Im Zuge des Ukraine-Kriegs gerieten Kryptowährungen in die Kritik. Sie seien eine Möglichkeit, die Sanktionen gegen Russland zu unterlaufen. Doch ist die Blockchain-Technologie wirklich ein Vehikel dafür oder sind die Bedenken unbegründet?
24. Februar 2022: Russland greift die Ukraine an. Als Folge verhängen die USA und europäische Staaten die weitläufigsten Sanktionen in langer Geschichte: Einfrieren russischer Vermögen in der EU, Blockade der Guthaben der russischen Notenbank bei anderen Notenbanken sowie weitgreifender Ausschluss russischer Banken von SWIFT.
Nicht lang dauerte es und prominente Vertreter aus der Politik zogen Kryptowährungen in die Kritik. So sprach Hillary Clinton von „undichten Ventilen im Kryptomarkt, die es Russland ermöglichen könnten, dem vollen Gewicht der Sanktionen zu entgehen.“ Was ist dran an den Vorwürfen? Könnte Russland tatsächlich mittels des Kryptomarktes die Sanktionen umgehen?
Anonymität vs. Pseudonymität
Ein grundlegender Irrtum besteht darin zu glauben, dass Kryptotransaktionen auf einer Blockchain anonym sind. In gewisser Weise verkörpert eine Blockchain, auf der zum Beispiel Bitcoin basiert, das Gegenteil von Anonymität. Alle Transaktionen auf ihr sind unwiderruflich, nachverfolgbar und transparent gespeichert.
Als prominentes Beispiel zur möglichen Umgehung von SWIFT wird oft Bitcoin herangezogen. Bitcoin ist pseudonym, aber nicht anonym. Zwar bestehen auf den ersten Blick Bitcoinadressen aus einem Wirrwarr von 26 bis 42 Ziffern und Buchstaben. Dieser „public key“ ist jedoch einem Halter der Wallet(-adresse) zugeordnet. Versucht der Halter nun Bitcoins in Fiat-Geld umzutauschen, wird er spätestens an der Schnittstelle identifiziert werden können. Mittlerweile sind alle Börsen und Marktplätze in den USA und der EU verpflichtet, eine sogenannte KYC-Prüfung, eine Identifizierung ihrer Kunden vorzunehmen. Hier wird dem Spiel ein Ende gesetzt, denn es ist für jede US-Person und jedes US-Unternehmen, wie auch der Kryptobörse Coinbase, untersagt, Geschäfte mit Russland zu machen.
Beachtliche Fortschritte in der Chainanalyse
Teilweise wird von Kriminellen versucht, unter Nutzung sogenannter Mixer die Nachverfolgbarkeit von Transaktionen auf der Blockchain unmöglich zu machen. Dabei überweist ein Nutzer beispielsweise Bitcoin an einen Mixer und dieser mischt sie dann mit anderen Bitcoin. Für das menschliche Auge ist der Ursprung der Bitcoin dann nur noch kaum erkennbar – nicht jedoch für Künstliche Intelligenz. So haben Blockchain-Analysefirmen große Fortschritte gemacht. Nach dem Hack der Börse Bitfinex im Jahr 2016 wurde versucht, die gehackten Bitcoin mittels Mixer zu waschen. Blockchainanalysefirmen wie Chainanalysis oder Elliptic konnten mittels Software die Spur der Bitcoin zurückverfolgen. Transaktionen auf der Blockchain können also transparent gemacht werden.
