In den Management-Ebenen vieler Finanzinstitute sind die Herausforderungen durch die fortschreitende Digitalisierung längst bekannt. Dennoch sind nach wie vor viele Unternehmen nicht für diese Transformation gewappnet. Woran kann dies liegen?
Die „Zukunft des Bankings“ wird überall weiter diskutiert, während die Kunden eigentlich schon längst bereit sind, sich auf digitale nutzerfreundliche Lösungen einzulassen. Oder wie wäre es sonst zu erklären, dass mit PayPal ein Unternehmen, das 1998 neu gegründet wurde, 16 Jahre später für uns Transaktionen im Wert von 228 Mrd. $ p.a. in 26 verschiedenen Währungen und über 190 Ländern verteilt abwickelt. Und vielleicht beeindrucken diese nackten Zahlen noch viel mehr, wenn man sich verdeutlicht, dass die Liste der Länder, die 2016 zu den Mitgliedern der Vereinten Nationen zählen, nur vier Namen mehr zählt.
Notwendige Veränderung des Geschäftsmodells?
Auf die Frage an die aus verschiedensten Branchen stammenden Teilnehmer einer internationalen Marketing- und Digitalmarketingkonferenz im Juni 2016, wer aufgrund der Digitalisierung eine tiefgreifende Veränderung des Geschäftsmodells in den nächsten vier Jahren sehe, streckten vier von fünf der Anwesenden die Hand. Bei einer Konferenz zur „Bank der Zukunft“ im selben Monat und zur selben Fragestellung waren es sogar mehr als 90 Prozent.
Also könnte man es als einfachen Fall deduktiver Logik bezeichnen: Wenn man erwartet, dass grundlegende Veränderungen des Geschäftsmodells bevorstehen, sind diesbezüglich vom Top-Management vermutlich bereits grundlegende Maßnahmen eingeleitet worden. Die Frage, ob sie ihr Unternehmen für diese große Veränderung gerüstet sehen, beantworteten per Handzeichen jedoch nur 40 Prozent der Marketingkonferenz und lediglich 20 Prozent der Banking-Konferenzteilnehmer mit „Ja“.
Lücke zwischen Erkenntnis und Handeln schließen
Hier ist fraglich, was diese große Lücke auslöst. Sind es zu viele Variablen, die Unsicherheit auslösen oder wird die Veränderungsgeschwindigkeit als zu langsam angesehen. Eine weitere Möglichkeit ist zudem, dass den Managern eventuell bewusst wird, dass die wahre Herausforderung, die Mammutaufgabe vor der sie stehen, nicht in der Digitalisierung als evolutorisch-technischem Prozess liegt, sondern in der gewaltigen Change-Management-Aufgabe, die mit ihr einhergeht. Hier besteht keine Garantie, dass die kundengerechte Digitalisierung und der Change-Prozess den Großbanken besser gelingen wird als den kleineren Privatbanken.
Taktieren, Aussitzen oder blinder Aktionismus sind keine Lösungen
Wenn Banken heute nicht unmittelbar auf Veränderungen im Markt reagieren, öffnen sie Wettbewerbern schneller als je zuvor Tür und Tor zur eigenen Kundschaft. Disruptive Zeiten erfordern von allen Beteiligten einen effizienten Change-Prozess. Doch besonders viele Führungsebenen scheinen gegenwärtig in eine der folgenden Situationen zu verfallen: Entweder versuchen sie, die Situation auszusitzen oder sie schieben in einem Anfall von blindem Aktionismus viele, oftmals wenig zielführende Maßnahmen an. Aktives, wohlüberlegtes und überlebensnotwendiges Change Management wird oftmals sträflich vernachlässigt.
Veränderungsprozesse fordern Vorgesetzte wie Mitarbeiter gleichermaßen. Wenn Bestehendes auf sämtlichen vertikalen Unternehmensebenen nicht verbessert oder angepasst werden kann, muss es grundsätzlich in Frage gestellt werden. Dies heißt im Umkehrschluss für alle Beteiligten: Situationen müssen immer wieder reflektiert und korrektive Maßnahmen frühzeitig eingeleitet werden.
Oftmals wird diese konfliktbehaftete Handlungsnotwendigkeit jedoch unzureichend vermittelt. Immanent wichtig ist es, Interesse für Mitarbeiterthemen in konkrete und konstruktive Maßnahmen umzuleiten, die meist verloren gegangene Fehler- und Konfliktkultur wieder neu zu beleben sowie eine grundlegende Basis für Veränderungsbereitschaft zu schaffen. Vernachlässigen Banken diese Themen, drohen Change-Prozesse auf breiter Basis zu scheitern. Bei Führungskräften in einem disruptiven Umfeld besteht damit existenzieller Handlungsbedarf. Denn die Umsetzung neuer Strategien, Systeme und Strukturen und eine frühzeitige Anpassung an sich ändernde Marktsituationen sind überlebenswichtige Faktoren. Gerade für die hart umkämpfte Finanzbranche von heute hat ein bekanntes Zitat des früheren US-Präsidenten Wodrow Wilson (1913-1921) besondere Gültigkeit: „Wenn Sie sich Feinde machen wollen, versuchen Sie etwas zu ändern.“ (“If you want to make enemies, try to change something.“)
Diejenigen Unternehmen, die den Wandel schaffen, werden sich den großen Finanzdienstleistungsmarkt mit den neuen Market Playern teilen und Instrumente einsetzen, die im früheren klassischen Banking nicht existierten.