FinTech und Finanzinnovationen sind Themen, für die sich zunehmend auch die Politik interessiert. So auch „Die Linke“. In einem ausführlichen Interview habe ich mich mit deren finanzpolitischem Sprecher Axel Troost dazu ausgetauscht.

Deutscher Bundestag, Berlin

Der Sitz des Deutschen Bundestags in Berlin

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Voraussichtlich im September findet die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag statt. Grund genug, im Vorfeld die Meinungen und Pläne der dort vertretenen Parteien zu den aktuellen Themen und Trends im Bereich Banken und Finanzdienstleistung zu er- und hinterfragen.

„Kleine Anfrage“ der Linken zu FinTechs in Deutschland

Dass FinTech auch ein (partei)politisches Thema sein kann, hat die Bundestagsfraktion der Partei „DIE LINKE“ im August 2016 mit ihrer umfassenden parlamentarischen Anfrage Nr. 18/9361 bewiesen. Darin wird festgestellt, dass „die Digitalisierung von Finanzdienstleistungen gegenwärtig als die zentrale Herausforderung eines Strukturwandels gilt, der seit einiger Zeit den sog. Finanzsektor tief erfasst hat“. Und weiter: „Der digitale Strukturwandel führt zu Veränderungen am Markt und im Wettbewerb, aber auch in den Kundenbeziehungen“. „Eng verbunden mit dem Megatrend der Digitalisierung ist das Aufkommen von sog. FinTechs, digitalen Finanzdienstleistern, die diesem Trend folgen und ihn gleichzeitig weiter vorantreiben.“

Insgesamt 24 detaillierte Fragen zu Anzahl, Struktur, Tätigkeiten und Regulierung wurden der Bundesregierung zur Beantwortung vorgelegt. Deren Antworten waren sicherlich nicht in allen Punkten erschöpfend, aber immerhin eine erste konkrete inhaltliche Aufbereitung des Themas, der bald darauf eine umfassendere Studie folgte.

Gespräch mit Dr. Axel Troost, MdB, Die Linke

Axel Troost (Jg. 1954) ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke und als Mitglied des Bundestages finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. In dieser Eigenschaft ist er Obmann des Bundestagsausschusses für Steuern, Geldpolitik, Finanz- und Kapitalmärkte (Finanzausschuss). Troost ist studierter Volkswirt und hat zum Thema „Staatsverschuldung und Kreditinstitute“ promoviert. Neben anderen Funktionen ist er Mitglied des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Zahlreiche Kolumnen von ihm finden sich hier.

Dr. Axel Troost, MdB, ist stellvertretender Vorsitzender der Links-Partei und finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion

Im Rahmen eines exklusiven Interviews beantwortete Troost ausführlich meine Fragen zur Bedeutung und Einschätzung von FinTechs und macht dabei die Position der Linken zu dem Themengebiet deutlich.

Viele Finanzdienstleistungen sind gesellschaftlich sinnvoll

Der Bank Blog: In ihrem Beitrag „Der Unsinn von der „Enteignung der Kleinsparer“ verweisen Sie darauf, dass es aus linker Sicht keine Aufgabe der Zentralbank sein kann, Sparerinnen und Sparer mit (hohen) Kapitalerträgen zu versorgen. Vielmehr widerspräche es linker Wirtschaftspolitik generell, sich für Einkommen aus Kapitalbesitz einzusetzen. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die volkswirtschaftliche Funktion und Bedeutung von FinTechs im Hinblick auf ein funktionierendes Bankensystem und kundengerechte(re) Finanzdienstleistungen?

Axel Troost: Ich würde klar zwischen reiner Ansammlung und Anlage von Geldvermögen einerseits und der Erbringung einer Finanzdienstleistung unterscheiden. Nicht wenige Finanzdienstleistungen – seien sie nun von Banken oder FinTechs bereitgestellt – befriedigen tatsächlich einen gesellschaftlich sinnvollen Bedarf (z.B. den nach Zahlungsverkehr, nach sicheren Möglichkeiten der Ersparnisbildung oder nach der Finanzierung von Investitionen). Für die Erbringung solcher Dienstleistungen darf ein Unternehmen also legitimer Weise Geld verlangen. Anders sieht das aus beim klassischen Rentier, der nicht nur sein Geldvermögen sicher und inflationssicher aufbewahren will, sondern der daraus eine Einkommenserwartung ableitet und wie selbstverständlich erwartet, dass sich Geld aus sich selbst vermehrt. Wie wir alle wissen, ergeben sich Einkommensströme heute nicht entlang von Legitimationsfragen, sondern entlang von Angebot und Nachfrage. Als Gesetzgeber und als Linke müssen wir uns aber natürlich fragen, welche Finanzdienstleistungen – auch von FinTechs – womöglich gefährlich oder gar kontraproduktiv wirken können. Diese gilt es dann natürlich zu unterbinden. Die Finanzdienstleistungen von FinTechs sind nicht per se kundennäher, innovativer oder riskanter als die z.B. von Banken, aber ein sinnvoller Wettbewerb kann nur entstehen, wenn Banken und FinTechs grundsätzlich denselben Regeln unterworfen sind.

