Blockchain-Technologien wird das Potential zugeschrieben, die Geschäftsmodelle im Finanzsektor grundlegend verändern zu können. Nur ein Hype oder vielmehr eine reale Chance für Banken? Darüber und über die besonderen Herausforderungen habe ich mich mit Julia Heinzer von Accenture unterhalten.
Am Thema Blockchain kommen Finanzunternehmen heute nicht mehr vorbei. Vielen Berichten zufolge haben Blockchain-Technologien wie Smart Contracts das Potenzial, einen tiefgreifenden Wandel der Branche herbeizuführen. Einer aktuellen Befragung von ibi Research zufolge beschäftigen sich zwar viele Institute mit der Blockchain-Technologie, erwarten aber, dass sie erst in zehn bis 15 Jahren eine wichtige Rolle einnehmen wird.
International treten nicht nur FinTech-Startups mit innovativen Konzepten und Lösungen an, auch zahlreiche Banken und andere Finanzunternehmen investieren in erste Anwendungen und Prototypen. Dennoch besteht kein durchgängig klares Verständnis über die Technologie, ihre Potenziale und letztlich darüber, wie der aktuelle Hype in profitable Geschäftsmodelle umgesetzt werden kann.
Interview mit Julia Heinzer, Accenture
Der Bank Blog unterhielt sich zu diesem spannenden Thema mit Julia Heinzer, Managing Director bei der Unternehmensberatung Accenture.
Sie arbeitet im Bereich Finance & Risk in der Schweiz und ist verantwortlich für innovative Technologien wie Blockchain. Julia Heinzer hat ein tiefgreifendes Verständnis für die regulatorischen Aspekte bei Innovationen und arbeitet an Innovationen als tragendes Element innerhalb der Finance & Risk Aufgabenbereiche. Sie hat direkte, praktische Erfahrung von Blockchain-Lösungen und legt den Fokus darauf, wie Blockchain Banken und Versicherern einen Mehrwert bieten kann.
Blockchain kurz erklärt
Der Bank Blog: Viele reden von Blockchain, nur wenige verstehen genau, was dahintersteht. Bitte erklären Sie den Lesern das Wesen der Blockchain-Technologie in drei einfachen Sätzen.
Julia Heinzer: Vereinfacht beschrieben bezeichnet die als Blockchain bekannte Technologie ein Hauptbuch, auf das theoretisch – im Gegensatz zu heutigen dezentral geführten Buchhaltungssystemen – alle Nutzer zugreifen können. Dabei fungiert sie als eine Datenbank, der sämtliche Transaktionen zugrunde liegen. Dieser digitale Kontoauszug erfasst jede Veränderung genau, indem sie transparent auf viele Rechner verteilt gespeichert und verifiziert wird. Damit benötigt sie theoretisch keine zentrale Instanz (Intermediär) mehr, die sie verwaltet und für ihre Echtheit bürgt. Eine abgesicherte Weitergabe virtueller Güter nach dem Peer-to-Peer-Prinzip wird so möglich. Eine übergreifend standardisierte Blockchain könnte als dezentrales Buchungssystem also einen weltweiten Austausch von Werten und Daten ermöglichen.
Der Bank Blog: Wie erklären Sie sich den Hype um das Thema?
Julia Heinzer: Der Blockchain-Hype hat großflächig um sich gegriffen. Finanzdienstleister und Experten sehen den nächsten Game Changer vor der Tür stehen. Allein 2015 wurden global ca. 620 MillionenUS-Dollar in diese Technologie investiert. Laut der Accenture Blockchain-Adoptionskurve wurde 2015 der vorläufige Höhepunkt der „Erforschung und Investition“-Phase erreicht. Das lässt sich unter anderem daran ablesen, dass die Anzahl der Deals geringer wird, während Einzelinvestitionen zunehmen. Dabei haben vor allem FinTechs von überdurchschnittlichen Finanzierungsrunden profitiert (2015 waren es mehr als $390 Millionen Investitionen in auf Blockchain-basierenden FinTechs). Während die ersten Finanzierungsrunden vor allem auf Risikokapitalgeber und Acceleratoren zurückgehen, engagieren sich analog der Accenture Prognosen global nun auch Banken und zeigen durch Investitionen, welches Potential sie Blockchain zutrauen. Dabei erwarten viele Finanzunternehmen, dass die neuen Technologien den Markt signifikant verändern können und die „Early Adaptors“ von der Umgestaltung des Marktes am meisten profitieren werden.
