Die Welt steht geopolitisch vor den größten Herausforderungen seit Ende des Kalten Krieges. Diese tiefgreifenden Erschütterungen verlangen nach Visionen, Verlässlichkeit und Vertrauen.
Die Welt befindet sich im Wandel: Lange als sicher geglaubte Gewissheiten weichen, stattdessen nimmt die Ungewissheit zu. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen Zufall. Denn die Geschichte zeigt, dass es meist das zweite Jahrzehnt eines Jahrhunderts war, das fundamentale strukturelle Verschiebungen und Systembrüche brachte. Diese Entwicklungen resultierten stets aus einem Zusammenwirken von wirtschaftlichen, politischen und technologischen Faktoren. Das Ergebnis waren geradezu magische Wendejahre, immer in der zweiten Dekade. Dazu gehören zum Beispiel die Jahre 1914 mit dem Beginn des ersten Weltkriegs sowie 1815 mit dem Ende des Wiener Kongresses, der die staatlichen Besitzverhältnisse in Europa neu ordnete. Ebenfalls einordnen lassen sich die Jahre 1713 mit zahlreichen Konflikten, darunter auch der spanische Erbfolgekrieg, 1618 mit dem zweiten Prager Fenstersturz und Beginn des Dreißigjährigen Krieges sowie 1517 mit der Reformation, deren 500-jähriges Jubiläum in diesem Jahr begangen wird. Gemeinsam ist diesen geschichtsträchtigen Jahren, dass nach den jeweiligen Umbrüchen die Welt eine andere war als davor.
Drei zentrale Umbrüche der letzten zehn Jahre
Wer den Blick auf das aktuelle Weltgeschehen richtet, erkennt ebenfalls Umbrüche: in Form einer technologischen, wirtschaftlichen und politischen Wende.
iPhone markiert technologische Wende
Die technologische Wende hat sich bereits am Anfang des Jahrzehnts zugetragen. Symbolisch für diesen Umbruch steht das iPhone, dessen Einführung der Menschheit zwar ein neues Niveau an technologischer Leistungsfähigkeit bescherte, sie aber gleichzeitig auch in eine neue Form der Abhängigkeit katapultiert hat. Das erste iPhone schon 2007 vorgestellt, seine Massenwirkung erreichte es aber erst ab Juni 2010, als es in nur drei Verkaufstagen 1,7 Million Mal über den Ladentisch ging. Das Phänomen des „everybody always on“ brach sich seine Bahn und brachte radikale Veränderungen für Lebensstil, Sozialstrukturen, Geschäftsmodelle aber auch für politische Grundrechte wie Privatheit und Meinungsfreiheit mit sich.
Wirtschaftliche Wende durch Weltfinanzkrise
Die wirtschaftliche Wende markierte die Weltfinanzkrise 2007/2008. Seither operieren die Unternehmen in einer „VUCA“-Welt: ein Umfeld, das sich als schwankungsanfällig (volatil), unsicher (uncertain), komplex (complex) und widersprüchlich (ambiguous) beschreiben lässt. Die Volatilität an den Aktien- und Rentenmärkten ist enorm. Viele Ereignisse lassen sich inzwischen mit klassischen Wahrscheinlichkeiten nicht mehr kalkulieren, sie sind schlecht ungewiss. Fragen nach der Lebensdauer des Euro, der Restlebensdauer der Kernenergie oder dem Einfluss von künstlicher Intelligenz auf die Arbeitsmärkte präsentieren nur ungewisse Antworten. Dennoch können auch höchst unwahrscheinliche Ereignisse eintreten – das Phänomen der schwarzen Schwäne.