Privacy-Coins wie Monero ungeeignet
Mit Privacy-Coins wie Monero oder Z-Cash kann zu einer sehr großen Wahrscheinlichkeit anonym transferiert werden. Monero oder Z-Cash zum Bezahlen von Lieferungen zu verwenden, ist jedoch ein sinnloses Unterfangen. Sie werden schlicht nicht akzeptiert, schon gar nicht von größeren Lieferfirmen. Vermögen in diesen Coins zu halten, mag die Anonymität sichern. Spätestens der Fiatumtausch bringt jedoch Licht ins Dunkel. Allem in allem ist der gesamte Kryptomarkt für den Bedarf der russischen Volkswirtschaft viel zu klein. Transaktionen sind noch zu kostspielig und kleinteilig, um ernsthaft zur Sanktionsumgehung genutzt zu werden. So bestätigt übrigens auch die Bundesbehörde FinCEN des US-Finanzministeriums, dass sie keine Erkenntnisse hat, dass Kryptowährungen maßgeblich zur Sanktionsumgehung genutzt werden. Ganz im Gegenteil: Die Blockchain ist kein Werkzeug Krimineller, sondern ermöglicht ein neues Level an Transparenz.
Keine Science-Fiction: Grundbuch auf Blockchain
Die Qualitäten der Blockchain in Sachen Transparenz und Unveränderlichkeit können dem öffentlichen Sektor helfen. So haben über 70 Prozent der Weltbevölkerung keine Grundbucheintrag für ihren Landbesitz. Dies öffnet Korruption Tür und Tor. Ein auf Blockchain basierendes Grundbuch könnte Abhilfe schaffen. Dezentral auf mehreren Knoten abgelegt, wäre ein Landregister auf Blockchain resilient gegen korruptionsmotivierte Datenmanipulation. Dies ersetzt nicht die Rechtsdurchsetzung, muss doch die Datenherkunft reguliert werden. Ein Grundbuch auf Blockchain – die Idee ist so interessant, dass auch hierzulande die Ampelkoalition eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben wird.
Übrigens ist ein Blockchain-Grundbuch keine Science Fiction: Schon seit 2017 werden in Georgien Grundbucheintragungen parallel auf der Blockchain abgebildet. Künftig will man sogenannte „Trust Contracts“ (Smart Contracts) für den Eigentumsübertrag einführen, um Betriebskosten zu senken, Verfahren zu beschleunigen und Bürokratie abzubauen. Der Gang zum Notar oder Grundbuchamt gehört dann der Vergangenheit an.
Elektronische Wahlen und Korruptionsbekämpfung
Elektronische Wahlen stehen nach wie vor unter Verruf und nicht erst seit des Volusia-Fehlers in der Präsidentschaftswahl zwischen Al Gore und George W. Bush im Jahr 2000. Wahlsicherheit, Integrität der Wählerregistrierung und Zugänglichkeit werden in Zweifel gezogen. Eine Lösung auf Blockchain könnte dezentral, manipulationsresistent und einfach zugänglich hierfür geschaffen werden.
Als Drittes könnten zur Unterbindung von Korruption Unternehmensbeteiligungen auf eine Blockchain gebracht werden. Unternehmensbeteiligungen für unter dem Radar agierende Scheinfirmen werden gerne zur Geldwäsche genutzt. Einige Länder beginnen nun zentrale Unternehmensregister aufzubauen, denen es aber weiterhin an einem adäquaten Verifikationssystem mangelt. Auf einem Unternehmensregister auf Blockchain dagegen, könnte lückenfrei nachvollzogen werden, welche Eigentümer ein Unternehmen hatte. Bei internationalen Gesellschaften ist elementar, dass transnational einfach die Register verknüpft werden können.
Blockchain: Mehr Chance als Risiko
In gewisser Weise sind die Bedenken vieler Politiker und Regulatoren gegen Kryptowährungen verständlich. Kryptowährungen basieren auf dezentralen Strukturen und können diskriminierungsfrei transferiert werden – ohne dass ein Staat oder Regierung diese Transaktion stoppen könnte. Den Übergang zum Fiatgeld und die Nutzung in der Güterwirtschaft kann ein Staat jedoch sehr wohl regulieren. Kryptowährungen zur Sanktionsumgehung oder Geldwäsche zu nutzen, ist töricht. Stattdessen sollten die Potentiale in Sachen Transparenz und Manipulations- und Korruptionsresistenz in den Blickwinkel rücken. Sie ermöglicht eine offenere und freie Gesellschaft – und die ist Putins größter Feind.