Blockchain ist mehr als nur Bitcoin
Der Bank Blog: Es wird viel darüber gesprochen, dass Blockchain-Technologien Finanzintermediäre wie Banken überflüssig mache. Für wie wahrscheinlich halten Sie dieses Szenario und warum?
Julia Heinzer: Eine dezentrale Währung, die von allen kontrolliert wird und keine zentrale Institution mehr benötigt – so der Anwendungsfall, der Finanzdienstleistern zu Recht Angst einflösst. Die Technologie der Blockchain zeigt aber wesentlich mehr Anwendungsfelder als nur Bitcoins. Die momentanen Blockchain-Initiativen von Finanzdienstleistern und FinTechs lassen sich dabei in drei Bereiche unterteilen:
- Operative Exzellenz,
- Inkrementelle Optimierung und
- Neue Geschäftsmodelle & Ökosysteme.
Beim letzteren geht es vor allem um das Konzept der „Smart Contracts“: Dabei schließen Geschäftspartner ihre Verträge basierend auf Computerprotokollen ab und speichern sie direkt in der Blockchain. Vertragsregeln, weitere Klauseln und auch Eigentumswechsel werden dabei elektronisch sofort identifiziert und können weiterverfolgt werden. FinTechs wie Ethereum, Eris Industries und Smart Contracts haben das erkannt und erste erfolgversprechende Angebote auf den Markt gebracht. Aber auch Banken können hier profitieren und ihre Ertragspotenziale vergrößern, indem sie die Qualität und Integrität des Assets, die Aktualität der data feeds, die Identität der teilnehmenden Parteien und die Integrität des Markts garantieren. Dadurch können sie sich als vertraute Institutionen in dem Herzen der „Smart“ Welt etablieren.
Vielfältige Einsatzbereiche für die Blockchain bei Banken und Sparkassen
Der Bank Blog: Können Sie uns ein paar konkrete Ansätze für eine Nutzung von Blockchain-Technologien in der Produktion von Banken und Sparkassen geben?
Julia Heinzer: Laut Santander InnoVentures können Banken 15 bis 20 Milliarden US-Dollar im Jahr an Kosten durch die Umsetzung der Blockchain-Technologie für grenzüberschreitende Zahlungen, Wertpapierhandel und Compliance bis 2022 einsparen. Dazu tragen eine Reihe von Blockchain-basierter FinTechs bei, welche Kostenersparnisse über die umfassende Automatisierung von (grenzüberschreitenden) Transaktionen ermöglichen. Andere Anbieter tragen zur Verbesserung der Operations bei, indem sie das untertägliche Clearing von Transaktionen ermöglichen und somit Prozesse signifikant schneller machen. Darüber hinaus kann die neue Technologie große Kostenblöcke für die Bereiche Sicherheit, Compliance und Reporting obsolet machen. Über die Operative Exzellenz hinausgehend kann die Blockchain-Technologie auch zu stufenweiser Verbesserung der bestehenden Geschäftsmodelle führen, indem sie Prozesse erleichtert und Angebotsprozesse transparenter gestaltet. Aktuelles Beispiel hierfür ist die von Ripple angebotene Plattform, die es ermöglicht die Wechselkurs-Angebote von Market-Makers in Echtzeit zu vergleichen und so die günstigsten Wechselkurse für Konsumenten garantiert.
Der Bank Blog: Und wie schaut es mit Beispielen für die Marktseite aus?
