Von Banalitäten und Emotionalien überlagert worden ist dieser merkwürdige inhaltsleere Wahlkampf. Die Diskussion drängender Zukunftsfragen blieb weitgehend auf der Strecke. Das bislang bewährte System der sozialen Marktwirtschaft droht in Gefahr zu geraten.

Bundestagswahl 2021: Implikationen für die Finanzbranche

Bank- und finanzpolitische Schwerpunkte der Parteien zur Bundestagswahl 2021.

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„Am Abend des 26. September droht der politische Lockdown. Deutschland taumelt in eine Regierungs- und Demokratiekrise.“ Mit dieser düsteren Prognose beschreibt die „Wirtschaftswoche“ das von ihr erwartete Stillstands-Szenario. Zunächst werde es bis mindestens Weihnachten komplizierte Sondierung und Verhandlungen zwischen den Parteien geben. Letztlich werde sich eine Koalition bilden, die nicht vom Geist des Miteinanders geprägt sei, sondern den Keim des Misstrauens in sich trage und faule Kompromisse produziere.

Der Niedergang der ehemals staatstragenden Volksparteien scheint irreversibel zu sein. Sie lassen kaum eine Gelegenheit aus, um bisherige Anhänger zu anderen Parteien oder in das Lager der Nichtwähler zu treiben. Hauptursächlich für die fortschreitende Abwanderung ist nicht nur das erschreckend schwache Führungspersonal, sondern auch die offenkundige Unfähigkeit, die den Bürgern auf den Nägeln brennenden Probleme auch nur zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn zu lösen.

Vertrauenskrise

Die Bürger verfolgen den Niedergang der Volksparteien mit gemischten Gefühlen. Einerseits erscheinen handfeste Quittungen für die fortgesetzte Missachtung der Wähler-Prioritäten geboten und überfällig. Andererseits ist die Sorge nicht unberechtigt, dass mit der Zersplitterung der Parteienlandschaft auch die politische Stabilität der Nachkriegszeit dauerhaften Schaden nimmt. Das kann dazu führen, dass die Mehrheitsfähigkeit in Gestalt funktionierender Koalitionen abhandenkommt. Am Horizont droht die Gefahr der strukturellen Unregierbarkeit.

Gerade dieses Risiko wollten die Väter des Grundgesetzes durch das von den Negativerfahrungen der Weimarer Republik geprägte Wahlrecht mit der 5 Prozent-Klausel minimieren. Sollte es perspektivisch sieben oder mehr Parteien im Korridor zwischen 5 und 20 Prozent geben, dürfte der Ruf nach der Einführung des Mehrheitswahlrechts laut werden. In 50 Jahren werden Historiker fragen, wie es dazu kommen konnte, dass sich die „Volksparteien“ in der dritten Dekade dieses Jahrhunderts als von allen guten Geistern verlassen erwiesen haben. Und wahrscheinlich werden sie zu dem Schluss kommen, dass die tiefgreifende Vertrauenskrise sehr viel zu tun hatte mit dem zunehmenden Gefühl in der Bevölkerung, dass der Staat nicht mehr geliefert hat. Irrlichternde Regierungen, die sich den Realitäten verweigern und ihre politische Bringschuld sträflich vernachlässigen, vergeben ihre Legitimation und gefährden den Fortbestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Die Systemfrage

Das System der sozialen Marktwirtschaft wird hierzulande als selbstverständlich goutiert, häufig kritisiert und zunehmend infrage gestellt. Selbst in den „bürgerlichen“ Parteien wird das historisch einzigartige Erbe Ludwig Erhards allenfalls bei Sonntagsreden thematisiert. Die sechzehnjährige Regierungszeit von Angela Merkel steht vor allem für vielfältige soziale Wohltaten, sicherlich aber nicht für die strukturelle Stärkung der Wirtschaft und ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Letztlich hat Merkel volkswirtschaftlich von der Reform-Agenda 2010 ihres Amtsvorgängers profitiert.

