Wird das Metaverse das „Next Big Thing“ des Internets? Auch wenn noch viele Fragen offen sind, scheint das Potential enorm zu sein und nicht nur die BigTechs positionieren sich. Auch für Banken könnten sich interessante Use Cases ergeben. Einige sind bereits aktiv.
Virtuelle Welten gibt es schon seit längerem. So nutzten bereits 2005 mehr als eine Millionen registrierter Nutzer Second Life, um Handel zu treiben, zu spielen und durch Avatare miteinander zu interagieren. Auch eine virtuelle Währung – der Linden-Dollar- wurde vom Betreiber Linden Lab emittiert, welche es u.a. ermöglicht Grundstücke zu kaufen. Unangenehme Begleiterscheinungen – wie sie heutzutage auch auf sozialen Plattformen und Metaversen zu beobachten sind, beispielsweise illegales Glückspiel oder sexuelle Belästigungen – waren in dieser virtuellen Welt bereits vor fast zwanzig Jahren zu beobachten. Und auch eine grundlegende Frage beschäftigte damals bereits Nutzer: Die Eigentumsrechte an selbsterstelltem Content und die Monetarisierung desselben sowie Wechsel der Kryptowährung Lindenlab in Fiatwährung.
Drei Elemente der Metaversen
Der Begriff Metaversum ist ein Kunstwort aus dem griechischen Wort meta (jenseits) und Universum und wurde erst Mals 1992 im Science-Fiction Snow Crash verwendet. Er beschreibt einen virtuellen Raum, in dem Menschen als Avatare miteinander interagieren. Oder um es einfacher a la Marc Zuckerberg zu skizzieren, handelt es sich um einen mit einem Avatar begehbares Internet.
Drei Elemente charakterisieren dabei die Metaversen:
- die zu nutzende Hardware in Form von AR- bzw. VR-Brillen,
- das darunterliegende Web sowie
- die verschiedenen entstehenden virtuellen Welten.
1. Hardware für das Metaversum
Im Hinblick auf die Hardware sollen bis 2030 rd. 1 Mrd. Menschen entsprechende Brillen bzw. Headset zu nutzen. Relevant ist aber nicht alleine die Zahl der verfügbaren Brillen, sondern wie der Zugang technisch nutzbar ist. Zurzeit ist die Internetinfrastruktur nicht geeignet, um immersive Inhalte in der notwendigen Qualität für eine breiter Nutzerzahl zu streamen.
2. Web 3.0 als Grundlage für das Metaversum
Ein weiteres Element ist die Charakteristika des sich entwickelnden Web 3.0. Während im Web 1.0 nur das Lesen von Content möglich war, ermöglicht das Web 2.0 das Lesen und Schreiben von selbsterstelltem Content. Dies war die Basis für das Entstehen völlig neuer Geschäftsmodelle. Einerseits kann durch die Interaktion der Nutzer das Verhalten derselben getrackt werden und so zielgerichtetes Marketing realisiert werden, was u.a. den wirtschaftlichen Erfolg von Facebook oder Google ermöglichte. Zugleich wurden aber auch einzelne Individuen befähigt, ihren Lebensunterhalt durch ihren selbst erschaffenen Content als Influencer zu erwirtschaften.
Das Web 3.0 zeichnet sich zusätzlich durch den Aspekt des „Besitzen“ aus. Nutzer bleiben einerseits Eigentümer ihrer Daten und können diese auch selber vermarkten. Andererseits kann bzw. wird bereits Eigentum an digitalen Assets und auch an tokenisierten realen Gütern erworben und gehandelt.
3. Virtuelle Welten
Drittes Charakteristikum sind die verschiedenen Arten von zurzeit entstehenden virtuellen Welten. Historisch gesehen können drei Arten von Unternehmensgruppen identifizieren, die sich darum bemühen, eine Poolposition im Rennen um das Metaverse einzunehmen.
Big Techs suchen nach neuen Ertragsquellen
Landläufig präsent ist vor allem Meta Platforms (ehemals Facebook), allerdings haben Nutzer in Europa noch keinen Zugang zu diesem Metaversum. Warum herrscht solch ein Druck für Facebook, sich hier zu positionieren? Treiber sind vor allem die seit Herbst 21 abnehmenden Wachstumsraten bei den Monthly- oder daily-active User (M. bzw. DAU), die sich konsequenterweise 2022 in sinkenden Umsätzen und Gewinnen niedergeschlagen haben. Meta hat zwar mit WhatsApp und Instagram noch interessante Zugpferde, aber Facebook selber scheint möglicherweise mit seinem Angebot an einer Wachstumsgrenze angekommen zu sein, ergänzt um Probleme mit Fake-Accounts und nicht angemessen orchestriertem Inhalt. Auch wurde das Thema „Gaming“ bisher vernachlässigt.
Doch mit dieser Erkenntnis, dass die Metaversen eine hochspannende strategische Option sind ist Meta nicht alleine – z.B. versucht sich hier auch Microsoft zunächst mit „mesh for teams“ zu positionieren.
Beiden BigTechs ist bewusst, dass der Zugang zum Metaverse entscheidend sein wird für die Lenkung der Nutzermassen. Konsequenterweise arbeiten beiden an entsprechenden VR- bzw. AR-Brillen. Auch Apple scheint für 2023 den Launch einer entsprechenden Hardware vorzubereiten und Google testet seit Herbst 2022 eine entsprechende Brille.
Unabhängig davon wird es wohl noch länger dauern, bis alle interessierten Nutzer weltweit auf entsprechend geeignete AR/VR-Brillen zugreifen können – der Zugang zu den Metaversen wird bis dahin noch über smart devices oder Spielekonsolen erfolgen.
Gaming-Anbieter als weitere wichtige Treiber der Metaversen
Neben den BigTechs rüsten sich auch „klassische“ Spielewelten wie Roblox (200 Mio. monatliche aktive Nutzer) oder Fortnite (350 Mio. registrierte Benutzer) für den Aufbau von Metaversen, wobei sie – insbesondere was die User Experience angeht – den BigTechs deutlich voraus zu sein scheinen. Man denke dabei nur an den bei Meta gefeierten Fortschritt, dass deren Avatare jetzt auch über Beine verfügen. Bereits heute verbringen Kinder unter dreizehn Jahren mehr Zeit in diesen Spielwelten als bei YouTube, dem zu Folge positionieren sich in diesen virtuellen Welten Anbieter wie Lego, Nike oder Vans. Der Betreiber von Fortnite (Epic Games) hat im vergangenen Jahr mehr als 1 Mrd. Dollar von Investoren zum Aufbau ihres Metaversums eingeworben.
Weitere Metaverse-Akteure
Die dritte Gruppe von Anbietern sind aus meiner Sicht „reinrassige“ Metaversen, welche vom Scretch auf als dezentrale Organisationen konzipiert wurden. Dazu zählt Decentraland, welches 2015 gegründet wurde oder Sandbox, die beide bei Etherium gehostet werden und Tokens für Payment und Landrechte anbieten. Die Anzahl der Metaversen ist aber nicht limitiert, sondern es scheinen täglich neue zu den bisher rund 100 bekannten Welten dazu zu kommen. Konsequenterweise gibt es daher bereits erste Anbieter wie die Metaverse Academy, die Unternehmen dabei beraten, in welchem Metaversum sich diese positionieren sollen und entsprechende Schulungen (in einem Metaversum) anbieten.
Nutzungsmöglichkeiten der Metaversen
Die Nutzungsmöglichkeiten der Metaversen sind jenseits der Präsentation von Mode bzw. Marketing und virtuellen Konzerten und Events vielfältig. Es sind bei weitem nicht nur Künstler wie Snoop Dogg oder Luxusmarken wie Gucci und Prada, die Filialen oder gar eigene Länder in den verschiedenen Metaversen eröffnen. Wenn dann Gucci virtuelle Handtaschen zu einem höheren Preis in der Sandbox als in der Realität verkauft, so deutet dies auf ein enormes Business Potential hin ($4,115 vs. $3,400).
Unabhängig von diesen vielleicht eher als Spielerei belächelten Aktivitäten gibt es bereits erste handfeste Use Cases in drei Bereichen:
- Smart Manufactoring,
- Healthcare und
- Virtual Cities/Public Services.
Smart Manufacturing
Boing experimentiert mit digitalen Zwillingen um Flugzeuge im Metaverse zu entwickeln. Siemens Energy nutzt einen digitalen Zwilling für predictive maintenance ihrer Energieerzeugungsanlagen. Auch Ericcson analysiert, wie für 5G-Netzwerke und deren jeweiligen Umwelt die optimale Performance und Abdeckung gesteuert werden können.
Healthcare
Erste Anwendungsfälle für die Ausbildung im Gesundheitswesen zeichnen sich bereits ab, wobei hier – wie auch im Banking – asiatische bzw. koreanische Anbieter führend sind. Die Seoul National University Bundang Hospital (SNUBH) bietet Schulungen für medizinisches Personal in einem intelligenten Operationssaal im Metaverse an. Im Frühjahr 2021 hat die asiatische Gesellschaft für kardiovaskuläre und Thoraxchirurgie (ASCVTS) über 200 Thorax Chirurgen auf einer Online-Konferenz über eine Metaverse-Plattform geschult.
