Angst ist ein schlechter Ratgeber für Unternehmen. Doch die Angst zu scheitern ist weit verbreitet. Dabei wird in digitalen Zeiten der Mut belohnt. Wer experimentiert, ist flexibler. Organisationen, die eine Kultur des Experimentierens zulassen, lernen kontinuierlich dazu.
Das kontinuierliche Lernen ist für Organisationen und deren Weiterentwicklung wichtiger denn je, da die Veränderungsgeschwindigkeit weiter zunimmt. Dies ist vielleicht in kaum einem anderen Geschäftsfeld zutreffender als in der Finanzdienstleistung.
In Zukunft werden große Online-Marktplätze und Plattformen weiter die Umsätze im digitalen Umfeld auf sich vereinen. Open Banking stellt die Kundenbeziehung erneut zur Disposition und die Kundenschnittstelle muss (zurück-)erobert werden. Es findet ein starker Wettbewerb um die Führungsrolle im Bereich der digitalen Identität statt. Instant Payments gewinnen an Bedeutung und Nachfrage.
Innovationsgeschwindigkeit nimmt weiter zu
Je schneller sich Ökosysteme verändern, umso mehr müssen Banken und Finanzdienstleister reagieren und als Organisationen lernen. Neue Methoden stellen besonders auf Stabilität und Zuverlässigkeit ausgelegte Organisationen vor Herausforderungen. Auf minimale Fehlertoleranz oder höchste regulatorische Compliance ausgelegte IT-Systeme und Prozesse bilden ein Korsett, das der Experimentierfreudigkeit häufig im Weg steht.
Es gilt innovative Lösungen zu finden, die auch etablierten Organisationen eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit ermöglichen. Auch Partnerschaften und Akquisitionen können dabei helfen, die Innovationsgeschwindigkeit zu erhöhen. FinTechs sind ein wichtiger Katalysator für diese und andere Trends, die die Branche heute prägen. Sie nutzen ihre ökonomischen und technologischen Modelle, um Marktanteile zu gewinnen und erzeugen dabei einen hohen Innovationsdruck.
Innovationsmuster kristallisieren sich heraus
Es lassen sich mindestens drei Innovationsmuster als Reaktion auf diese dynamischen Rahmenbedingungen beobachten. Und es sind nicht immer nur FinTechs, sondern oft auch etablierte Finanzdienstleister, die Innovationen in diesen Bereichen vorantreiben. Dabei stellt jede Innovation zunächst für sich genommen ein Experiment dar, welches in einer Organisation vorbereitet, verabschiedet und umgesetzt werden muss.
Datengetriebene Innovation
Eine wohl strukturierte und nutzbare Datenbasis ist die Grundlage für erfolgreiche Vertriebsaktivitäten. Dafür müssen viele oft verteilte Datenbestände unter Berücksichtigung aller regulatorischen Vorgaben synchronisiert und auswertbar gemacht werden. Zudem gilt es die richtigen analytischen Fähigkeiten aufzubauen oder von zuverlässigen Partnern hinzuzukaufen.
So leitet die britische Großbank Lloyds mit großem Erfolg aus dem Bezahlverhalten ihrer Kunden Präferenzen ab und bietet personalisierte kontextuelle Angebote bei bevorzugten Händlern an. Mastercard hat zusammen mit anderen Technologieunternehmen eigens für diesen Zweck Trūata gegründet. Diese Technologie ermöglicht es Organisationen, ihre Daten im Einklang mit den Datenschutzbestimmungen der DSGVO zu analysieren. Neben der Datenbasis selbst bedarf es auch der Fähigkeiten zur Nutzung der Daten. Vocalink, der Betreiber des britischen Echtzeit-Zahlungsnetzwerks FPS, stellt den teilnehmenden Banken Verfahren zur Verfügung, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Aufspürung und Verhinderung betrügerischer Zahlungsströme stark vereinfachen.
Traditionelle Kontaktwege neu denken
Die Filialnetze der Banken werden im Zuge der Digitalisierung immer weiter ausgedünnt. Zugleich sind diese Vertriebsstandorte ein wichtiger Kontaktpunkt zum Kunden. Dies stellt etablierte Finanzdienstleister vor den Spagat, die Kosten in den Griff zu bekommen und gleichzeitig ihre Kunden mit innovativen Services zu halten und Erträge zu sichern.
Traditionelle Finanzdienstleister zeigen, wie mit neuen Konzepten der Fokus auf wertstiftende Aktivitäten im gelegt werden kann ohne Desinvestitionen im Filialnetz. Die spanische Banco Santander hat zum Beispiel Teilbereiche von Filialen zu Co-Working Spaces für Startups umfunktioniert und so neue Anlässe für die Intensivierung der Geschäftsbeziehung zu den Firmenkunden von morgen geschaffen.