Beim Thema FinTech dämmert die Bundesregierung bräsig vor sich hin

Der Bank Blog: Im Rahmen einer kleinen parlamentarischen Anfrage hat Ihre Fraktion der Bundesregierung einen umfangreichen Fragenkatalog zum Themengebiet FinTech vorgelegt. Welche Motivation war damit für Die Linke verbunden?

Axel Troost: Wir wollen zunächst mal erfahren, wie weit die Bundesregierung überhaupt in ihrer Wahrnehmung und Bewertung von FinTechs ist. Natürlich spielt dabei auch unsere Sorge eine Rolle, dass durch die Erbringung von Finanzdienstleistungen außerhalb des Bankensektors Regulierungslücken entstehen. Als Gesetzgeber steht man immer vor der Herausforderung, dass man den realen Entwicklungen zeitnah folgen muss, damit man nicht den tatsächlichen Regulierungsanforderungen jahrelang hinterherhinkt, wie das bei den sogenannten Finanzinnovationen leider meist der Fall war und ist. Die Antwort der Bundesregierung hat diese Befürchtungen aber sicher nicht zerstreut. Wir haben eher den Eindruck, dass die Bundesregierung hier mal wieder recht bräsig vor sich hin dämmert. Es ist nicht einzusehen, warum die Bundesregierung tatenlos zusieht, dass für manche FinTechs die Gewerbeämter statt der BaFin zuständig sind.

Der Bank Blog: Die Antworten der Bundesregierung waren bei vielen Details eher vage. Nun hat das Bundesfinanzministerium – quasi im Nachgang zu Ihrer Anfrage – eine umfangreiche Studie zum FinTech-Sektor vorgelegt. Welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus?

Axel Troost: Scheinbar hat die Bundesregierung inzwischen erkannt, dass sie den FinTech-Sektor etwas genauer in den Blick nehmen muss. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage im August hatte sie zu vielen Fragen schlichtweg geantwortet, sie wisse es nicht bzw. hätte darüber keine Informationen, z.B. wie viele FinTech-Unternehmen es in Deutschland gebe bzw. wie viele davon bestimmte Geschäftstätigkeiten bei der BaFin angemeldet hätten. Wir können selber nicht sagen, wieweit die im November veröffentlichte Studie auch eine Reaktion auf beharrliches Nachfragen im Parlament war. Bemerkenswert erscheint mir, dass sich die Studie als quasi erste ernsthafte Bestandsaufnahme zum Thema Fin-Tech im Auftrag der Bundesregierung gleich sehr weitgehend darauf festlegt, dass aktuell von FinTechs keine systemischen Risiken fürs Finanzsystem ausgehen. Ich würde es keinem verübeln, wenn er oder sie offen sagt, dann man das derzeit seriös noch gar nicht sagen kann. Wenn ich mal etwas zuspitzen darf: im August hatte die Bundesregierung angeblich noch sehr wenig Ahnung vom Fin-Tech-Sektor, im November weiß sie aber schon ganz genau, dass keinerlei Gefahr besteht. So was macht mich immer ein bisschen stutzig.

Finanzkrise hat uns gelehrt, bei Finanzinnovationen aufmerksam zu sein

Der Bank Blog: Welche aus Ihrer Sicht wichtigen Fragen zum FinTech-Sektor bleiben weiterhin unbeantwortet?

