Die Immobilienwirtschaft leidet unter hohen Zinsen und sinkenden Preisen. Gleichzeitig steigt der Wohnraumbedarf. Drei Mega-Trends werden die Branche mittelfristig grundlegend verändern. Finanzinstitute müssen reagieren, um die Herausforderungen erfolgreich zu meistern.
Schnell steigende Zinsen und erstmals seit vielen Jahren fallende Preise sorgen auf dem Immobilienmarkt für eine angespannte Stimmung. Zum einen ist die absolute Zahl von Menschen, die sich eine eigene Immobilie leisten können, kleiner geworden. Zum anderen kann es sich der mit ausreichend Kaufkraft und Eigenkapital ausgestattete Käuferkreis leisten, abzuwarten, ob die Preise für Wohnungen und Häuser noch weiter sinken. Das Verhältnis von Verkäufern und Käufern, Angebot und Nachfrage, sucht ein neues Gleichgewicht.
Wie lange es dauert, bis sich ein neues Marktgleichgewicht einstellt, ist schwer vorherzusagen. Wir gehen derzeit von vier bis acht Quartalen aus. Diese Zeitspanne hängt von vielen Faktoren ab. Ein sehr wichtiger Faktor ist der Krieg gegen die Ukraine, der erst zu explodierenden Energiepreisen, hoher Inflation und als Gegenmaßnahme zu steigenden Zinsen geführt hat.
Gleichzeitig sind wir fest davon überzeugt, dass es ein „back to normal“ nicht geben wird. Das „new normal“ sind dynamische welt- und geopolitische Rahmenbedingungen, die sich aus dem hegemonistischen Bestreben der Wirtschafts- und Militärblöcke sowie aus der Herausforderung der über allem schwebenden globalen Erwärmung ergeben.
Geschäftsmodell Baufinanzierung funktioniert, weil Bedarf an Wohnraum steigt
Doch eines ändern all diese Dinge nicht: den großen Bedarf an Wohnraum in Deutschland, der zukünftig weiterwachsen wird. Zum einen hat sich in der Corona-Pandemie der Wunsch vieler Menschen nach den eigenen vier Wänden verstärkt. Zum anderen nehmen der jetzt schon wachsende Flächenbedarf des Einzelnen und auch der Anteil an Singlehaushalte weiter zu. Zusätzlich verzeichnen wir in Deutschland in den letzten zehn Jahren eine starke, benötigte Zuwanderung. Die derzeit diskutierte Liberalisierung der Einwanderungsgesetze wird den Bedarf an Wohnraum weiterhin positiv beeinflussen.
Der neue Wohnraum muss und wird finanziert und gebaut werden und so wird die Nachfrage nach Immobilienfinanzierungen wieder steigen. Sicher werden flankierende Maßnahmen und Impulse von staatlicher Seite nötig sein, wie wir sie schon aus der Vergangenheit kennen – aus direkter oder indirekter Förderung des Wohnungsbaus. Das Ziel der Regierung, pro Jahr mindestens 400.000 Wohnungen zu schaffen, bleibt vor dem Hintergrund der beschriebenen Bedarfshaltungen sicher unwidersprochen. Das Business-Modell Baufinanzierung wird daher auch in Zukunft funktionieren und die zentrale Erlösquelle im Privatkundengeschäft für Banken und Sparkassen bleiben.
Klar ist, dass die Zinsentwicklung eine relevante Größe bleibt. Letztlich sehen wir seit dem Frühjahr 2022 das Ende einer langen Niedrigzinsphase, die seit der Finanzkrise 2009 anhielt. Alle Akteure des Immobilienmarkts werden sich wieder an ein Preis- und Zinsniveau gewöhnen müssen, das einen fairen Ausgleich zwischen Investoren, Verkäufern und Käufern sowie Kapitalgebern und Kreditnehmern sicherstellt.
