis hin zur Steuererklärung, Altersvorsorge oder Kreditaufnahme werden alle Dokumente am gleichen Ort zusammengehalten und konsistent organisiert. Die Bank kann auf diesem Weg sogar die Kundenbeziehung intensivieren und durch Cross Selling ihr Wertangebot um maßgeschneiderte Services und Dienstleistungen ergänzen. Zwangsläufig führt dies aber auch zu vielleicht überraschenden, neuen Wettbewerbs- und Konkurrenzlinien, z.B. mit digitalen Dokumentenverwaltungsanbietern oder Postzustellern; Wettbewerbssituationen werden fluider und Marktgrenzen verschwimmen.
Banken brauchen Geschäftsmodellinnovationen
Wir konstatieren: Banken sind innovativ und fortschrittlich, innovieren allerdings eher fragmentiert und eindimensional. Um dem fundamentalen Strukturwandel zu begegnen, sind demnach vor allem Geschäftsmodellinnovationen erforderlich, reine Produkt- und Prozessinnovationen greifen zu kurz. Wir haben erörtert, was eine solche Geschäftsmodellinnovation auszeichnet und dies am Beispiel eines banktypischen Produkts, dem Konto, und anhand aktueller Entwicklungen konkretisiert. Derartige Initiativen finden wie beschrieben statt, es muss und wird künftig deutlich mehr davon geben. In Anlehnung an einen politischen Klassiker könnte man also sagen: Mehr Geschäftsmodellinnovation wagen!
Niemand kann davon ausgehen, dass es sich hier um ein relativ kurzzeitiges Phänomen der Umwälzung handelt, auf das man mit ein, zwei tiefgreifenden Modernisierungs- und Innovationsinitiativen reagiert und danach wieder auf der Höhe der Zeit ist und business as usual betreibt. Vielmehr ist die Umwälzung selbst bzw. die Wandlungsfähigkeit Wesensmerkmal des Banking geworden. Deshalb liegt auf der Hand, dass Banken nicht nur ihre Anstrengungen hinsichtlich der oben ausgeführten Geschäftsmodellinnovation intensivieren werden, sondern parallel dazu die Aufgabe zu bewältigen haben, diese Innovationsfähigkeit in ihren Instituten zu verstetigen und dafür die technologische, organisatorische und kulturelle Basis zu schaffen.
Matthias Mersdorf ist Koautor des Beitrags. Er ist Director im Risk Management & Controlling Team innerhalb von Banking & Capital Markets bei BearingPoint, insbesondere verantwortlich für Treasury Risk und Operational Risk. Schwerpunkt sind die Definition von fit-for-purpose Risikoarchitekturen und -prozessen sowie deren Umsetzung und Etablierung in Transformationsprojekten.
Roderick Unterschemmann ist Koautor des Beitrags. Er ist Consultant bei BearingPoint im Bereich Data Management & Strategy und unterstützt bei der Umsetzung von Risiko- und Finanzarchitekturen-Modernisierungen. Neben der Analyse und Modellierung von Anforderungen liegt sein Schwerpunkt auch auf der Umsetzung innovativer Technologielösungen.