COVID-19 hat die Krise im Bankensektor weiter verschärft. Die Probleme wurden durch die Arbeit von Zuhause, das veränderte Konsumverhalten und das Einbrechen der Wirtschaft verstärkt. Jetzt gibt es die einmalige Chance, sich als Bank neu aufzustellen.
Als Fjord Anfang 2020 die jährlichen Trends veröffentlichte, konnte keiner die Auswirkungen von COVID-19 zuverlässig einschätzen. Mittlerweile wissen wir, dass diese Krise bereits hunderttausende Menschen das Leben gekostet hat. Sie hat zu einem beispiellosen Einbruch der Weltwirtschaft geführt und gnadenlos die Schwächen vieler politischer Systeme aufgezeigt. Sie hat zu einer Diskussion über die Rolle der Wissenschaft geführt und die Gesundheitssysteme aller Länder auf den Prüfstand gestellt.
Lassen Sie uns den Fokus von der Makro- auf die Mikroebene ändern. Hier sehen wir, dass die Krise jeden auf individuelle Art getroffen hat. Und dies sehr wahrscheinlich stärker als jede andere Krise in Deutschland in den letzten 70 Jahren.
Von einer „Ich“- zur „Wir“-Kultur
Die Krise hat uns gezeigt, dass sich niemand vor dem Virus verstecken kann. Und wenn wir etwas Positives ableiten wollen, dann ist es, dass die Krise die Menschen in Deutschland zum Nachdenken bringt und ihr Verhalten dauerhaft und nachhaltig verändern wird. Wir setzen eine Maske auf, weil wir uns schützen wollen, wissen aber auch, dass wir dadurch eher andere schützen, falls wir infiziert sind. Der schnelle und unbedachte Konsum hat sich reduziert und wird dies auch in der Zukunft weiter tun.
Ähnliches gilt für das Reiseverhalten: Viele werden wahrscheinlich seltener für ein Wochenende zum Spaß nach Barcelona fliegen und auch geschäftlich wird sich hoffentlich die Tendenz durchsetzen, dass nicht mehr jeder Termin in Präsenz stattfinden muss. Das schont Ressourcen, und dabei geht es nicht mehr nur um den Einzelnen, sondern vielmehr um das Gemeinwohl – es scheint, dass wir uns langsam von einer „Ich“- zur „Wir“-Kultur entwickeln.
Der Frust der Mitarbeiter bei Banken und Finanzdienstleistern
Das Meta-Thema der diesjährigen Fjord-Trends beruft sich auf eine Veränderung des Wertesystems. Durch die Krise hat dieser Ansatz weiter an Bedeutung gewonnen. Es geht darum, den Profit als die seit Jahrzehnten gültige primäre Definition von Erfolg in Frage zu stellen. Und jede Bank hat nun die Chance, die Richtung neu zu definieren. Aber es ist nicht notwendig, das Geschäftsmodell komplett über den Haufen zu werfen, sondern einfach mal in sich hinein zu hören: Was verkaufe ich als Bank und wer produziert und vertreibt eigentlich meine Produkte?
Meiner Erfahrung nach ist ein wesentlicher Verstärker der jahrelangen Bankenkrise die Situation ihrer Mitarbeiter. Als ich meine Bankausbildung in der 1990er Jahren absolvierte, war Bankkauffrau/Bankkaufmann ein hoch respektierter Job. Heute dagegen kämpfen die Mitarbeiter in einem Hamsterrad gegen den Reputationsverlust des Sektors, der sie in ihrem privaten Umfeld belastet. Sie fühlen sich von den Folgen der Digitalisierung überrannt, was durch Filialschließungen und allgemeinen Stellenabbau verschärft wird.
COVID-19 verschärft Identitätskrise der Banken
Und als wegen COVID-19 die Banken plötzlich noch mehr ihrer Filialen und Zentralen schließen mussten, war jeder Mitarbeiter plötzlich alleine in seinem Homeoffice.
