Die mögliche Übernahme der Commerzbank durch die UniCredit hat erneut die Diskussion entfacht, wie viele Banken Europa tatsächlich benötigt und ob eine solche Übernahme einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Banken- und Kapitalmarktunion liefern könnte.
Europa, das ist heute ein Wirtschaftsraum mit über 450 Mio. Menschen – mit all ihren kulturellen Hintergründen, ihrer Vielfalt, ihrer Einzigartigkeit. Mit einer Geschichte von vielen tausend Jahren, voller Erfindungen, imposanter Bauwerke (man denke z.B. an das Kolosseum in Rom, das ohne CAD und KI gebaut wurde, aber immer noch die Blaupause für jedes Sportstadium ist). Europa, das ist wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (man denke z.B. an die Hanse, die in ihrer Hochphase über hundert Städte vom Ärmelkanal bis zum Baltikum umspannte). Europa, das ist Kultur und Kunst. Europa, das war und ist leider auch Krieg.
4.850 Banken in Europa
In der Europäischen Union gibt es gegenwärtig rd. 4.850 Banken, die etwa 1,8 Mio. Menschen einen Arbeitsplatz bieten; Deutschland hat ca. 1.330 Banken, und damit die meisten in der EU. Banken haben einen maßgeblichen Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung einer Volkswirtschaft; daher wurden in der Finanzmarktkrise, die im August 2007 ihren Lauf nahm, weltweit massive Anstrengungen zur Stabilisierung der Banken unternommen. Auch damals gab es eine intensive Diskussion um die Fragen, wie viele Banken braucht das Land, too big to fail, warum Banken mit Steuermitteln retten, etc.
Die reine Anzahl der Banken in einer Region ist keine relevante Größe. Sinnvoller erscheint die Frage nach der Profitabilität der Banken in einer Region. Das impliziert die Frage nach der jeweiligen Existenzberechtigung – damit unterscheidet sich die Bankindustrie nicht wirklich von anderen Industrien. Man kann auch die Frage aufwerfen, ob zu viele Banken zu viele Talente aus dem Arbeitsmarkt aufnehmen, die an andere Stelle vielleicht sinnvoller eingesetzt werden könnten.
Banken stehen im Wettbewerb mit dem Kapitalmarkt, also dem Markt für Finanzierung mit privatem Kapital über Börsen; das impliziert die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Rahmenbedingungen für Finanzierung (gerade für KMU oder Startups) und der Anzahl der Banken in einer Region gibt. Wirft man schließlich einen Blick auf die von Banken vergebenen Kredite, so könnte man provokant formulieren, dass mehr Banken ein Indikator für höhere Schuldenberge sind.
Einen Eindruck von der Relevanz und der Bedeutung einer Bank kann man anhand der Marktkapitalisierung erhalten; nur profitable Banken sind attraktiv für Investoren, nur profitable Banken können ihren Marktwert steigern.
Weiterentwicklung der europäischen Kapitalmarktunion
Wie erwähnt, kommen den Banken und dem Finanzsystem eine besondere Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstandsfortschritt in einer Region zu. Einen wesentlichen Beitrag dazu kann die Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion leisten. Die EU hat daher folgende Ziele aufgerufen.
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- Gewährleistung einer grünen, digitalen, inklusiven und widerstandsfähigen wirtschaftlichen Erholung in der EU, indem europäischen Unternehmen, insbesondere KMU, der Zugang zu Finanzierungen erleichtert wird.
- Ausgestaltung eines EU-Finanzplatzes, an dem Privatpersonen in einem sicheren Umfeld langfristig sparen und investieren können.
- Integration der nationalen Kapitalmärkte in einen echten EU-weiten Kapitalbinnenmarkt.
Da Ziele allein nicht ausreichen, hat die EU auch einen Aktionsplan vorgelegt, mit dem diese Ziele erreicht werden können.
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- Für Anleger soll ein einheitlicher Zugangspunkt zu Unternehmensdaten geschaffen werden.
- Für Versicherer und Banken soll es einfacher werden, stärker in EU-Unternehmen zu investieren.
- Der Investitionsschutz soll gestärkt werden, um grenzüberschreitende Investitionen in der EU zu fördern.
- Die Überwachung der Angemessenheit der Altersversorgung soll in ganz Europa erleichtert werden.
- Die Insolvenzvorschriften sollen stärker harmonisiert oder konvergenter werden.
- Es werden Fortschritte bei der aufsichtlichen Konvergenz und einheitlichen Anwendung des einheitlichen Regelwerks für die EU-Finanzmärkte vorangetrieben.
Privatwirtschaft muss investieren
Nun zeigt die Lebenserfahrung, dass die Politik zuweilen einen wie auch immer gearteten Aktionsplan aus einer Vielzahl von Gründen nicht umsetzen mag, kann, darf oder will. An dieser Stelle kann private Initiative von Investoren aus der Privatwirtschaft eine wertvolle Hilfe sein.
So finanzieren und begleiten Venture Capital Gesellschaften junge Unternehmen, die ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell vorweisen können. Private Equity Unternehmen finanzieren und begleiten Unternehmen in besonderen Situationen – sei es, das nächste Level zu erreichen, sei es zu restrukturieren.
Das ist weder verwerflich noch unseriös. Das ist volkswirtschaftlich sinnvoll und wünschenswert, denn oftmals wird dadurch der notwendige Strukturwandel beschleunigt, um Unternehmen, die eigentlich keine Existenzberechtigung mehr haben (Zombie-Unternehmen) wieder auf den Pfad der Profitabilität zurückzuführen.
