Der zwischenzeitliche Höhenflug der GameStop-Aktie sorgte für viel Wirbel. Die organisierte Attacke von Kleinanlegern auf Hedgefonds und das Aufkommen von Neobrokern könnten die Spielregeln am Aktienmarkt nachhaltig verändern.
Ein gut frequentiertes Onlineforum, in dem sich eine relevante Anzahl an mehr oder weniger professionellen Kleinanlegern zusammengefunden hat, die gleichsam nostalgisch motiviert und in ihrer Abneigung der Wallstreet gegenüber vereint sind, das sind grob die Zutaten für den ersten großen Börsenaufreger des Jahres. Seitdem stellt sich die Branche die Frage nach dem Chaospotenzial, das der Reddit-Schwarm imstande ist zu leisten: War das jetzt eine Anomalie? Oder sind solche anarchischen Eruptionen künftig häufiger denkbar? Und wenn ja, was bedeuten sie für professionelle Shortseller und Hobby-Zocker?
Das GameStop-Logo wird der eine oder die andere aus Fußgängerzonen und Einkaufszentren kennen. In unterschiedlichen Formen und unter diversen Namen existiert das US-amerikanische Unternehmen seit etwa 30 Jahren und gehört damit zum Inventar der Branche – oder sollte man besser sagen: gehörte? Das Geschäftsmodell, der stationäre Verkauf von Computerspielen, Konsolen und den dazugehörigen Merchandise-Artikeln, war lange Zeit ertragreich, scheint aber im Streaming- und Downloadzeitalter, nun ja, etwas antiquiert. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um unter den gegebene Umständen ein Schicksal zu prognostizieren, das wohl dem der Videotheken gleichkommt: Früher in jedem Dorf unverzichtbar, heute eine nur noch nach und nach verblassende Erinnerung. Diese Entwicklung ließ sich letztlich auch an der Börse nachlesen: Die Unternehmensaktie dümpelte schon länger irgendwo unter ferner liefen. Dieser Trend wurde dann durch Corona nochmals beschleunigt: GameStop stand kurz vor dem Gameover.
Schwarm versus Hedgefonds
Eine Entwicklung, die einige Hedgefonds zum Anlass nahmen, auf weiter sinkende Kurse zu setzen und dies mit Shortpositionen zu befeuern. Da diese Leeverkäufe in der Regel veröffentlichungspflichtig sind, nahm man auch im Redditforum wallstreetbets Notiz davon. Viele der dort registrierten Nutzer kannten die Kette noch aus ihrer Jugend, verbanden mit ihr also mehr oder weniger nostalgische Gefühle. Hinzu kommt eine gewisse Grundabneigung gegenüber der Wallstreet und ihrer mitunter als obszön wahrgenommenen Praktiken. Diese Melange sorgte letztlich dafür, eine Social-Media-übliche Dynamik in Gang zu setzen: Die User verabredeten sich, ein Short-Squeeze-Szenario zu kreieren und kauften zu Tausenden die frei verfügbaren Aktien von GameStop. Die so erhöhte Nachfrage überstieg das Angebot um ein Vielfaches, was innerhalb kürzester Zeit ein Kursplus von fast 2.000 Prozent zur Folge hatte – ein Sprung auf bis zu 350 US-Dollar an der New York Stock Exchange für die GameStop-Aktie, die zum Jahresauftakt noch weniger als 20 US-Dollar gekostet hatte. Die vom Schwarm erzeugte Dynamik hatte letztlich den erhofften Erfolg, von Milliardenverlusten bei den beteiligten Hedgefonds war die Rede. Letztlich wurde der Handel ausgesetzt, der Titel konnte zweitweise nicht mehr gehandelt werden. Zudem schalteten sich Justiz, Aufsichtsbehörden und Politik ein. Im Raum steht der Vorwurf krimineller Absprachen.
Der massenhafte Run auf die GameStop-Aktie war auch deshalb möglich, weil viele User ihre Trades relativ einfach und kostengünstig über Smartphone-basierte Neobroker abwickeln konnten. Wenn man so möchte, war die von ihnen bereitgestellte technische Infrastruktur ein wichtiger Baustein in dieser modernen Klassenkampf-Story, die Broker-Veteran Jordan Belfort, besser bekannt als Wolf of Wallstreet, aus der Aktion herausliest. Dem amerikanischen TV-Sender Fox sagte er: „Die Kleinen sind endlich gut ausgerüstet, Informationen sind sofort verfügbar. Früher galt das nur für die Großen, sie bezahlten die Analysten. Doch jetzt sind die Kleinen endlich in der Lage, das gleiche Spiel zu spielen, zumindest teilweise.“
Paradigmenwechsel oder Marktanomalie?
Je nach Standpunkt kann man sich dieser Klassenkampfromantik anschließen – oder eben nicht. Dabei sollte man aber das ganze Bild im Blick haben. Hedgefonds sind nicht per se die böse Ausgeburt eines pervertierten Kapitalmarktes. An ihrem Geschäftsmodell gibt es durchaus kritikwürdiges. Anderseits sind sie es, die durch ihre Recherchen oftmals Bilanzungereimtheiten aufdecken und mit ihren Aktivitäten untermauern – Wirecard sei hier nur exemplarisch erwähnt. Zudem verwalten sie auch viele Pensionsfonds – die Verluste treffen also auch den Otto-Normal-Bürger. Und nicht jedes Unternehmen ist es wert, aus nostalgischem Kalkül gerettet zu werden. Schmerzhafte Prozesse werden so im Zweifel nur verlängert. Die Hedgefonds werden ihre Lehren aus dem für sie schmerzhaften GameStop-Kapitel ziehen. Die Karawane wird weiterziehen.
Klar ist dennoch, dass sich durch diese Episode langfristig etwas verschieben könnte. Der entstandene Hype, die fortschreitende Vernetzung von Kleinanlegern und der niedrigschwellige Zugang zum Aktienmarkt, der durch Neobroker angeboten wird, all das wird sich verstetigen. Schon kurze Zeit nach den Gamestop-Kapriolen hatte der Schwarm andere Titel identifiziert. Nach AMC oder Blackberry, sind es aktuell Cannabis-Aktien, die sich neuer Zuneigung ausgesetzt sehen. Auch hier zieht die Karawane also weiter. Wichtig bleibt eines: Etablierte Kapitalmarktgesellschaften können Verluste bis zu einer bestimmten Größenordnung sicher verkraften, bei Kleinanlegern sieht das oft anders aus. Wer sich einem solchen Hype also anschließt, wer auf diesem Niveau zocken will, der muss sich gewiss machen, dass das eigene Ersparte schneller weg ist als man Hochfrequenzhandel sagen kann.
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