Drei mittelfristige Einflüsse auf die Immobilienbranche
Unabhängig von der aktuellen Zinslage und dem in der zweiten Jahreshälfte 2022 eingebrochenen Baufi-Geschäft sehen wir in den kommenden Jahren drei Faktoren, die die Immobilienbranche stark beeinflussen werden:
- Energetisches Bauen treibt die Bau- und Immobilienwirtschaft,
- Trend der Plattform-Ökonomisierung auch im Bereich „Wohnen & Leben“,
- Starke Verbraucherintegration in den Kaufprozess bis hin zum „Kaufbutton am Immobilienangebot“.
1. Energetisches Bauen treibt die Bau- und Immobilienwirtschaft
Der erste und wichtigste Einflussfaktor ist das energetische Bauen und Sanieren. Um die globale Erwärmung abzubremsen, müssen wir weniger Treibhausgase produzieren. Die Bau- und Immobilienbranche verursacht laut einer Studie des Weltwirtschaftsrats für nachhaltige Entwicklung 38 Prozent des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes. Diesen Wert gilt es drastisch zu senken. Hinzu kommen hohe Energiepreise, denen wir mit Verhalten und Technologien begegnen können, die deutlich weniger Energie verbrauchen beziehungsweise die benötigte Energie nachhaltig generieren.
Alle Bereiche der Branche müssen optimiert werden, um deren Gesamtökobilanz zu verbessern. Das beginnt beim energieeffizienten Bau mit nachhaltigen Materialien und impliziert eine effiziente Wärme- und Kälteversorgung. Dazu zählt auch ein möglichst niedriger Stromverbrauch, am besten aus erneuerbaren Energiequellen in Selbstversorgung – Stichwort Photovoltaik. Außerdem ist es wichtig, Baustoffe im Kontext einer echten Kreislaufwirtschaft wiederzuverwenden.
Langfristiges Ziel ist ein klimaneutraler Gebäudebestand. So können energetisches Bauen und Sanieren helfen, die von der Bundesregierung bis 2045 angestrebte Treibhausgas-Neutralität zu erreichen. Besonders die Sanierung des Immobilienbestands und deren Finanzierung wird in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen. Die Politik hat für Neubauten und Sanierungen erste Förderprogramme über die KfW und die Landesförderanstalten aufgelegt, welche durch weitere Angebote ergänzt werden sollten.
2. Plattformökonomie im Bereich „Wohnen & Leben“
In der Studie „Plattformökonomie im Banking“ haben wir gemeinsam mit der Hochschule Niederrhein untersucht, welche Chancen Digitalisierung und Plattformen für die Finanzbranche bringen. Eines der zentralen Ergebnisse: Menschen übertragen Erfahrungen von Amazon, Spotify, Booking.com & Co. aus ihrem privaten Alltag auf ihre Finanzgeschäfte und erwarten von ihrer Bank ein lösungsorientiertes, transparentes und unabhängiges Leistungsangebot.
Im Wettbewerb gewinnen werden die Institute, die diese Kundenerwartungen am besten erfüllen. Deshalb ist das konsequente Etablieren der Plattformökonomie der zweite Einflussfaktor.
Am Beispiel der Immobilie bedeutet dies, die Anwendungsfälle deutlich auszubauen, die ein Kunde für sein selbstbewohntes oder vermietetes Objekt durch seine Hausbank angeboten bekommt. Für Anbieter entsteht die Chance, Wertschöpfungsketten entlang der Customer Journey auszubauen und zu stärken.
Markttransparenz und Flexibilität tragen wesentlich dazu bei, Kunden in der eigenen Plattformökonomie zu binden. Das Kundenverhalten beim Abschließen von Baufinanzierungen, Ratenkrediten oder Versicherungen beweist den Trend hin zum Vergleich. Zusätzlich wirkt die allgemeine Teuerung rund um die Immobilie, die Finanzierung und induzierte Verbraucherverträge als Katalysator für vermehrte Preis- und Leistungsvergleiche durch die Verbraucher.
Viele klassische Finanzinstitute nutzen die Möglichkeiten der Plattformökonomie heute noch nicht. Um im Rennen um Marktanteile und Kunden mit FinTechs, Neobanken und Nonbanken mithalten zu können, führt aus unserer Sicht kein Weg an digitalen Plattformen vorbei.
