Der große Hype um die Blockchain scheint etwas abgekühlt zu sein. Allerdings arbeiten nahezu alle Finanzinstitute an Konzepten und Prototypen für Smart-Contracts. Das hat gute Gründe, denn die Technologie birgt für Finanzinstitute wie für Wettbewerber viel Potential.
Einerseits wird der Blockchain-Technologie das Potenzial zugesprochen, die Banken als Finanzintermediäre vollständig abzulösen. Denn sie kann den Zahlungsverkehr peer-to-peer ohne zwischengeschaltete Intermediäre abwickeln. Über Smart-Contracts können im fortgeschrittenen Stadium sogar Finanzierungsgeschäfte, Wertpapiere und den Wertpapierhandel über diese Technologie abgebildet werden. Andererseits hört man auch, dass die gesamte Technologie ein einziger Hype sei und für nichts anderes tauge, außer ein paar windigen Kryptowährungen zu einem wohl kurzen und dafür umso spekulationsreicheren Leben zu verhelfen. Liegt die Wahrheit vielleicht in der Mitte?
Drei Evolutionsstufen der Blockchain-Technologie
Ein Beispiel des Main Incubators von der Commerzbank zeigt, in welchen Evolutionsstufen sich ein blockchain-basiertes Bankenwesen entwickelten könnte.
- Erprobung der Blockchain-Technologie für Wertpapiergeschäfte
- Rein blockchain-basiertes bankvermitteltes Wertpapiergeschäft
- Rein blockchain-basiertes Wertpapiergeschäft ohne vermittelnde Bank
Evolutionsstufe 1: Erprobung der Blockchain-Technologie für Wertpapiergeschäfte
Die Commerzbank hat gemeinsam mit der MEAG und der KfW im Jahr 2017 eine Wertpapier-Transaktion auf einer Blockchain durchgeführt. Dabei wurde ein Commercial-Paper emittiert. Die KfW agierte dabei Emittent, die als MEAG als Investor und die Commerzbank hat die Transaktion als Dealer orchestriert und damit die Rolle einer Investmentbank eingenommen. Tatsächlich wurde diese Transaktion auf der Blockchain nur simuliert. Das heißt, die eigentlichen Verträge wurden traditionell auf Papier erstellt. Die Transaktion wurde nach deutschem Recht durchgeführt und hier besteht bis heute noch die Pflicht zur Beurkundung auf Papier.
Evolutionsstufe 2: Rein blockchain-basiertes bankvermitteltes Wertpapiergeschäft
Im Jahr 2018 hat es bereits eine weitere Transaktion auf der Blockchain gegeben. Dieses Mal nach UK Recht. Hier agierte die ING als Investmentbank, NATIXIS als Emittent und die Rabo Bank als Investor. Diese Transaktion wurde rein digital abgeschlossen. Die Verträge sind allein auf der Blockchain dokumentiert, es gibt keine weiteren papierhaften Verträge.
Evolutionsstufe 3: Rein blockchain-basiertes Wertpapiergeschäft ohne vermittelnde Bank
Anfang dieses Jahres nun hat eine dritte Transaktion stattgefunden. Emittent war dieses Mal die Continental und Investor war Siemens. Die Transaktion ist hier nach Luxemburger Recht durchgeführt worden und ha ebenso vollständig auf der Blockchain stattgefunden. In diesem Fall hat auch die Finanztransaktion hat über die Blockchain stattgefunden. Das besondere aber war, dass es keine Investmentbank zur Orchestrierung des Deals gegeben hat, sondern das Geschäft direkt peer-to-peer stattgefunden hat.
Banken müssen sich im Umfeld der Blockchain neu erfinden
Das Beispiel zeigt, dass wenn die technischen und rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, Wertpapiertransaktionen auch ohne die Dienste einer Investmentbank stattfinden können. Für den einfachen Zahlungsverkehr ist dies durch zahlreiche auf dem Markt befindliche Payment-Tokens bereits bewiesen. Daraus folgt, dass Banken eine neue Rolle übernehmen können oder müssen, z. B. als Koordinator von blockchain-basierten Plattformen oder als Vertragspartei von über die Blockchain abgewickelten Geschäften. Doch warum steht die Blockchain-Technologie eigentlich so in Konkurrenz zum bestehenden Geschäftsmodell von Banken?
