Klassische Wertschöpfungsketten brechen auf. Produkte sind Teil viel größerer, übergreifender Leistungsbündel. , Komfortabel und schnell bieten sie Kunden unmittelbaren Mehrwert. Wie können Banken diesem Wandel begegnen, bevor sie den Anschluss verlieren?
Prominente Tech-Unternehmen wie Airbnb, Apple, oder der chinesische Konzern Alibaba etablierten in den letzten Jahren Geschäftsmodelle, die darauf abzielen verschiedenste Akteure mit individuellen Stärken in Netzwerken einzubinden. Der Trend geht weg von linearen Wertschöpfungsketten hin zu multilateralen Gemeinschaften. Auch der Finanzsektor macht vor dieser Entwicklung nicht halt. Dennoch bleibt die Frage, wie Finanzdienstleister mit solch einem weitreichenden Paradigmenwechsel umgehen müssen.
Wertschöpfungsketten brechen auf
Der Zimmervermittler Airbnb bot Anfang 2020 Zugang zu mehr als 7 Millionen Unterkünften. Zum Vergleich: Marriott International, eine der größten Hotelgruppen der Welt, kommt nur auf etwa 1.4 Millionen Gästezimmer. Im Gegensatz zur Hotelgruppe erschloss Airbnb ein quasi unangetastetes Feld: Private Wohnungen, welche je nach Belieben des Bewohners ganz oder teilweise für Aufenthalte zur Verfügung gestellt werden können. Airbnb stellt sich als unterstützender Partner auf, welcher Reisenden Zugang zu Unterkünften schafft und diese dabei mit den jeweiligen Wohnungsbesitzern bzw. Mietern verknüpft. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.
Auch im Finanzbereich werden mehr und mehr Rufe nach starken Partnerschaften laut. Die singapurische DBS Bank ist hier ein Vorreiter und treibt Partnerschaften in sogenannten Geschäftsökosystemen seit Jahren sukzessive voran. Während seit dem Jahr 2017 stark in den Ausbau der erforderlichen technischen Infrastruktur investiert wurde, trieb die DBS anschliessend Partnerschaften mit Händlern, Versicherern, Telekommunikationsunternehmen, FinTechs, etc. voran.
Unternehmen wie Airbnb oder die DBS haben verstanden, dass heutige Technologien neue Geschäftsmodelle ermöglichen, nämlich die flexible Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten zu vollumfänglichen Leistungen, welche nicht durch einzelne Unternehmen alleine erbracht werden können. Noch dazu rückt der Kunde mit seinen individuellen Bedürfnissen immer mehr ins Zentrum des Geschehens und wird durch die zunehmende Digitalisierung mehr und mehr aktiver Teil der Leistungserbringung. Lineare Wertschöpfungsketten brechen als Folge auf und es entstehen multilaterale Beziehungen zwischen verschiedenen Parteien, deren Leistungen einander sinnvoll ergänzen.
Geschäftsökosysteme als notwendiges Konzept der Zukunft
Das Konzept der Geschäftsökosysteme lehnt sich dabei an die Ökologie an: Die Metapher beschreibt, wie unterschiedlichste Parteien mit ihren ganz eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten zusammenkommen und gemeinschaftlich Wert generieren und sich in diesem Prozess gegenseitig unterstützen. Dabei entstehen hoch dynamische Netzwerke, welche aus Partnern und sogar Konkurrenten bestehen, die sich nicht mehr nur einer einzigen Branche zuordnen lassen.
Und genau das macht die Magie aus: Leistungen in Ökosystemen wachsen um konkrete Bedürfnisse herum. Erst verschiedenartige, sich jedoch ergänzende Leistungen, formen dabei die Gesamtlösung über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg. Dieser Trend wird durch technologische Neuerungen, beispielsweise „decentralized Finance“, ergänzt. Hier steht die Verwendung von dezentralisierten Netzwerken (z.B. auf Basis von Distributed Ledger Systemen) und Open-Source-Software zur Schaffung verschiedener Arten von Finanzdienstleistungen im Vordergrund.