Commerzbank – schon lange ein Übernahmekandidat
Die Commerzbank wurde am 16. Februar 1870 gegründet und durchlebt bis heute eine wechselhafte Entwicklung; vor allem war die Commerzbank selbst seit Anfang des Jahrtausends immer wieder ein Übernahmekandidat. In 2007 war es politisch gewollt, dass neben der Deutschen Bank eine weitere „große und starke“ deutsche Bank entsteht, die große Unternehmen international begleiten kann. Daher wurde die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank politisch positiv begleitet.
Staatliche Stabilisierung
Die Due Diligence als notwendige Voraussetzung für eine Übernahme fiel in den ersten Höhepunkt der Finanzmarktkrise (Pleite von Lehman Brothers). Um diese Übernahme dennoch durchzuführen, wurde die Commerzbank von der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilität FMSA im Winter 2008/2009 mit € 18,2 Mrd., davon € 16,4 Mrd. stille Einlagen, „stabilisiert“. Für den deutschen Staat war die Stützung der Commerzbank langwierig und verlustreich. Für Aktien, immerhin 25,1 Prozent des Grundkapitals, musste der Staat „nur“ € 1,8 Mrd. ausgeben. Doch die Commerzbank musste mehrfach durch die Ausgabe neuer Aktien das Eigenkapital erhöhen, um weitere Verluste abzufedern. Mal beteiligte sich der Bund an den Kapitalerhöhungen, indem er seine stille Einlage wandelte, mal ließ er seinen Anteil verwässern.
Teures Engagement
Erklärtes Ziel war es, sich möglichst bald aus diesem Engagement wieder zu trennen. Auf die stille Einlage sollte die Commerzbank eigentlich 9,25 Prozent Zinsen jährlich zahlen, doch dazu war sie nie in der Lage. 2013, nachdem die Commerzbank € 13,15 Mrd. zurückgezahlt hatte, galt die stille Einlage als zurückgezahlt. Das Aktienpaket, das € 5,05 Mrd. gekostet hat, ist heute € 2,5 Mrd. wert. Von daher war es wenig verwunderlich, dass der politische Wille über die Jahre fehlte, sich von dieser Beteiligung zu trennen.
Verkauf von Aktien durch den Bund
Ein erster Schritt erfolgt nun am 11. September 2024: Der Bund hat ein erstes Aktienpaket an der Commerzbank erfolgreich veräußert. Von der über die FMSA gehaltenen Beteiligung von zuletzt 16,49 Prozent wurden über ein marktübliches, beschleunigtes Bookbuilding-Verfahren 4,49 Prozent (rund 53,1 Mio. Aktien) verkauft. Infolge einer deutlichen Überbietung aller übrigen Angebote innerhalb des Bookbuilding-Verfahrens wurde das gesamte Paket der UniCredit Group zugeteilt. Der Zuteilungspreis lag mit € 13,20 Euro pro Aktie über dem Tagesschlusskurs von € 12,60 Euro pro Aktie. Durch die Veräußerung wurde ein Gesamterlös von € 702 Mio. erzielt.
UniCredit streckt die Hand aus
Zeitgleich hatte die UniCredit – die Wurzeln der heutigen UniCredit liegen im 15. Jahrhundert – ein Aktienpaket von 4,5 Prozent der Commerzbank über die Börse gekauft. Damit hält die UniCredit gegenwärtig knapp 10 Prozent an der Commerzbank. Darüber hinaus hat die UniCredit über Derivate den Zugriff auf weitere 11,5 Prozent der Commerzbank, sodass sie auf 21,5 Prozent käme. Die UniCredit möchte aber noch weitere Anteile erwerben; sie beantragte bei der Bankenaufsicht, ihre Beteiligung auf bis zu 29,9 Prozent zu erhöhen. Ist das verwerflich?
Die UniCredit ist der Auffassung, dass in der Commerzbank ein erheblicher Wert steckt, dieser Wert könne entweder eigenständig gehoben werden oder aber zusammen mit der UniCredit – zum Nutzen Deutschlands und der Aktionäre der Bank. Ist das verwerflich? Zum Vergleich: Die UniCredit hat eine EK-Rentabilität von fast 20 Prozent, die Commerzbank eine von um die 8 Prozent. Es ist offensichtlich, dass bei der Commerzbank Potential besteht, die Rentabilität deutlich zu steigern. Das zahlt ein auf die oben aufgeworfene Frage der Anzahl Banken und ihrer Existenzberechtigung.
Übernahme der Commerzbank durch die UniCredit wäre gut für Europa
Die UniCredit ist wie die EU-Kommission überzeugt, dass eine starke Bankenunion in Europa der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg des Kontinents und damit zum Wohlstand jedes einzelnen Landes ist. Diese private Initiative ist bereit, einen Beitrag zur Weiterentwicklung der europäischen Kapitalmarktunion zu leisten. Jeder Schritt, der unternommen wird, die Europäischen Union und den europäischen Kapitalmarkt weiterzuentwickeln, ist positiv zu sehen.
Ob Europa zu viele oder zu wenig Banken hat, lässt sich nicht pauschal beantworten. Entscheidend scheint viel mehr zu sein, dass die Banken am Markt profitabel sind und ihre Geschäftsmodelle permanent erfolgreich weiterentwickeln. Das zahlt ein auf die angestrebte Banken- und Kapitalmarktunion und führt zu einer Stärkung des europäischen Kapitalmarkts, was wiederum vorteilhaft für die wirtschaftliche Entwicklung Europas ist. Die Übernahme der Commerzbank durch die UniCredit könnte hierzu einen Beitrag leisten.