Häufig war die technische Infrastruktur nicht vorhanden und die privaten Herausforderungen erschwerten die Situation zusätzlich. Jeder erhielt via Videokonferenzeinen Einblick in das private Umfeld der Kollegen. Die häufig bewusst gelebte Trennung von Job und Privatem war nicht mehr möglich. Wer viel zeigte, gab in falschen Momenten ungewollte Details preis. Wer versuchte sich vor verschwommenen Hintergründen zu verstecken, wirkte direkt verdächtig. Es brach nach und nach das Netzwerk auseinander, deren tägliche Pflege im Büro notwendig ist.
Den Banken wird nun klar, dass die aktuelle Homeoffice-Situation nicht temporär sein wird, sondern dauerhafte Veränderungen beim Arbeitsplatz zur Folge haben wird. Sie starten nun Schritt für Schritt, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie ihren Mitarbeitern ihren Arbeitsplatz zuhause bereitstellen können.
Die beschriebenen Herausforderungen beinhalten alle Chancen für eine Neuausrichtung der Bank. Ich behaupte, dass der Mitarbeiter im Wertesystem der Bank neben dem Kunden eine entscheidende Hauptrolle spielen muss, um die anstehenden Veränderungen erfolgreich meistern zu können.
Die Motivation der Mitarbeiter
Viele Banken haben sich in den letzten Jahren sehr intensiv und erfolgreich um die Customer Experience gekümmert. Die Employee Experience hingegen ist bisher leider etwas kurz gekommen. Aber mit der Krise sollten die Banken verstärkt auf eben genau diese Ressource setzen, die ihnen helfen wird, den lang erhofften Wandel einzuläuten.
Dafür habe ich fünf Vorschläge zur Verbesserung der Employee Experience:
- Der Mitarbeiter sollte als wesentliches Element des Wertesystems und des Erfolgs der Bank betrachtet und in eine Position gebracht werden, die es ihm ermöglicht, diesen wichtigen Beitrag auch leisten zu können.
- Der Mitarbeiter lebt im privaten Umfeld, genau wie der Kunde, in miteinander verwobenen digitalen Lösungen mit einer meist hohen User Experience (Stichwort Apple-Ökosystem). Dieses Erlebnis sollte er auch an seinem Arbeitsplatz vorfinden.
- Mit der richtigen technischen Ausstattung lässt sich die Situation erzeugen, vor dem Rechner zuhause und gleichzeitig nah bei den Kollegen zu sein, während man sich trotz der räumlichen Trennung als Teil des Unternehmens fühlen kann.
- Die Mitarbeiter sind die Wissensträger ihres Aufgabengebiets. Sie müssen in die Ideenfindung und Entwicklung neuer Services und Produkte durch interdisziplinäre Zusammenarbeit eingebunden werden. Sie können aus der Linie heraus die Entwicklung des Unternehmens bottom-up mitbestimmen. Das ist ein erster Schritt zu einem agilen Organisationsmodell.
- Mitarbeiter haben im Homeoffice angefangen, über den Sinn ihrer Arbeit nachzudenken und mit Sicherheit wichtige Erkenntnisse gewonnen. Die Arbeit ist nun ein stärkerer Teil des Privatlebens bei allen. Der nächste Schritt wäre nun, dieses Wissen aufzunehmen und Lösungen abzuleiten, um daraus „the new way of working“ für die Entwicklung des Arbeitsplatzes der Zukunft direkt aus den Bedürfnissen der Mitarbeiter abzuleiten.
Die Krise als Chance
Für die Banken ergibt sich aus der Krise die Chance, ihre Mitarbeiter (wieder) stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Sie sind der Motor jeder Bank. Sie sind diejenigen, die die besten Ideen haben, denn sie sind die Experten. Und sie wissen, wie aus einer Idee eine funktionierende Lösung wird. Gebt ihnen diese Möglichkeiten und die deutschen Banken kommen wieder auf die Überholspur.