Die Blockchain ist eine Art automatisierte Super-(Daten-)Bank
Von einer Bank wird erwartet, dass sie Geldbestände, Forderungen und Schulden, Soll und Haben rechtssicher, also dokumentenfest für sich und ihre Kunden dokumentiert. Die Geldbestände und die Information darüber sollen außerdem idealerweise sofort verfügbar und beliebig schnell übertragbar sein, also sehr liquide. Banken als Finanzintermediäre sollen dabei Risiken möglichst ausgleichen sowie Liquidität und passende Losgrößen schaffen. Die Blockchain-Technologie jedoch kann über verkettete, verschlüsselte und verteilte Daten sowohl Dokumentenfestigkeit als auch Verfügbarkeit von Daten ähnlich und sogar noch besser als eine klassische Bank zwischen verschiedensten Akteuren schaffen. Und das, ohne dass man dazu eine vertrauenswürde Dritte Instanz wie eine Bank bräuchte.
Ersetzt oder rettet die Blockchain die Banken?
Banken können, anstatt ihre drohende Substitution durch Blockchain-Lösungen einfach abzuwarten, ihr fachliches Know-how und ihre Kundenbeziehungen über das Medium bzw. die Infra-struktur Blockchain abwickeln. Über das neue Medium Blockchain könnten sie gegenüber Wettbewerbern mehr Marktzugang und Effizienz erreichen anstelle sich einer Substitutionsgefahr durch diese Technologie auszuliefern. Es ist ein bisschen wie mit dem Aufkommen des Internets. Banken die rechtzeitig Online-Banking und Online-Brokerage aufgebaut haben, konnten neue Kunden hinzugewinnen, anstelle Kunden zu verlieren. Heute gibt es reine Online-Banken und solche, bei denen sich Online-Banking und klassisches Retail-Banking gegenseitig ergänzen; rein analoge Banken sind quasi vom Markt verschwunden. Banken, die die Blockchain-Technologie jetzt rechtzeitig und in der richtigen Weise nutzen, werden ähnlich profitieren, wie einst die ersten Online-Banken.
Drei Szenarien für die Zukunft im digitalisierten Banking
Im vollkommen digitalisierten Banking der Zukunft – in dem Geld aus nichts anderem als Daten besteht und umgekehrt Daten bares Geld wert sind – gibt es für die Banken gegenüber den großen IT-Giganten sowie auch FinTechs drei mögliche Szenarien.
- Banken gewinnen: Sie nutzen ihr fachliches Know-how und ihre Kundenbeziehungen und entwickeln sich zu IT-Unternehmen.
- IT-Unternehmen gewinnen: Sie nutzen ihren technischen Vorsprung, eignen sich fachliche Finanzexpertise und Kundenbeziehungen an und substituieren Banken.
- Synthese von Banken und IT-Unternehmen: Banken und IT-Unternehmen verschmelzen, Betrieb von IT-Systemen und Blockchain-Datenbanken wird zur Massenware (Miner), Banken bringen eigene Daten und fachliche Expertise als Wert in die bestehende IT-Infrastruktur ein und veredeln sie durch spezifische Fachprozesse und intelligente sowie automatisierte fachliche Daten-Auswertung und -Verwertung wie Smart Contracs, Smart Oracles, Robotics und Künstliche Intelligenz.
Tatsächlich scheint das letztgenannte Szenario das wahrscheinlichste zu sein. Denn die Blockchain ist letztendlich nichts anderes als eine besonders sichere Datenbank, die gleichzeitig vielen Akteuren den gemeinsamen Zugang und Betrieb erlaubt: Eine Art Peer-to-Peer-Cloud. Dass IT-Unternehmen an der Entwicklung und dem Betrieb solcher Datenbanken beteiligt sein werden scheint gewiss. Dass das fachliche Know-how der Banken zu Geschäftsprozessen, Kapitalmarktrisiken und Finanzmarktentwicklung weiterhin gebraucht werden wird, ebenso. Banken, die es verstehen, ihr fachliches Know-how in die Verwendung der Blockchain-Technologie einzubringen, werden somit die Gewinner der durch die Blockchain-Technologie neu angetretenen Welle der Digitalisierung sein. Finanzinstitute sollten diese Technologie darum schon jetzt frühzeitig erproben und verstehen, um im nächsten großen Wettrennen der Digitalisierung nicht die schlechtesten Startplätze zu haben.
Die Blockchain ist weder ein Allheilsbringer noch ein bloßer Hype. Sie ist eine neue, solidere und zugänglichere Form von Datenbank, die, wenn sie richtig genutzt wird, gerade für Banken sehr vielversprechend sein kann. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte, auch beim Blockchain-Hype.