Wie sieht der Digital Leader 4.0 aus?

Herausforderungen der Digitalisierung für die Führung

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Die Digitalisierung stellt Führung und Führungskräfte in Unternehmen vor neue Herausforderungen. Gefragt sind Strategen, Visionäre, Mentoren und Kommunikatoren. Motivation statt Kontrolle lautet das neue Credo.

Führung im Zeitalter der Digitalisierung

Die digitale Transformation stellt neue Herausforderungen an Führung und Führungskräfte.

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„Ein guter Mitarbeiter trifft in 70 Prozent aller Fälle dieselben Entscheidungen wie sein Chef. In 20 Prozent fällt er bessere Entscheidungen, weil er von der Sache mehr Ahnung hat. Und in 10 Prozent liegt er daneben.“

Das ist keine Aussage von einem Personalberater oder Arbeitnehmervertreter, sondern von einem CEO. Daniel Ek, Gründer von Spotify, soll das mal gesagt haben. Und der hat bislang viel richtig gemacht: Mit 70 Millionen zahlenden Kunden ist sein Musik-Streaming-Dienst der größte der Welt. Anfang April ging Spotify per Direktplatzierung an die Börse. Das war zwar ungewöhnlich, aber erfolgreich: Rund 27 Milliarden US-Dollar ist das Unternehmen an der New York Stock Exchange nun wert.

Das Erfolgsrezept von Ek klingt schlicht: flache Hierarchien und große Freiheiten für seine Leute. Die knapp 3.000 Mitarbeiter sollen nicht lange um Erlaubnis bitten, sondern einfach machen! Nur so kämen immer wieder Innovationen zustande, die sein Unternehmen dringend braucht, um Konkurrenten wie Apple, Amazon und Deezer in Schach zu halten.

Raus aus alten Mustern

Jetzt sind 3.000 Mitarbeiter – verglichen mit den Belegschaften großer Konzerne – eher überschaubar. Die Challenge ist trotzdem für alle gleich: Wir müssen heute alle kreativ, schnell und beweglich sein. Die Produktzyklen werden immer kürzer, der Wettbewerb kommt von allen Seiten.

Das Stichwort lautet „VUCA“:

  • Volatilität,
  • Unsicherheit,
  • Komplexität und
  • Ambiguität.

Und alle wollen gemanagt werden…

Und nicht nur vom Top Management. Vor allem auch von den Bereichs-, Abteilungs- und Teamleitern. Da geht’s um Schritt halten mit dem Tempo der Veränderung, dem Loslassen von tradierten Management-Methoden, die oft geprägt waren von Macht, Autorität und Kontrolle. Der Digital Leader 4.0 ist Stratege, Visionär, Mentor und Kommunikator. Er motiviert mehr als er kontrolliert. Sagt unter anderem die Führungsstudie Oxygen von Google.

Studien einig: Mitarbeiter wollen Handlungsspielraum

Was heißt das in der Praxis? Was erwarten Mitarbeiter heute von ihren Führungskräften? Etliche Studien zeigen: Viele Angestellte wollen heute keine reinen Befehlsempfänger mehr sein, sondern aktiv mitgestalten. Sie wollen mehr Handlungsspielraum. Das gilt nicht nur für die Millennials. Die große Mehrheit der Mitarbeiter ist engagierter und motivierter, wenn sie mehr Freiraum kriegt.

In einer Gallup-Studie von 2017 wurden 23.000 Arbeitnehmer gefragt, was ihnen im Job „überhaupt nicht wichtig“ (1 Punkt) bis „äußerst wichtig“ (5 Punkte) ist. „Freiheiten und Gestaltungsspielraum“ waren den Teilnehmern mit 4,13 Punkten sehr wichtig, noch wichtiger als der Verdienst. „Mitarbeiter wollen Verantwortung übernehmen: Wer das Gefühl hat, selbstständig wichtige Entscheidungen im Job zu treffen, wächst an dieser Herausforderung. Vorgesetzte sollten deshalb Verantwortung abgeben und ihren Mitarbeitern vertrauen“, hieß es in einem Kommentar. Und ein Angestellter wurde mit den Worten zitiert: „Ich habe mich da am wohlsten gefühlt, wo nur Rahmenbedingungen angegeben wurden und ich mich selbst und meine Gedanken einbringen konnte.“

Das deckt sich mit den Ergebnissen der Stepstone-Trendstudie 2016: 87% der befragten 14.000 Fachkräfte war wichtig, dass die Führungskräfte „eigenverantwortliches Arbeiten zulassen“.

80 Prozent von 12.000 Fachkräften, die an einer Studie von Stepstone und Kienbaum (2017) teilnahmen, erklärten dass sie „flache Hierarchien bevorzugen“. Und fast zwei Drittel wünschten sich zwar eine Führungskraft, die klare Anweisungen gibt, aber nicht die Umsetzung überwacht.

In einer Studie von Manpower (2017) gaben 86 Prozent der Beschäftigten an, es sei ihnen wichtig, dass ihnen ihr Vorgesetzter mehr Verantwortung überlässt und sie durch neue, fachliche Herausforderungen fördert. 78 Prozent sagten zudem, er solle als Mentor auftreten und die Vision vermitteln.

Umstellung kann Kulturschock bedeuten

Doch wie wird man als Führungskraft diesen Erwartungen gerecht? Kontrolle abgeben, Freiraum schenken. Ist ja leicht gesagt und auch nicht ganz neu. Aber wenn man ernst macht, kann‘s für Management und Organisation ein Kulturschock sein. „Wenn sie 20 Jahre im traditionellen Führungsstil kultiviert sind, dann ist die Umstellung zu Kollaboration und mehr Mitbestimmung nicht leicht“, sagt Kirsten Weisbender, Leiterin Cultural Change bei der Commerzbank, in der CEDO.

Speziell in etablierten Unternehmen mit zehntausenden Mitarbeitern, gewachsenen Strukturen und Kulturen, ist das ne echte Herkulesaufgabe. Hier kann man der Belegschaft nicht einfach eine „neue Freiheit“ verordnen. Wenn die Mitarbeiter über Jahre feste Regeln und einen engen Wirkungskreis gewohnt waren, sind sie mit einer größeren Selbstbestimmung häufig erstmal überfordert.

Sie müssen lernen, mit dem Plus an Verantwortung und Entscheidungsbefugnis umzugehen. So eine Verhaltensänderung braucht Zeit und Vorleben. In der Praxis erlebe ich oft folgende drei Reaktionen: Ein Teil ist begeistert und kommt schnell mit konkreten Ideen und Vorschlägen. Ein weiterer Teil sieht die Chance, ist aber unsicher, wie es gehen kann. Und ein dritter Teil will wissen, wie bestimmte Abläufe und Prozesse dann geregelt werden.

Erfahrung zeigt: Mit der Zeit klappt‘s immer besser

Ich mach‘s konkret: Wir haben vor einiger Zeit den Handlungsspielraum für unsere Mitarbeiter an der Hotline und im Außendienst erweitert. Einzige Vorgabe: Löst das Anliegen unserer Kunden – und zwar möglichst im ersten Kontakt. Wir sind nämlich überzeugt: Unsere Berater an der Line wissen am besten, was der Kunde in dem Moment braucht. Und die Teamleiter kennen ihre Außendienstler ganz genau. Sie wissen, welcher Techniker mit welchen Fähigkeiten für welchen Job geeignet ist. Darum ermutigen wir sie – stärker als bislang – selbständig zu entscheiden. Stets im Sinne unserer Kunden. Zunächst haben sich einige damit schwergetan, inzwischen klappt‘s immer besser. Auch weil sie die Rückendeckung ihrer direkten Führungskraft spüren. Aber, das ist mir bewusst geworden, das ist eine Reise, die ein paar Jahren dauern wird. Und erste Aufgabe von uns Führungskräften ist es, diese Reise aktiv, weitsichtig und empathisch zu begleiten.

Bei der Swisscom in der Schweiz haben sie ähnliche Erfahrungen gemacht. Im Buch „Digitalisieren mit Hirn“ sagt Peter Fregelius, Chef des TV-Geschäfts: „Nachdem ich die Leitung des Bereichs übernommen habe, begann ich recht schnell Verantwortung abzugeben. … Zu Beginn haben sich vielleicht 25 Prozent meiner Mitarbeitenden darüber gefreut, dass sie sich mehr einbringen konnten. Der Rest hat erst einmal abgewartet, was auf sie zukommt.“ 18 Monate später sei die Zahl derer, die aktiv mitgestalten, auf rund 80 Prozent gestiegen.

Nicht jede Abteilung braucht gleich viel Handlungsspielraum

Weiteres Learning: Im Konzern gibt‘s vielfältigste Aufgaben. Hier Innovationen vorantreiben, dort Tagesgeschäft absichern. Qualität liefern, aber auch effizient sein. In der Hinsicht haben es Start-ups mitunter einfacher, die bei null starten. Im Großunternehmen kann je nach Abteilung und Bereich die Anforderung an den Handlungsspielraum sehr unterschiedlich sein. In der Produktentwicklung ist er sehr wichtig, hier ist Kreativität gefragt. Aber in Aufgabengebieten, wo es um ne zügige, reibungslose Umsetzung geht, wie der Produktion, braucht es gegebenenfalls mehr Spielregeln.