Axel Troost: Ich finde, dass die Studie des BMF als erste Bestandsaufnahme durchaus viele Aspekte und Aktivitätsfelder abdeckt. Wenn ich bei der Bundesregierung bisher eine gewisse Behäbigkeit in der Bearbeitung des Themas FinTech sehe, so will ich damit keineswegs sagen, wir als LINKE hätten das Thema längst durchdrungen und könnten genau sagen, wo die Probleme liegen. Mir ist einfach wichtig, dass ein Bereich, in dem sich gerade so viel tut wie bei den FinTechs, von den Aufsichtsbehörden und in Sachen Regulierung nicht mit derselben Sorglosigkeit und Marktgläubigkeit links liegen gelassen werden, wie dies in den 1990er und 2000er Jahren im Bereich der Derivate und komplexen Finanzstrukturierungen passiert ist. Die globale Finanzkrise sollte uns alle gelehrt haben, dass sogenannte „Finanzinnovationen“ hohe Aufmerksamkeit verdienen und sie immer auf ihr Risikopotential abgeklopft werden müssen. Die nächste Finanzkrise wird sich sicher nicht an CDO oder CDS entzünden, sondern woanders ihren Ausgang nehmen.

Im nächsten Abschnitt erläutert Axel Troost, warum das Finanzsystem einfacher und standardisierter werden sollte, schlägt einen Finanz-TÜV für Bankprodukte vor und macht deutlich, dass es keine unterschiedliche Behandlung von digitalen Finanzleistungen geben sollte.


Als Folge aus der Finanzkrise sollte die Aufsicht für innovative Finanzprodukte verbessert werden

Das Finanzsystem muss einfacher und standardisierter werden

Der Bank Blog: Die Linke fordert ja u.a. Banken zu verstaatlichen, sowie den Finanzsektor demokratisch zu kontrollieren und dem Gemeinwohl zu verpflichten. Gilt dies auch für FinTechs? Und wenn ja, in welcher Form?

Axel Troost: Unsere zentrale Analyse lautet, dass die Finanzindustrie im Verhältnis zur Realwirtschaft teilweise massiv überbordet, viel zu groß ist und mangels eines vernünftigen Geschäftsmodells – bzw. als gesellschaftlich unvernünftiges Geschäftsmodell – dabei viel zu viele Risiken eingeht. Gemeint ist das Kapitalmarktgeschäft auf eigene Rechnung und mit erheblichem Hebel. Da das Finanzsystem besonders anfällig für Vertrauensverluste ist, können die Fehler einzelner Finanzdienstleister schnell eine ganze Branche in Verruf bringen und dann zähneknirschend staatliche Unterstützung nötig machen, um einen Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Unsere Forderung nach demokratischer Kontrolle und Vergesellschaftung (das meint deutlich mehr als nur Verstaatlichung) des Bankensektors leitet sich genau aus diesem Fehlanreizsystem ab, dass die Aktionäre profitorientierter Finanzunternehmen in den guten Jahren hohe Dividenden einfahren und in Krisenjahren die Kosten dem Staat und dem Gemeinwesen aufdrücken können. Insgesamt sehen wir einen Bedarf nach einer Vereinheitlichung und Standardisierung von Finanzinstrumenten und -dienstleistungen, damit eine ernsthafte demokratische Kontrolle und Beaufsichtigung überhaupt möglich ist. Von daher spricht nichts dagegen, dass im FinTech-Sektor originelle Finanzinstrumente für real bestehende Bedarfe entwickelt werden, aber sie müssen das Finanzsystem einfacher und stabiler statt komplexer machen, sonst hat das Gemeinwesen nichts davon. Entsprechend unseres Vorschlags für eine Neuordnung des Bankensektors sollten sich FinTechs dann entweder in eine öffentlich-rechtliche oder in eine genossenschaftlich organisierte Säule des Finanzsystems einfügen.

Bankprodukte sollten einem Finanz-TÜV unterliegen

Der Bank Blog: Ist FinTech überhaupt ein Thema, um das sich die Politik besonders kümmern muss oder sollte dies nicht vielmehr Markt und Wettbewerb überlassen werden?

Axel Troost: Es wird Sie nicht überraschen, dass wir an die selbstheilenden Kräfte von Markt und Wettbewerb nicht so recht glauben. Wie ich schon sagte: ein Hauptproblem der Finanzmarktregulierung der vergangenen Jahrzehnte war, dass die Politik der „Innovationsgeschwindigkeit“ bei der Regulierung von Finanzinstrumenten im Schneckentempo hinterhergestürmt ist und daher immer viel zu spät kam. Das kann angesichts der Profitmargen und der Vermachtung des Finanzsektors nicht verwundern, aber daher braucht es einen Systemwechsel, den wir Finanz-TÜV nennen: Zukünftig sollen alle Finanzinstrumente einem Zulassungsvorbehalt durch einen Finanz-TÜV unterliegen. Diesem Finanz-TÜV gegenüber sollen die Emittenten bzw. die erbringenden Finanzdienstleister darlegen, dass ihr Produkt einen gesellschaftlichen Bedarf deckt und dass der einzelwirtschaftliche Nutzen nicht mit einem gesamtgesellschaftlichen Schaden erkauft wird (z.B. durch Erhöhung der systemischen Finanzinstabilität bzw. der Intransparenz). An genau denselben Anforderungen müssen sich dann auch FinTechs bzw. ihre Angebote messen lassen.