Julia Heinzer: Auch für die Markseite gibt es interessante Use Cases. Nur ein paar Beispiele an dieser Stelle: Bei Anleihen ermöglicht die Nutzung von Blockchain eine Erstausgabe direkt an den Käufer und ohne Zwischenparteien. Die vereinfacht und beschleunigt den Prozess und erlaubt eine günstigere Durchführung. Der Einsatz der Wertpapierleihe zur Deckung von Lieferschwierigkeiten wird durch eine geringere Fehlerrate in der Abwicklung zum Teil unnötig. Für die übrigen Wertpapierleihegeschäfte (zur Refinanzierung oder Kapitalerhöhung) ist sogar ein vorausschauendes Reporting potenzieller Geschäfte möglich.
Vielfältige Herausforderungen bei der Nutzung von Blockchains
Der Bank Blog: Welches sind die wichtigsten Hemmnisse einer Einführung von Blockchain-Technologien auf breiter Ebene in der Finanzindustrie?
Julia Heinzer: Bei aller Euphorie wird oftmals außer Acht gelassen, dass es nicht die eine verwendungsbereite Blockchain gibt: Genauso wie Anwendungsphantasien und Investitionen explodieren, wuchern auch verschiedenste und nicht kompatible Technologie- und Lösungsansätze in fast unübersichtlicher Weise. Darüber hinaus lässt sich die Technologie und ihre abgeleiteten Lösungsansätze noch lange nicht als ausgereift bezeichnen.
Die grundsätzlichen Herausforderungen lassen sich in die Felder Regulatorik, Skalierbarkeit, Geschwindigkeit und Sicherheit unterteilen. Diskutiert wird außerdem, ob die Rechnerkapazitäten ausreichen, um zum Beispiel Blockchains mit Transaktionsdaten des Billionen schweren Anleihemarktes umzusetzen. Ein weiteres Problem der noch unreifen Technologie ist das stark wachsende Datenvolumen. Bei der Blockchain werden per Definition keine alten Daten gelöscht. Eine große Anzahl an Teilnehmern und Transaktionen würde zu einer exponentiellen Steigerung des Datenvolumens führen. Um das zu verhindern, müssen entsprechende Archivierungskonzepte entwickelt werden, die heute noch nicht existieren.
Banken sollten sich fokussieren
Der Bank Blog: Wie lauten Ihre Empfehlungen für Finanzinstitute im Hinblick auf das Thema Blockchain?
Julia Heinzer: Banken sollten sich auf die Lieferung erster echter Anwendungsfälle für Blockchain-Technologie fokussieren. Der Nutzen solcher Anwendungsfälle wird im ersten Schritt wahrscheinlich in Prozessoptimierung, Reduktion von Komplexität, Erhöhung von Geschwindigkeit und Sicherheit und am Ende Kostenreduzierung liegen. Wenn eine breitere Blockchain-Infrastruktur etabliert ist, werden in einem zweiten Schritt neue, bislang teilweise noch nicht skizzierbare Geschäftsmodelle entstehen, welche die Ertragsstrukturen deutlich verändern werden. Eine Bearbeitung gemeinsam mit FinTechs ist gegebenenfalls sinnvoll, vor allem wenn kurzfristig nicht ausreichend interne Expertise vorhanden ist. Ein Fokus auf multilaterale Kooperationen reduziert sicherlich diese Risiken, ist aber aufgrund der aktuellen Heterogenität der technologischen Lösungen, der fehlenden regulatorischen Rahmenwerke und den zu erwartenden langwierigen Abstimmungen kein gangbarer Weg, um sich frühzeitig Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen. Engagements in multilateralen Initiativen zur Etablierung von Industriestandards können deshalb zwar parallel stattfinden, sollten aber die interne Entwicklung nicht stören. Denn erst wenn eine breitere Blockchain-Infrastruktur und industrielle Standards etabliert sind, werden in einem zweiten Schritt neue, bislang teilweise noch nicht skizzierbare Geschäftsmodelle entstehen, welche die Ertragsstrukturen deutlich verändern können.
Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch