Wie kann die Gesellschaft von der Digitalisierung profitieren, ohne dabei zu sehr von den Internetgiganten abhängig zu sein? Datengenossenschaften können eine Lösung sein, mit denen sich die persönliche und wirtschaftliche Datensouveränität zurückgewinnen lässt.
Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts“ heißt es häufig oder „Daten sind der Rohstoff der Zukunft“. Eine weitreichende Behauptung. Doch zunächst sind dies schiefe Metaphern. Denn Daten haben an und für sich keinen Wert und sind weder endlich noch knapp. Einen Wert erhalten sie erst durch ihr Auslesen, Aggregieren und Raffinieren. Dabei entsteht ein Mehrwert, der momentan sehr unfair verteilt wird. So treten die Datenproduzenten ihre Verfügungsrechte im Austausch gegen unentgeltliche Dienstleistungen an die Internetriesen ab. Die immensen Profite verbleiben bei wenigen.
Daten sind das Kapital 4.0.
Um diese wettbewerbsbeschränkenden Verhältnisse zu verändern, gibt es alternative Vorschläge:
- die Verschärfung des Kartellrechtes,
- die unentgeltliche Bereitstellung von veredelten Daten für kleinere, innovative Unternehmen oder
- die rechtliche Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Menschen.
Keiner der Vorschläge mag gänzlich überzeugen.
Daten transparent und sicher verwalten
Ein fast 200 Jahre alter Grundgedanke der Genossenschaften kann hier dienlich sein und ist seit 2016 Teil des Kulturerbes der Menschheit. „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele.“ Die „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist im Zeitalter des Datenreichtums aktueller denn je. Auch im 19. Jahrhundert wurden Arbeitern, Bauern, Handwerkern und Freiberuflern die Mehrwerte ihrer Arbeit entzogen. Ebenso wurden sie von ihren selbständigen Fähigkeiten und Bedürfnissen entfremdet. Die Dividenden kassierten andere.
Ohne Daten kommt eine leistungsfähige moderne Gesellschaft und Wirtschaftsordnung nicht mehr aus. Es müssen allerdings Brücken zu den Bürgern gebaut werden. Sie liefern die Daten, und der moderne Netzwerkkapitalismus setzt die Erkenntnisse aus der Datenanalyse mittels Algorithmen in der digitalen Transformation für gesellschafts- und sozialpolitische Entwürfe ein.
Das geht nur in einer Zukunft, in der die Bürger sicher und selbstbestimmt über ihre Daten verfügen. Was eine Gesellschaft antreibt, ist die Beziehung und die Kooperation zwischen und mit den Menschen. Denn erst Beziehungen geben ihnen ihren Wert. Die Souveränität des Einzelnen über seine Daten ist die unverzichtbare Grundlage für einen „New Data“ Deal. Die Herausforderungen des Datenzeitalters müssen mit den Mitteln unseres Jahrhunderts gestaltet werden. Beginnend mit kleinen Praxisversuchen kann getestet werden, um dann allgemeine Lösungen zu gestalten. So werden der Mensch und sein (Daten-)Kapital wertvoller gemacht.
Überlegungen zu einer souveränen Datenpraxis
Wie könnte dies nun praktisch aussehen? Den Bürgern muss die Souveränität über ihre Daten zurückgegeben werden; wobei dies nicht bedeutet, dass ihre Daten nicht verwendet werden. Wir brauchen für Daten ein neues Konzept von Eigentum, das auf Transparenz und Handlungsfähigkeit beruht. Wir sollten Unternehmen belohnen, die aktiv offenlegen, was sie von den Bürgern wissen. Die die Daten nicht ohne Wissen weitergeben und sie niemals ohne Einverständnis speichern. Dies kann von der Rechtsform der Unternehmung nur die Genossenschaft leisten. Sie gehört ihren Kunden. Dieses Identitätsprinzip gewährleistet das ständige, verantwortungsvolle Ausbalancieren unterschiedlicher wirtschaftlicher und privater Interessen.
In einer Datengenossenschaft als vertrauenswürdige Instanz werden die Datensätze der Kunden und Mitglieder gemeinschaftlich gespeichert und verwaltet. Diese Speichergenossenschaft, die natürlich im Eigentum ihrer Datenlieferanten steht, bietet eine technisch moderne, komfortable und DSGVO-konforme sowie kostendeckende Dienstleistung. Kosten fallen für die Betriebsführung, Hard- und Software sowie für Algorithmen an. Dieses „Bankkonto für persönliche Daten“ hat den Charakter eines transparenten Treuhandkontos. Die Datenlieferanten entscheiden zu jeder Zeit, wem, wann und zu welchen Daten Zugriff erteilt wird. Die Kontrolle besteht damit nicht nur über die eigenen Daten, sondern die Kunden kontrollieren als Mitglieder die gesamte Genossenschaft.
Datenerlöse für alle generieren
Ein weiteres Leistungsmerkmal ist die Datenweiterverarbeitung. Mittels geeigneter Algorithmen werden in einem Wertschöpfungsprozess bewertbare und handelbare Informationen generiert, gebündelt und vermarktet. Das Mitglied nimmt im Umfang seiner Dateneinlieferung und Informationsfreigabe an den Erlösen nach Abzug der Informationsgewinnungskosten teil. Prinzipiell denkbar ist auch die Spende der Datenerlöse.
Um die notwendigen Micropayments wirtschaftlich durchführen zu können, ist die Abwicklung auf Basis der Blockchain-Technologie vielversprechend. Die Ausgabe von Geno-Token ist damit ohne weiteres denkbar.
Dass die skizzierten Überlegungen keine rein theoretischen Erwägungen sind, zeigen einige Praxisbeispiele. So hat sich zum Beispiel die polypoly-Genossenschaft gegründet. Das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg fördert seit 2020 ein Pilotprojekt zu Datengenossenschaften mit 1,4 Millionen Euro. Und auch in der Schweiz wird eine gemeinnützige Datengenossenschaft mit dem Schwerpunkt gesundheitsbezogener Daten begleitet. Besonders hervorzuheben ist eine Initiative des genossenschaftlich verfassten Großmarktes Hamburg, der sich intensiv mit dem Konzept Datengenossenschaft auf Basis der Blockchain-Technologie befasst.
Der Beitrag erschien ursprünglich als Teil des Jahrbuchs 2020/21 des Vereins Finanzplatz Hamburg e.V.. Das Jahrbuch können Sie hier herunterladen.