Der Bank Blog: Halten Sie es für ordnungspolitisch korrekt, wenn Bundesländer wie Hessen in einzelne FinTech-Startups Geld investieren? Immerhin handelt es sich um ein Risiko-Investment und um Geld der Steuerzahler?

Axel Troost: Es kann durchaus gesellschaftlich wünschenswerte Finanzdienstleistungen geben, die bislang nicht angeboten werden und deren Erbringung von öffentlicher Seite unterstützt werden sollte. Das kann z.B. in manchen Bereichen von Beteiligungskapital der Fall sein, wo Unternehmensnachfolgen zu scheitern drohen, weil die Erben nicht fortführen wollen oder können. Auch wenn es die Bankenbranche gern im Munde führt: im Reich systemrelevanter Banken scheint mir das Wort Ordnungspolitik wenig zutreffend.

Keine Sonderstellung für digitale Finanzdienstleistungen

Der Bank Blog: Viele fordern ja (weichere) Sonderregeln für digitale Finanzprodukte. Das Beispiel des Programmhandels an Aktienmärkten zeigt hingegen mögliche höhere Risiken der zunehmenden Digitalisierung deutlich auf. Müssten nicht demzufolge regulatorische Anforderungen an digitale Finanzdienstleistungen wesentlich schärfer formuliert werden?

Axel Troost: In den meisten Bereichen des Finanzsektors sind die Regulierungen eher zu schwach als zu scharf, von daher begrüßen wir in der Regel schärfere Finanzmarktregulierungen. Es sollte aber keine Sonderstellung digitaler Finanzdienstleistungen geben, sondern Finanzdienstleistungen sollten grundsätzlich – ob von Banken oder FinTechs erbracht und ob am Bankschalter oder per Smartphone vertrieben – nach den gleichen Maßstäben reguliert und beaufsichtigt werden. Da aber viele FinTechs derzeit noch nicht mit den gleichen Maßstäben wie Banken gemessen werden, gibt es in diesem Bereich sicher besonders hohen Nach-Regulierungsbedarf.

Politik muss sich auch durchsetzen

Der Bank Blog: FinTech bedeutet nicht zwingend Startup. Auch internationale Technologie-Konzerne, wie Apple, Amazon, Facebook oder Google bieten immer mehr Leistungen rund um Finanzprodukte an. Wie kann die Politik sicherstellen, dass diese – wie bei anderen Beispielen (Hass-Postings, Datenschutz etc.) – staatliche Vorgaben und Regulierungen nicht einfach ignorieren, ausweichen oder umgehen und es in der Folge für die etablierten Geldinstitute nicht zur Ungleichheit im Wettbewerb kommt?

Axel Troost: Ich teile die Sorge, dass die Bundesregierung gegenüber großen Konzernen oft sehr hasenfüßig auftritt bzw. ausländische Konzerne zu mauern versuchen. Aber letztlich ist das eine Glaubwürdigkeitsfrage, ob sich die Politik wirklich durchsetzen will. Wenn sich eine Bank grob regelwidrig verhält bzw. die Kooperation (z.B. in der Bekämpfung von Geldwäsche/Steuerhinterziehung/Terrorfinanzierung) verweigert, können die Aufsichtsbehörden die Banklizenz entziehen und man friert ihr Konto bei der EZB ein. Damit ist eine Bank weg vom Fenster. Vergleichbares muss auch für Finanzdienstleister möglich sein, die ohne Anbindung ans Zahlungssystem der EZB auskommen. Ein vergleichbares Vorgehen hieße dann eben, in Europa die Webseiten von Apple, Amazon, Facebook und Google zu sperren. Wenn diese Drohung glaubwürdig vorgetragen wird, mache ich mir um die Compliance der großen Konzerne keine großen Sorgen.

Der Bank Blog: Herzlichen Dank für das Gespräch.