Den Publizisten Gabor Steingart beschleicht mittlerweile das Gefühl, Deutschland wolle nicht nur aus der Kohle, sondern auch aus der Marktwirtschaft aussteigen. Er kommentiert: „Vater Staat dringt mit forschem Schritt in immer neue Lebensbereiche vor. Der freie Markt, jener magische Ort, an dem Angebot und Nachfrage zum beiderseitigen Nutzen zueinander finden sollen, wird nicht länger als magisch empfunden, sondern als teuflisch. Die Freunde der Marktwirtschaft sind nicht nur in die Defensive, sie sind in einen moralischen Hinterhalt geraten. Selbst in den feinen Salons des städtischen Bürgertums fällt es vielen leichter, Che Guevara oder Karl Marx zu zitieren als Ludwig Erhard.“ Und das „Handelsblatt“ merkt an: „Viele Unternehmer fühlen sich von Politikern oft nicht verstanden in ihren Mahnungen, dass sie weniger Regeln brauchen, maßvolle Steuern, bessere digitale Infrastruktur. Nur wenn sie gut wirtschaften können, kann der Staat genügend Einnahmen generieren, nur dann bleibt die Arbeitslosigkeit auf einem niedrigen Niveau.“ Von der neuen Bundesregierung sei in diesem Sinne vorrangig zu fordern:

  • zügige Festlegung eines Fahrplans
  • keine Wiedereinführung der Vermögenssteuer
  • Ausweitung des Verlustrücktrags
  • stärkere Fokussierung auf eine pragmatische Mittelstandspolitik.

Das private Eigentum

Der Verband Die Familienunternehmer hat vom HWWI den Stellenwert des Privateigentums in den Parteiprogrammen zur Steuer- und Finanz-, Wohnungs-, Klima- und Unternehmenspolitik untersuchen lassen. Nicht gerade überraschend kommt die Erkenntnis, dass Zahl und Intensität eigentumsbeschränkender Vorschläge zwischen den Parteien sehr deutlich voneinander abweichen. Generell sei gerade in Krisenzeiten von allen Parteien ein klares Bekenntnis zur Sicherung und Stärkung des Eigentums zu erwarten. Wer das betriebliche Eigentum der Unternehmen angreife, untergrabe die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Als heftigen Angriff auf das private Eigentum bewertet der Verband die Vermögens- und Erbschaftssteuerpläne von SPD, Grünen und Linken. Damit werde den Unternehmen die Grundlage entzogen, auch die nächste Krise zu überstehen. Als Leitgedanken zitiert der Verband Ludwig Erhards Credo: „Privates Eigentum schafft erst die Voraussetzung, dass die Bürger ein freiheitliches und eigenverantwortliches Leben führen und mehr an menschlicher Würde entfalten können; dann sind sie nicht mehr auf die Gnade anderer, auch nicht auf die Gnade des Staates angewiesen.“ Nur am Rande: Einer neuen ifo-Studie zufolge werden Steuererhöhungen in Industrieländern häufig unmittelbar nach Wahlen realisiert. Plausible Begründung: „Die Wähler vergessen schnell.“

„Neue Realitäten“

Die EZB ist offenbar finster entschlossen, ihre Politik des billigen Geldes ohne Rücksicht auf die gefährlichen Auswirkungen fortzusetzen. Sie ist damit längst zum Sachwalter der Interessen der südeuropäischen Schuldenländer geworden, die nur so – ohne unerwünschte, weil unpopuläre Einsparungen – ihre Schuldenhaushalte refinanzieren können. Billigend in Kauf genommen wird dabei eine rapide Zunahme der Geldentwertung. So ist die deutsche Inflationsrate im August mit 3,9 Prozent auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren gestiegen. Der Bundesbankpräsident erwartet bis zum Jahresende einen weiteren Anstieg auf 5 Prozent. Damit würde das deutsche Geldvermögen von gegenwärtig rund 6,7 Billionen Euro in nur einem Jahr 321 Mrd. Euro an Kaufkraft verlieren. Anders formuliert: Der Inhaber eines Barvermögens von 100.000 Euro würde bis 2030 um 35.500 Euro, also über ein Drittel, enteignet werden.

Mehr als erstaunlich ist, dass das für deutsche Wahrnehmungen höchst sensible Thema Inflation im Wahlkampf überhaupt keine Rolle gespielt hat. Parteien und Medien haben sich diesbezüglich – aus welchen Gründen auch immer – auffällig zurückgehalten. Das gilt im Übrigen auch für die Regierungen von Italien und Frankreich, die im Sommer alles getan haben, um nicht die deutschen Wähler mit neuen Initiativen pro Schuldenunion zu irritieren.

Das wird sich allerdings nach dem Wahltag ändern. Schon ab Oktober dürfte eine groß angelegte Offensive gegen die Maastricht-Kriterien starten. Vor allem die italienische Regierung von Mario Draghi will den Stabilitätspakt untergraben und die Kriterien dauerhaft aussetzen. Man müsse sich – so heißt es – „den neuen Realitäten“ anpassen. Kein Geheimnis ist, dass – neben Italien und Frankreich – auch Griechenland, Portugal und Spanien hochgradig daran interessiert sind, zulasten der nördlichen EU-Länder die „Freiheit“ zur de facto unlimitierten Neuverschuldung zurückzuerobern.