Finanzinstitute sehen sich einer Vielzahl neuer Technologien gegenüber. Doch welche sind wirklich wichtig für Wachstum und Erfolg und ermöglichen neue Geschäftsmodelle? Darüber habe ich mich ausführlich mit Sven Korschinowski von KPMG und Remigiusz Smolinski von comdirect unterhalten.
Sven Korschinowski leitet als Partner bei KPMG den Bereich Payments, FinTech & Innovation und Dr. Remigiusz Smolinski leitet das Innovationsmanagement bei der comdirect. Beides sind ausgewiesene und anerkannte Experten für neue Technologien und Innovation in der Finanzdienstleistung.
Im ersten Teil unseres Gesprächs ging es um die Bedeutung von Innovation und Innovationsmanagement für Banken und Sparkassen. Heute nun geht es um die Frage, welche der vielen digitalen Technologien für Banken besonders wichtig sein und wie man sie für mögliche innovative Geschäftsmodelle nutzen kann. Auch die Frage der Patentierbarkeit von Finanzdienstleistungen wird dabei diskutiert.
Blockchain und Künstliche Intelligenz sind spannende Themen für Banken
Der Bank Blog: Blockchain, Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge sind nur ein kleiner Ausschnitt aus dem, was in den kommenden fünf bis zehn Jahren das Geschäft mit Finanzdienstleistungen massiv verändern könnte. Welches sind Ihre „Favoriten“ und warum?
Remigiusz Smolinski: Unser Anspruch ist es, sich mit der ganzen Breite an Möglichkeiten zu befassen, auch wenn manche Technologien nur perspektivisch Erlössteigerungs- oder Kostensenkungspotential versprechen. Daher haben wir ein breites Innovationsradar aufgesetzt, um keine Entwicklungen zu verpassen. Von den genannten finde ich vor allem Blockchain und Künstliche Intelligenz extrem spannend.
Die Technologie der Distributed Ledger könnte perspektivisch eine disruptive Dienstleistung ermöglichen. Wir beschäftigen uns deshalb sehr intensiv mit der Technologie, um diese explorativ zu erforschen und mögliche Einflüsse auf unser Geschäftsmodell zu antizipieren.
Ähnlich ist es mit Künstlicher Intelligenz. Kunden erwarten von Banken und Finanzdienstleistern nicht mehr das Reaktive von Gestern oder Vorgestern. Um den ersten Zugang zu Kunden zu erhalten, müssen Finanzdienstleistungen wie das Girokonto zukünftig intelligente Mehrwerte anbieten, seien es selbstentwickelte oder über Partnerschaften oder über die Integration von externen Dienstleistern. In Zeiten von PSD2 ist dies der einzige Weg, das Girokonto als zentralen Ankerpunkt zum Kunden zu erhalten.
Sven Korschinowski: Die genannten Bereiche verdeutlichen den grundsätzlichen Unterschied zu den 90er-Jahren. Heute werden Themen wie Blockchain aktiv vorangetrieben, begünstigt durch die Medien, was wiederum Diskussionen nach sich zieht, was dazu führt, dass Vorstände heute sagen „Wir müssen etwas in Sachen Blockchain tun“, auch wenn noch gar nicht so ganz klar ist, wohin die Reise eigentlich geht oder gehen soll.
Das trifft auf alle drei genannten Themenfelder (Blockchain, Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge) zu. Die dahinter liegenden Technologien sind aber noch in einem viel zu frühen Stadium, um eine Bedeutung für das Bankwesen erlangt haben zu können.
Allerdings kann eine Technologie wie Blockchain bedingt durch ihre Eigenschaften und Qualifikationen eine Reihe von Dingen massiv verändern, sofern man diese Veränderung zulässt. Dies bedingt aber eine Öffnung der Banken für andere Technologien, die damit im Zusammenhang stehen, z.B. für Cloud-Lösungen. Aber die Aufsicht muss hier mitspielen. Blockchain bietet sicherlich das Potential, bestehende Dinge effizienter zu machen, wird aber auch völlig neue Perspektiven eröffnen, die heute noch gar nicht absehbar sind.
Künstliche Intelligenz kann für Banken nutzenstiftend, aber auch gefährlich werden, bedeutet dies doch, dass zukünftig aus Daten und deren Auswertung wesentlich mehr gemacht werden kann als heute. Durch KI lassen sich z.B. vielfältige neue Erkenntnisse für die Risikoeinschätzung oder für konkrete Kundenangebote gewinnen. Das kann massive Auswirkungen sowohl auf die Produktion als auch auf die Kundenberatung haben.
Daten sind wertvolle Grundlage für neue Geschäftsmodelle
Der Bank Blog: Im Zusammenhang mit neuen Geschäftsmodellen für Banking wird immer wieder über das Thema Daten und deren Nutzung diskutiert. Der ehemalige CEO der Citibank Walter Wriston hat bereits 1984 gesagt „Information about money has become almost as important as money itself.“ Diese Erkenntnis scheint sich aber bis heute nicht wirklich durchgesetzt zu haben. Kaum eine Bank nutzt die Daten ihrer Kunden sinn- und ertragsstiftend. Woran liegt das und was ist zu ändern?
Remigiusz Smolinski: Das ist vor allem regulatorischen Auflagen geschuldet, wird sich aber in den nächsten Jahren definitiv ändern. PSD2 wird hier vollkommen neue Impulse setzen. Ein Ansatz für ein Geschäftsmodell wird das intelligente Girokonto sein, in das neue smarte Leistungskomponenten jenseits des Zahlungsverkehrs integriert sind. Ein alternativer Ansatz wäre der wirtschaftliche Umgang mit den Daten selbst. Wenn es keine „natürliche Treue“ der Kunden gibt, muss ich deren Aufmerksamkeit – ähnlich wie ein Fernsehsender – immer wieder neu gewinnen und diese dann zum Verkauf nutzen. Für einige Banken mag es durchaus ein Geschäftsmodell sein – ohne eine eigene Geschäftsbeziehung – Zahlungsdaten der Kunden durch attraktive Mehrwertdienste einzusammeln, um diese zu veredeln und anonymisiert weiterzuverkaufen.
In Deutschland besteht allerdings ein erheblicher Respekt vor einem Geschäftsmodell, wie Google es bereits seit Jahren erfolgreich betreibt. Das entsprechende Angebot lautet ja „Lieber Kunde, ich biete Dir eine tolle Leistung, verlange kein Geld dafür, aber Du bezahlst mit Deinen Daten.“ Und dieser Respekt wird auch noch eine Weile anhalten.
Sven Korschinowski: Spannend wird sein, wie Banken die vorhandenen Daten kombinieren, auch mit solchen, die außerhalb der Bank liegen und was für Angebote sich daraus ergeben. Datenarchitekten empfehlen ja eine unbefangene und ganzheitliche Herangehensweise, um durch Bildung neuer Patterns Möglichkeiten zu erschließen, die vorher überhaupt nicht erwartet wurden. Hieraus ließe sich sicherlich eine Vielzahl unterschiedlichster Geschäftsmodelle entwickeln.
Wir stehen dabei allerdings noch ganz am Anfang und es stellt sich nicht nur die Frage, ob man das darf sondern auch ob der Kunde dies möchte. Hier besteht derzeit noch ein erheblicher Unterschied in der Interaktion mit Google oder Facebook und der mit einer Bank.
Patente könnten zukünftig eine Rolle im Finanzsektor spielen
Der Bank Blog: In vielen Branchen spielen Patente eine wichtige Rolle bei Innovationen. Bankdienstleistungen gelten der Lehre nach als nicht patentierbar. Während Unternehmen wie Apple sich das Wischen mit dem Finger am Smartphone patentieren lassen, ist mir kein einziges Patent auf Finanzdienstleistungen oder deren Darreichung bekannt. Woran liegt das? Und müssten nicht Banken technologische Entwicklungen nutzen, um dies zu ändern?
Remigiusz Smolinski: Oft entstehen Patente ja aus Grundlagenforschung und in diesem Bereich sind Banken traditionell nicht vertreten, so es sie überhaupt gibt. Allerdings scheint sich das gerade zu ändern. In den Bereichen Kryptowährungen und Cyber Security sind Banken durchaus vertreten, z.B. in zahlreichen Konsortien, und betreiben dort auch so etwas wie Grundlagenarbeit. So hat z.B. die Bank of America zahlreiche Patente im Bereich Crypto Currency angemeldet.
Zu hinterfragen wäre, ob Banken technologische Entwicklungen im Kerngeschäft sichtbar vorantreiben können. Das erscheint vor dem Hintergrund der aktuell niedrigen Profitabilität eher schwierig, könnte sich zukünftig aber ändern. Geld für gute Ideen ist aber durchaus vorhanden. Und das große Asset der Banken ist der Zugang zum Kunden, über den vor allem neue Wettbewerber nicht verfügen. Die Frage ist allerdings, ob Banken sich dabei gegenüber anderen Anbietern mit Kundenzugang – etwa Apple bei Hardware oder Google oder Microsoft bei Software – behaupten können. Mit Sicherheit legen sich Banken nicht freiwillig aufs Sterbebett. Der Kampf um den Kunden wird nicht einfach sein aber möglicherweise entstehen dabei neue Produkte, die auch patentierbar sein können.
Sven Korschinowski: Im Bereich Blockchain hat Santander eine ganze Reihe von Patenten eingetragen, was möglicherweise auch ein Grund war, das Blockchain-Konsortium R3 zu verlassen.
Bei der Frage nach den Assets der Banken fällt mir das Thema Identitäten ein. Wenn wir uns im Internet oder in Apps bewegen, hat jeder von uns eine Vielzahl digitaler Identitäten. Ein weiteres Thema sind digitale Dokumente. Einige Banken bieten ihren Kunden bereits eine digitale Dokumentenverwaltung an.
Losgelöst vom traditionellen Bankgeschäft entstehen in diesem Bereich neue Services sowohl für Privat- als auch für Firmenkunden indem Banken eine sichere technologische Plattform zur Verfügung stellen. Das Internet der Dinge könnte hier völlig neue Perspektiven für branchenübergreifende Lösungen und Zusammenarbeit ermöglichen, die durchaus patentierbar wären.
Im dritten Teil des Gesprächs dreht sich alles um IT-Strukturen und deren Veränderung sowie um die Frage der Bedeutung von FinTechs für Innovationen in der Finanzdienstleistung und deren Chancen im Wettbewerb.