Die DBS Bank versteht sich in solchen Ökosystemen als integraler Bestandteil, der einerseits seinen Kunden scheinbar unsichtbar jedoch spürbar einen unmittelbaren Mehrwert bietet. Andererseits gewährt sie hier passenden Partnern Zugang zu den eigenen Kunden. Die so entstehenden Netzwerke lassen Unternehmensgrenzen fast verschwimmen und sorgen so für ein weitestgehend reibungs- und nahtloses Kundenerlebnis. Bedürfnisse werden hier gemeinsam mit den Partnern ganzheitlich identifiziert und in allen Nuancen befriedigt.
Finanzdienstleister können Ökosysteme erfolgreich erschließen
Oftmals wird das Konzept der Ökosysteme mit einschlägigen Technologie-Giganten wie Google, Uber, oder Alibaba gleichgesetzt. Diese Unternehmen haben sich seit Jahren als erfolgreiche Ökosystem-Orchestratoren etabliert. Fraglich ist, wo und wann sich ein neuer Spieler so erfolgreich entwickeln wird. Klar ist, nicht jedes Unternehmen wird es schaffen, Ökosysteme in ähnlicher Größe und Tragweite zu entwickeln. Doch wie können Finanzdienstleister trotzdem die Kraft des Konzeptes für sich nutzen und sich erfolgreich in Ökosystemen positionieren?
3 Fragen zur Erschließung von Ökosystemen
Drei grundlegende Fragen helfen dabei, sich der Erschließung von Ökosystemen schrittweise zu nähern, alte Denkmuster zu verlassen und das eigene Unternehmen schließlich erfolgreich in Ökosystemen zu positionieren:
- Was sind die Bedürfnisse und die Gesamtleistung aus Kundensicht?
- Durch welche Servicebausteine können die Bedürfnisse befriedigt werden?
- Welche Rolle nimmt das eigene Unternehmen ein und wer kann unterstützen?
In dieser vereinfachten Form lässt sich ermitteln, für welche der Bedürfnisse der Kunde eine Lösung sucht bzw. durch welche sinnvolle Kombination von Leistungen und Partnern die Bedürfnisse ganzheitlich befriedigt werden können.
1. Was sind die Bedürfnisse und die Gesamtleistung aus Kundensicht?
Die Frage scheint zunächst trivial, jedoch ertappt man sich oftmals dabei, bereits in (bekannten) Lösungen zu denken und nur einzelne Aspekte zu beleuchten. Bei dieser Frage geht es vor allem darum, die Gesamtleistung aus der Kundenperspektive zu betrachten. Ein Finanzierungsprodukt ist beispielsweise meist nur Mittel zum Zweck, um ein ganz anderes, komplexeres Bedürfnis zu befriedigen. So z.B. das Bezahlen, das je nach Kontext ein Mittel zum Zweck darstellt und weniger das zugrundeliegende Bedürfnis. Es geht hierbei insbesondere darum, den konkreten Mehrwert des Kunden, den User Value, in seiner Gesamtheit zu erfassen.
2. Durch welche Servicebausteine können die Bedürfnisse befriedigt werden?
Wichtig ist, sich von bestehenden Denkmustern zu lösen: Weg von Tätigkeiten in einem Prozess hin zu Servicebausteinen, die sich durch clevere Kombination in ein Gesamtangebot fügen. Einzelne komplementäre, das heißt sich sinnvoll ergänzende, Leistungen werden miteinander verbunden und bieten dem Kunden eine nahtlose und doch ganzheitliche Leistung an. Diese adressiert die Bedürfnisse aus Kundensicht vollumfänglich. Innerhalb der so entstehenden Leistungskonstellation kann dabei gezielt der Mehrwert des eigenen Unternehmens identifiziert werden. Dabei gilt es, die eigenen Stärken zu identifizieren und konsequent ausspielen!
