Auch wenn das bargeldlose Bezahlen an Bedeutung gewinnt, strahlen Scheine und Münzen viele Menschen noch immer eine besondere Faszination aus. Wie gut, dass es Geldautomaten gibt, an denen man seine Sucht nach Cash befriedigen kann.
Upps! Jetzt war es mir schon wieder passiert.
Ich verspürte doch tatsächlich den Drang, mich wieder einmal mit Bargeld zu versorgen. Tja, so ist das mit den Abhängigkeiten. Die Sucht schlägt immer wieder durch. Obwohl man dagegen ankämpft, obwohl die soziale Ächtung schwer wiegt.
Dabei fühlt man sich anfangs so überlegen.
„Nein, mir kann das nicht passieren!“, denkt man. Immerhin lebt man ein gefestigtes, bürgerliches Leben mit Girokonto, Überziehungsrahmen, Krediten und sogar einem Wertpapierdepot. Hat Verantwortung und weiß auch damit umzugehen. Hie und da versteigt man sich sogar zu der Meinung, man wäre ein Vorbild für junge, aufstrebende Talente.
Und dennoch…
Die „Sucht“ nach Bargeld
Dabei hatte ich so aufgepasst. Ich hatte die Dämmerung abgewartet und war zu einem entlegenen Geldautomaten gefahren. Hier in der Pampa, weit entfernt von meiner Wirkungsstätte, würde mich niemand erkennen. Geschweige denn würde mich hier jemand wegen meiner Schwäche verurteilen. Die urbane Bevölkerung war da schon sensibler und leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.
„Cash? Alter, hast du den Knall noch nicht gehört?“ Das wäre wohl das Freundlichste, was ich zu hören bekommen würde, dort in der Großstadt.
Wie gesagt! Auf dem Lande hätte man, so dachte ich, noch ein wenig Mitgefühl für jene, die noch nicht zur Gänze ihr Leben bargeldlos gestalten. Hier, wo man der Bäckereifachverkäuferin noch ganz in Ruhe einen Fünf-Euro-Schein im Austausch für die eben erstandenen Backwaren über den Tresen reichen konnte, ohne ein verächtliches Schnauben zu ernten.
Bargeld statt Cashless
Gerne wäre ich auch Mitglied der Cashless Society, also jener auserwählten Gruppe, welche die Bargeld-Sucht überwunden hatte und nun sozusagen Cash-Clean war. Diese Personen waren die Manifestation eines neuen, besseren Lebensstils, der tradierte Verhaltensnormen über Bord warf und mit den schlechten Gewohnheiten aufräumte.
Gerry, mein Kollege, war ein Adept dieser Lebensphilosophie und hatte mich – trotz, oder vielleicht sogar wegen seiner jungen Jahre – unter seine Fittiche genommen.
„Du brauchst kein Bargeld, Michel!“, raunte er mir zu, wenn er merkte, dass die Sucht wieder an mir zerrte und ich mit blutunterlaufenen Augen in meinen fast leeren Geldbeutel starrte.
„Glaub an dich, du schaffst es auch ohne.“
„Aber es ist doch so viel einfacher, die paar Euro für die Zeitung bar zu bezahlen.“, versuchte ich mich – ganz der Süchtige – gegenüber meinem Meister zu rechtfertigen.
„Blödsinn!“, beharrte Gerry und blieb auf Kurs. „Alles kann man mit Karte bezahlen. Dein Wille muss nur fest genug sein. Es ist einfach, dem Drang nachzugeben. Dem süßen Gefühl, das die Geldscheine verursachen, wenn sie frisch aus dem Automaten kommen. Aber dagegen muss man ankämpfen.“
Bankkarte oder Bares?
Natürlich hatte Gerry Recht! Ich hatte ja das Gegenmittel in der Hand. Meine Bankkarte, meine Kreditkarten. Das Einzige, was zwischen mir und einem gerechten, guten und notenbankgefälligem Leben ohne Bargeld stand, war meine Sucht nach den putzigen, bunten Scheinchen, die sich so wundervoll in meinem Portemonnaie machten. Immerhin war ich ja kein Hardcore-Junkie! Münzen, zum Beispiel, ließen mich total kalt. Ich fuhr nicht auf sie ab. Nicht einmal auf die Zwei-Euro-Münze. Das war etwas für die ganz tief Gesunkenen. Alles was ich für meine Zufriedenheit brauchte, waren ein paar Zehner, zwei Fünfziger und einen grünen Schein. Mehr war es nicht.
Ich konnte von meinem Bürofenster aus sogar einen Geldautomaten sehen! Es waren nur ein paar Meter, ein paar wenige Schritte, die mich vom Glück trennten. Aber Gerrys wachsame Augen hatten mich unter Kontrolle und er würde nicht zulassen, dass ich nach sieben bargeldlosen Tagen wieder rückfällig werden würde.
Zugegeben, es war ein schönes Gefühl, das Richtige zu tun. Auch wenn die Leute in der Schlange vor der Supermarktkasse murrten, wenn man die 1,25 Euro für seinen Kaugummi mit Kreditkarte bezahlte. Der Fortschritt fordert eben auch Opfer!
Keine Ahnung, wie ich in mein Auto gekommen war. Vermutlich hatte meine Sucht die Kontrolle über meinen Körper übernommen und mich hier an diesen Ort geführt, wo ich meinte, sicher zu sein.
Wie gut, dass es Geldautomaten gibt
Hier, weitab der Stadt, in einem kleinen Dörfchen im Nirgendwo war ich nur ein weiterer Fremder auf der Durchfahrt, der anhielt, um am örtlichen Geldautomaten ein paar Scheine zu ziehen.
Listig, wie ich war, parkte ich meinen Wagen um die Ecke, zog mir einen Trenchcoat an und schlug den Kragen hoch und ging los. Mit einer tief ins Gesicht gezogenen Schiebermütze fühlte ich mich gänzlich sicher vor neugierigen Blicken.
Mein Pulsschlag erhöhte sich, während ich nach dem Geldbeutel in meiner Hosentasche griff, um meine Bankkarte zu zücken. Nur noch wenige Meter trennten mich von dem Gerät und ich musste nur noch ein paar Sekunden warten, bis der Herr in Staubmantel und Schlapphut vor mir fertig war.
Dann, ja dann würde ich wieder dieses wunderbare Gefühl der Banknoten in meinen Fingern spüren. Ich spürte wie das Adrenalin wirkte und ich mich großartig fühlte. Fast wollte ich dem Mann vor mir anerkennend auf die Schulter klopfen – von Bruder zu Bruder, von Süchtigen zu Süchtigen – als sich dieser umdrehte.
„Gerry????“