3. Self-Service: Hauskauf per Klick auf den Kauf-Button
Der dritte große Einflussfaktor ist die konsequente Digitalisierung des gesamten Wertschöpfungsfeldes rund um die Immobilie. Dazu gehören neben der Finanzierung auch digitale Services wie Suche, Besichtigung, Bewertung, Vermittlung, Versicherung oder passende Verbraucherverträge.
Eine immer besser an Kundenwünsche angepasste Technologie wird in den kommenden Jahren dazu führen, dass eine Immobilie per Mausklick gekauft werden kann. Für Kunden geht es nicht einfacher. Der gesamte Ablauf des Erwerbs einer Immobilie wird in einem digitalisierten End-to-End-Prozess innerhalb einer Plattform möglich. Menschen suchen und finden auf dieser Plattform eine passende Immobilie, besichtigen diese digital und erhalten zahlreiche Zusatzinformationen zur Lagequalität, Nebenkosten und zur passenden Finanzierungskonstellation. Die Finanzierung inklusive Bonitätsprüfung und der eigentliche Kauf erfolgen mithilfe künstlicher Intelligenz in wenigen Sekunden – und per Mausklick durch den Verbraucher.
Heute sind schon viele der gerade genannten Schritte digital möglich, so etwa die Suche mit smarten Agenten auf Immobilienportalen oder digitale Makler-Lösungen. Das nächste Level ist die Vernetzung dieser Services über geeignete Schnittstellen. Banken und Sparkassen, die ihren Kunden einen durchgängigen End-to-End-Prozess bieten, haben künftig entscheidende Vorteile gegenüber der Konkurrenz: Schnelligkeit und Einfachheit.
Finanzinstitute brauchen passende Produkte für Modernisierung und Sanierung
Schon heute haben wir zwei Welten in der Immobilienbranche, die energieeffizienten „grünen“ Gebäude und die unsanierten „braunen“ Immobilien. Wer beim Bau oder Kauf staatlich gefördert werden will, muss strenge ökologische Vorgaben erfüllen.
Wir erwarten, dass der Bau beziehungsweise der Erhalt einer braunen Immobilie in den nächsten Jahren deutlich teurer wird. Das liegt nicht nur an der verwehrten Förderung. Zukünftig könnten Kredite für nicht energetische Häuser höher verzinst werden. Eine weitere Steuerungsmöglichkeit wären unterschiedliche Grundsteuer-Sätze, mit denen grüne Immobilien begünstigt werden. Diese und ähnliche Maßnahmen werden in der Studie „Bauen im Jahr 2030“ von Fraunhofer IAO aus dem Februar 2022 unter dem Szenario „green regulation“ zusammengefasst.
Banken und Sparkassen sollten schon jetzt passende Finanzierungsprodukte für Sanierungen und Modernisierungen in ihrem Produktportfolio vorhalten. Diese treffen den aktuellen Markt- und Kundenbedarf und wirken sich positiv auf den ESG-Score des jeweiligen Instituts aus. Das Rating bezüglich Environmental Social Governance bewertet die langfristigen Nachhaltigkeitsziele und -strategien und wird zukünftig für Verbraucher ein immer wichtigeres Kriterium bei der Wahl des Finanzierungspartners.
So stellen sich Finanzinstitute zukunftssicher auf
Die Immobilienwirtschaft war lange Zeit ein ökonomischer Stabilitätsanker. Auch mit den aktuellen Marktschwankungen ist die Arbeit an der Zukunft unserer Branche so wichtig wie noch nie. Anforderungen rund um die Klimapolitik und veränderte Verbraucherverhalten werden die Akteure des Marktes fordern.
Daher sollten Banken und Sparkassen bereits heute dynamisch agieren und entsprechende Produktportfolios und kundenzentrierte, digitale Lösungen entwickeln, ihre Prozesse effizient digitalisieren und die Chancen der Plattformökonomie konsequent nutzen.
Sebastian Bleil ist Koautor des Beitrags. Er ist Head of Business Development der Finmas GmbH und verantwortet die transparente Beratung für den Sparkassen-Eigenvertrieb. Nach seinem Studium (BWL und Innovationsmanagement) etablierte er für die Kreissparkasse Ludwigsburg einen neuen Vertriebskanal im Plattformgeschäft.
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