Die Bargeldversorgung an den Kassen und umfangreiche SB-Bereiche verursachen ebenfalls hohe Fixkosten und sind vielfach schwer zu rechtfertigen, insbesondere wenn es sich um Zweigstellen handelt, die geschlossen werden sollen. Hier sind intelligente Konzepte zur Raumnutzung gefragt, die den Kundennutzen nicht schmälern. So bietet die Bank of America Beratungsangebote per Videokonferenz. Auch bei den Volksbanken können sich Kunden per Video beraten lassen. Mit VR-SISy schaltet sich ein Berater vom Kunden-Dialog-Center per Video hinzu und ermöglicht so eine ressourcenschonende Aufrechterhaltung der Versorgungsdichte.
Kollaboration und Wettbewerb mit FinTechs
Um dem Innovationsdruck standzuhalten, müssen etablierten Institute reagieren. Gelingt die erforderliche Innovationsgeschwindigkeit nicht aus eigener Kraft, werden oft kooperative Modelle ergriffen, die traditionellen Playern kontrollierte Experimente in FinTech-Geschwindigkeit ermöglichen. Dazu gehören Investitionen in Inkubatoren, Partnerschafts-Pipelines oder auch die gezielte Integration von FinTechs in die Wertschöpfungskette.
So optimiert die ING zusammen mit den FinTechs Kabbage, VI Company und InfoCert die Kreditvergabe an KMUs. Dabei nutzt die ING die Expertise dieser Anbieter, um das Onboarding und KYC-Prozesse (Know Your Customer) zu automatisieren und zu digitalisieren. Die französische Bankengruppe BPCE hat die Technologie von Transferwise in ihr eigenes IT-System integriert und konnte so nicht nur Entwicklungskosten sparen, sondern auch die Kosten für grenzüberschreitende Zahlungen reduzieren.
Im Rahmen des Start-Path-Programms wird Mastercard weiterhin eng mit FinTechs zusammenarbeiten und unterstützt vielversprechende Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Ideen. Gerade erst wurden zwölf neue Kandidaten in das Programm aufgenommen, um gemeinsam mit Mastercard und seinen Kunden die Zukunft des Bezahlens zu gestalten und Innovationen voranzutreiben. Erfolgreiche Absolventen stehen unseren Kunden dann als präferierte Partner zur Verfügung.
Innovationen entstehen aus Fehlern
Die Beispiele zeigen, dass erfolgreiche etablierte Finanzdienstleister oft experimentelle Ideen umsetzen. Nur so lernen deren Organisationen dazu und bauen kritische Fähigkeiten auf, die im intensiven und schnelllebigen Wettbewerb erforderlich sind, um erfolgreich zu sein. Es ist davon auszugehen, dass die wenigen öffentlich bekannten Ergebnisse von erfolgreichen Experimenten nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Jedem erfolgreichen Experiment stehen dutzende gescheiterte Ansätze gegenüber. Doch langsam scheint sich das Bewusstsein zu verbreiten, dass eine Fehlerkultur positiv ist und die Zukunft den Mutigen gehört – denn ein Experiment, von dem wir von Anfang an wissen, dass es zum Erfolg führt, ist kein Experiment.
Auswirkungen von Corona
Obgleich die Corona-Pandemie konzeptionell nichts an der Logik der Überlegungen zum Lernen in Organisationen ändert, so wird die Krise die Branche dazu zwingen, die Digitalisierung stärker in den Blick zu nehmen. Dabei werden technologiebasierte Themen zukünftig eine entscheidende Rolle spielen.
Es ist davon auszugehen, dass Investoren vorsichtiger und die Mittel für Innovationen und vor allem für Projekte mit unsicherem Ausgang knapper werden. Das ist insofern paradox als dass sich die Veränderungsgeschwindigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche nicht reduzieren dürfte. Im Gegenteil, in der neuen Normalität nach Corona werden strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft auch dazu führen, dass Kunden von Finanzdienstleistern noch mehr angepasste Geschäftsmodelle und Produkte erwarten.
Zugleich werden die für FinTechs zur Verfügung stehenden Mittel und Kapitaleinlagen voraussichtlich knapper. Das wird das Angebot an Ideen und Komponenten für den Wertschöpfungsprozess einschränken. Doch jede Krise bietet auch Chancen. Die Bereinigung des FinTech-Universums ist ein evolutionärer Moment, der die Wahrscheinlichkeit von Fehlinvestitionen reduzieren dürfte. Gleichzeitig werden knappe Investitionsmittel dazu führen, dass sich Bewertungsspielräume bei FinTech-Investitionen verengen. Dies kompensiert zumindest zum Teil den reduzierten finanziellen Handlungsspielraum auf Seiten der traditionellen Finanzdienstleister, die als Investoren auftreten.