Umso mehr sind heute Manager gefragt, die die Situation gut einschätzen können. Manager, die spüren, wo sie es laufen lassen können und wo es vielleicht ne engere Führung braucht. Und die diese Fähigkeit permanent weiterentwickeln. Und sich selbst auch immer hinterfragen, ob sie die richtige Balance finden.

Ganz ohne Leitplanken geht’s nicht

Und noch eine Erfahrung aus der Praxis: Handlungsspielraum geben ist nicht schwarz oder weiß. Will sagen: Es gilt nicht, je größer die Freiheiten, desto besser die Ergebnisse. Letztendlich braucht jede Organisation eine gewisse Grundordnung. Sprich, zumindest ein paar Regeln, damit man die anfallenden Aufgaben vernünftig steuern, damit man effizient und effektiv arbeiten kann. Und das ist kein Widerspruch zum Plädoyer für mehr Selbstbestimmung. Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitern zwar mehr Handlungsspielraum einräumen, sie müssen aber auch ein paar Leitplanken setzen, damit Richtung und Ziele klar sind.

Ich habe da oft das Bild einer Autofahrt vor Augen: Man sagt den Leuten, zwar wo sie hinsollen. Wie sie dorthin kommen, welchen Weg sie nehmen, bleibt letztlich ihnen selbst überlassen. Aber natürlich gibt es für jede Fahrt ein paar Rahmenbedingungen: Verkehrsschilder und -regeln, andere Verkehrsteilnehmer, etc.

Ich zitier‘ nochmal „Digitalisieren mit Hirn“. Da heißt es: „Scrum-Projekte arbeiten nach sehr klaren Rahmenbedingungen. So sind die Rollen (Scrum-Team, Scrum-Master und Product-Owner) und die damit verbundenen Aufgaben der Teilnehmenden genauestens definiert. Ebenso gibt es klar definierte Meeting-Strukturen. Auf den ersten Blick mögen diese festen Strukturen paradox zu dem Begriff agil erscheinen. Doch gerade diese wenigen, festen Strukturen ermöglichen ein hohes Maß an Sicherheit, Freiheit und Selbstorganisation.“

Das WAS vorgeben, aufs WIE vertrauen

Auch bei der Commerzbank sollen die Manager nur noch das WAS, also die Ziele, definieren. Das WIE, den Weg dorthin, bestimmen die einzelnen Teams selbst. Auf diese Weise will man die Selbstverantwortung der Mitarbeiter stärken, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. Am Ende des Tages steht ja das Management für die Zielerreichung gerade. „Aber Themen und Aufgaben ändern sich in vielen Bereichen heute enorm schnell“, betont Kirsten Weisbender. „Da muss sich die Führungskraft auf ihr Team verlassen können und nicht selbst der beste Experte sein.“

Um den Spagat aus Vertrauen und (Ergebnis-)Kontrolle im Arbeitsalltag zu meistern, nennt Management-Berater Daniel Pinnow in seinem Buch „Führen“ ein paar Dos and Don’ts. Was bei mir hängen geblieben ist:

  • Mitarbeitern Aufgaben übertragen, ohne ständig über die Schultern zu schauen.
  • Wichtige Infos nicht für sich behalten, sondern mit dem Team teilen.
  • In schwierigen Situationen nicht alles gleich zur Chefsache machen.
  • Nicht fragen, wie‘s zum Zwischenergebnis gekommen ist. Lieber die Mitarbeiter fragen, wo sie grad stehen und was sie noch brauchen, um ihre Ziele zu erreichen.

Für mich persönlich hab ich noch ergänzt: Dankbar sein fürs Erreichte! Und auch wach bleiben, auf sich und seine Umgebung achten.

Keine Frage, die neue Art der Führung ist nicht leicht. Sie bedeutet eine große Veränderung für alle Beteiligten, viel Mut, Geduld und Lernbereitschaft. Auch bei Spotify ist das kein Selbstläufer. „Wie können wir unsere Kultur mit viel Entscheidungsfreiheit und Teamgeist in den kleinen Einheiten erhalten, ohne dass uns das Produkt und der Laden auseinanderfallen? Diese Frage stellen wir uns ständig“, so Manager Anders Ivarsson.

Aber mein Fazit auch, es führt kein Weg dran vorbei: Es braucht in der Führung heute eher Mentoren als Mikro-Manager.

Über den Autor

Dr. Ferri Abolhassan

Dr. Ferri Abolhassan ist Mitglied der Geschäftsführung der Telekom Deutschland GmbH und Vorsitzender Geschäftsführer der Deutsche Telekom Service GmbH und der Privatkunden Vertriebsgesellschaft mbH. Zuvor war der promovierte Informatiker für T-Systems, Siemens, SAP, IBM und IDS Scheer tätig.

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