Europäische Union kämpft um Zusammenhalt
Nach dem technologischen und wirtschaftlichen Umbruch brachte das Jahr 2014 schließlich auch eine (sicherheits)politische Zeitenwende. Seitdem scheint die Welt „aus den Fugen“ geraten zu sein. Auf den russischen Einfall in die Ukraine und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim folgten zahlreiche Anschläge von Terrororganisationen weltweit. Zudem kam es zu großen Flüchtlingsströmen aus Afrika, Afghanistan und dem Nahen Osten, die nach wie vor Anlass zu großer Sorge geben. Denn Europa hatte auf wachsende Stabilität und Sicherheit im Zuge einer tieferen europäischen Integration gesetzt. Inzwischen aber bedrohen die Krisen und Kriege der benachbarten Regionen direkt und indirekt die Sicherheit Europas. Hinzu kommen der bröckelnde Zusammenhalt der Europäischen Union (EU), der im Brexit-Entscheid der Briten und den zähen Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU bislang am stärksten zum Ausdruck kommt, sowie Irritationen mit dem NATO-Partner Türkei.
Insgesamt zeigt sich eine radikale Veränderung der Art der Konfliktaustragung. Im Mittelpunkt stehen zunehmend nicht-staatliche Akteure wie der IS oder Boko Haram. Das Völkerrecht sieht in diesen Fällen keine Intervention vor, was die westlichen Staaten vor ein Dilemma stellt. Außerdem stellen Cyber-Attacken inzwischen eine weitere Form der Bedrohung dar. Technologische Entwicklungen machen virtuelle Angriffe zum Beispiel auf Kernkraftwerke möglich, bei denen die Grenze zu militärischen Handlungen nur schwer zu beurteilen ist. Hinzu kommt, dass die handelnden Akteure oft unbekannt sind.
Verhandlungen ergänzen strategische und militärische Maßnahmen
Diese tiefgreifenden Erschütterungen verlangen nach Visionen, Verlässlichkeit und Vertrauen. Dabei gilt es, die Balance zu halten zwischen einem stabilen, Nationen und Religionen übergreifenden Wertegerüst sowie den Einzelinteressen, die die zahlreichen Akteure auf dem Weltparkett vertreten. Dieses Ziel verfolgt zum Beispiel die NATO mit politischen und militärischen Mitteln. Die 29 Mitgliedstaaten streben an, jährlich 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in die gemeinsame Verteidigung zu investieren.
Um dauerhaft Frieden in den Krisenregionen der Welt zu stiften, gilt es allerdings auch, diese Länder beim Aufbau einer tragfähigen Infrastruktur zu unterstützen. Dazu zählen Bildungseinrichtungen, Handelsabkommen, Ausbildungsprogramme für Polizei und Militär sowie der Auf- und Ausbau von Verkehrsinfrastruktur. Aus diesem Grund müssen die politischen Akteure regelmäßig am Verhandlungstisch zusammenkommen. Einen geeigneten Rahmen bieten trotz der jüngsten Kritik die regelmäßigen Gipfeltreffen der wichtigsten Staats- und Regierungschefs, bei denen in Anbetracht ihrer wachsenden Bedeutung künftig auch Länder wie Indien, Russland und China einen bedeutenden Teil beitragen könnten.
Hans-Lothar Domröse ist Co-Autor des Beitrags Er ist ehemaliger Vier-Sterne-General des Heeres der Bundeswehr und studierter Diplomkaufmann. Zuletzt war er Oberbefehlshaber des operativen NATO Hauptquartiers Allied Joint Force Command Brunssum in den Niederlanden. In dieser Funktion war er unter anderem für den NATO-Einsatz in Afghanistan, für die Führung der verstärkten schnellen Eingreifkräfte der NATO und die Umsetzung der NATO-Gipfelbeschlüsse von Wales für Nordosteuropa verantwortlich. 2016 wurde er mit einem Großen Zapfenstreich in den Ruhestand verabschiedet. Vor seiner Amtsübernahme in Brunssum war er unter anderem Kommandierender General des Eurokorps in Straßburg, Frankreich, Chef des Stabes im NATO-Hauptquartier in Kabul, Afghanistan und Deutscher Militärischer Vertreter im NATO-Hauptquartier in Belgien.
Die Autoren haben ihre Thesen zum Thema „Welt im Wandel“ bei einer Informationsveranstaltung des Asset- und Investment Managers KGAL GmbH & Co. KG vorgetragen. Dieses findet einmal jährlich statt und richtet sich an institutionelle Kunden, die ein bestimmtes Investitionsvolumen überschritten haben.