3. Welche Rolle nimmt das eigene Unternehmen ein und wer kann unterstützen?
Die Stärken auszuspielen heißt, aktiv zu prüfen, welche Services selbst angeboten und welche durch gezielte Partnerschaften sinnvoll ergänzt werden können. Einerseits stellt diese Frage das eigene Serviceangebot auf den Prüfstand, denn nur im Kontext relevante Services sollten im Ökosystem eingebracht werden. Darüber hinaus wirft es die Frage auf, wie Leistungen angeboten werden, beispielsweise durch eine moderne technologische Infrastruktur. Zusätzlich sollten andere Parteien aktiv bei der Teilnahme im Ökosystem unterstützt werden. Der Wert des Netzwerks steigt mit der Anzahl der Teilnehmer und der Erfolg der eigenen Positionierung ist abhängig vom Erfolg der Anderen.
Kooperation statt Konkurrenz – Banken, FinTechs und andere Partner finden zusammen
Die Anzahl von Kooperationen zwischen Banken, FinTechs, Softwarefirmen und anderen klassischen Unternehmen nimmt seit Jahren rasant zu. Laut einer Studie von PwC nahmen allein die Kooperationen zwischen Banken und FinTechs zwischen 2014 und 2019 fast um das zehnfache zu.
Spitzenreiter bei der Kooperationsgrundlage waren Partnerschaften in den Themengebieten Investment (Investmentprodukte anbieten, optimieren oder vertreiben wie z.B. Robo Advisor oder Vermittlungsplattformen) und Finance (Finanzierungen anbieten, vermitteln oder optimieren, CrowdFunding, CrowdInvesting, CrowdLending, Factoring, Leasing oder Vergleichsplattformen). Durch clevere Kooperationen bzw. die Entstehung von branchenbergreifenden Ökosystemen lassen sich Kundenbedürfnisse besser verstehen und vor allem ganzheitlicher adressieren.
Die DBS Bank aus Singapur macht es öffentlichkeitswirksam vor. Allein 2019 schloss die DBS zehn strategische Plattformpartnerschaften mit Partnern wie KFC, SISTIC und AXS oder lancierte den DBS Travel Marketplace mit Partnern wie Singapore Airlines, Expedia Partner Solutions und Chubb. Finanzdienstleistungen sind hier nur Teile von viel umfassenderen Lösungen entlang der eigentlichen Kundenbedürfnisse. Auch in Europa finden sich mehr und mehr Banken, die sich erfolgreich in Netzwerken positionieren. Die ING orchestriert dabei hoch spezialisierte Partner mit passgenauen Leistungen im Sinne des Kunden in verschiedenen Ökosystemen.
Finanzdienstleistungen sind weiterhin hoch relevant und aus Ökosystemen nicht wegzudenken, wie das Beispiel Uber zeigt. Der Mobilitätsanbieter verspricht über den neuen Service «Uber Money» seinen Fahrern und perspektivisch Kunden Zugriff auf Finanzprodukte wie Bankkonten und Kreditkarten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Verweis von Uber, auf einer eigenen Microsite mögliche Partnerschaften rund um das Thema Uber Pay zu ermöglichen. Entwickler sollen dementsprechend die APIs von Uber nutzen, um zum Beispiel neue Payment-Methoden für Uber zu ermöglichen oder Kundenbindungsprogramme rund um «Uber Money» zu entwickeln.
Erschließung von Ökosystemen als Differenzierungsmerkmal
Ökosysteme gewinnen zunehmend an strategischer Bedeutung. Kundenbedürfnisse können ganzheitlich identifiziert und gezielt adressiert werden. Einzelnen Teilnehmer wie Banken oder FinTechs können dabei mit ihren ganz individuellen Stärken im Netzwerk partizipieren. Das bringt Relevanz und damit einhergehend einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil. Nicht alle Leistungen müssen selbst erbracht werden, sondern können auch durch Leistungen möglicher Partner ergänzt werden. Dabei werden zukünftig vor allem Fähigkeiten wie funktionsübergreifendes Denken oder die Einnahme einer gemeinsamen Perspektive auf die Kundenbedürfnisse entscheidend sein. Durch enge Partnerschaften im Ökosystem können sich Banken positionieren und die eigene Relevanz nachhaltig sicherstellen.
Christian Betz ist Koautor des Beitrags. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Business Engineering Institute St. Gallen und Doktorand am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen. Zuvor war er als Berater an der Schnittstelle zwischen Technologie und Strategie tätig und unterstützte führende Finanzinstitute im Bereich Digitalstrategie.