Weitere Anwendungsfälle sind bspw. die Nutzung von Headsets zur Messung und Bewertung der Gesundheit von Patienten bspw. via eye-tracking-Funktionen oder auch die Nutzung von virtuellen Realitäten um potenzielle Schmerzsignale von Patienten abzumildern bzw. auszublenden.
Virtual Cities
Seoul plant ein virtuelles Service-Center für seine Bürger sowie die Schaffung eines digitalen Tourismusbüros. Dubai und die Vereinigten Arabischen Emirate analysieren ebenfalls das Potential der Metaversen und Barbados plant als erster Staat der Welt eine offizielle Botschaft im Decentraland.
Business Opportunities der Metaversen für Banken
Und wo stehen die Banken? Neben Events, die bereits von Commerzbank oder BNP Paribas in Metaversen durchgeführt wurden, bauen andere Banken bereits an ihren eigenen Filialen (JP Morgan) oder erwerben Land in der Sandbox (HSBC), um dort Sportbegeisterte anzusprechen. Die südkoreanischen KB Bank führt bereits in ihrer virtuellen Filiale Kundenberatungen durch und trainiert Mitarbeiter. Das Thema Onboarding und Schulung der Mitarbeiter wird aber auch in anderen Branchen aktiv genutzt – Accenture hat tausende Mitarbeiter virtuell durch das Onboarding geführt.
Nachdem die Deutsche Bank 2021 für ihre Mitarbeiter eine Weihnachtsfeier im Metaverse durchgeführt hat, wurde Ende 2022 ein entsprechendes Grundstück von ihr erworben. Auch die DekaBank ist mit einer dreistöckigen Filiale im Decentraland vertreten. Spannenderweise zeigt sie hier u.a. den Stand ihres Innovationsmanagements an einem Kanban-Board. Die Schweizer Kryptobank Sygnum hat ebenfalls im Herbst eine virtuelle Filiale in Decentraland eröffnet und präsentiert eine Kollektion von NFTs.
Welche Potentiale bieten sich nun grundsätzlich für die Finanzindustrie neben dem Thema Onboarding, Schulung und Kollaboration bei räumlich verteilten Teams? Sicherlich gehören dazu Services an der Grenze zwischen digitaler und physischer Welt. Dazu zählen der Wechsel von Währungen von Crypto- in Fiatwährungen und vice versa. Passenderweise gibt es im Decentraland jetzt die Möglichkeit, dass Landbesitzer auf ihren Grundstücken ATMs aufstellen können, um Fiatwährung in die digitale Währung Mana zu wechseln. Das Thema Payments wird ebenfalls eine zentrale Rolle in den Metaversen einnehmen. Weitere mögliche Services der Finanzindustrie sind die Bewertung und Finanzierung von NFTs, insbes. Grundstücke und Kunst, sowie die Verwaltung von Identitäten und Wallets.
Offene Zukunft des Metaverse
Allerdings ist noch völlig unklar, welche Art von Metaverse am Ende entstehen wird: ein einziges dominantes, mehrerer große oder viele kleine Einheiten. Interessant wird auch hier die Interoperabilität sein, daher wird es gelingen, zwischen den Welten zu wechseln und Artefakte wie Skins, vollständige Avatare oder auch Cryptocurrencies mitzunehmen bzw. zu tauschen.
Entscheidend wird sein, wie entsprechende Standards aussehen werden und ob es die BigTechs alleine aufgrund ihrer bisher hohen Nutzerzahl schaffen werden, diese Standards zu etablieren. Weiterhin offen sind die für die Banken entstehenden rechtlichen und Reputationsrisiken.
Grundsätzlich scheint aber die Entwicklung der Metaversen parallel zur Entwicklung des Internets in der Vergangenheit zu verlaufen – mittel- bis langfristig werden sich völlig neue Geschäftsmodelle etablieren. Insofern scheint zumindest ein kritisches „Watch“ – wenn nicht gar „Prepare“ angesagt. Immerhin hat das Internet rund 20 Jahre gebraucht, um im Retailbanking anzukommen, beim Mobile Banking ging es dann doppelt so schnell. Überträgt man dies auf die prognostizierten Nutzerzahlen der Metaversen in 2026 – laut Gartner sollen sich dann 25 Prozent der Weltbevölkerung dort bewegen – so scheinen für die Finanzindustrie dort relevante Business Opportunities zu entstehen und dies zusätzlich in einem rasanten Tempo.