Bedeutet digitales Zentralbankgeld das Ende der Privatsphäre?

Balance zwischen Kriminalitätsbekämpfung und Überwachungsstaat

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Teile der Bevölkerung befürchten, dass digitales Zentralbankgeld den Schritt hin zum Überwachungsstaat bedeuten könnte. Es gilt, die Balance zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Verhinderung von Kriminalität und Geldwäsche zu finden.

Bedeutet digitales Zentralbankgeld den Schritt zum Überwachungsstaat?

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Im Oktober 1971 beschäftigte sich eine Gruppe von Akademikern an der Georgetown University in Washington DC mit folgender Frage: „Angenommen, Sie erhalten den Auftrag, ein System zur Überwachung der Bürger zu entwerfen. Das System soll möglichst unauffällig sein. Was wäre die beste Lösung?“. Die Antwort der Gruppe lautete: ein elektronisches Zahlungssystem. Mit einem solchen System könnte man nicht nur die finanziellen Daten jeder Person analysieren, man würde zudem sehen, was jemand kauft und wo sich jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhält. Dieses Experiment wurde 1975 in einer Anhörung vor dem US-Senat zum Thema Computertechnologie und Überwachung geschildert. In den 1970er-Jahren war ein solches System aber reine Zukunftsmusik.

Heute sieht das anders aus. Der Anteil bargeldloser Zahlungen ist in allen Ländern am Steigen. Die Covid-19-Pandemie dürfte diesen Trend noch verstärkt haben, vor allem hin zu Einkäufen über das Internet. Wenige werden sich erinnern, dass das Internet bis Anfang der 1990er-Jahre nicht für kommerzielle Zwecke verfügbar war. Mit dem Wegfall dieser Einschränkung im Jahr 1991 wuchs das Bedürfnis, über das Internet bezahlen zu können.

Die Diskussion um digitales Bargeld

Bestrebungen digitales Bargeld zu schaffen gab es aber bereits in den 1980er-Jahren. Der früheste Vorschlag kam vom US-Kryptologen David Chaum. Seine Idee setzte er in den 1990er-Jahren mit DigiCash auch um, und verschiedene Banken machten mit, darunter auch die Deutsche Bank. Allerdings konnte sich dieses eCash nicht durchsetzen. Stattdessen entwickelten sich Kreditkartenzahlungen zur dominierende Zahlungsmethode im Internet.

Die Diskussion um digitales Bargeld erfuhr erst im Jahr 2008 neuen Schwung, als jemand unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto die Idee eines elektronischen Bargeldsystems namens Bitcoin veröffentlichte und ein Jahr später lancierte. Nachahmer haben seither Tausende von Kryptowährungen lanciert und in jüngster Zeit haben auch Zentralbanken begonnen, sich mit digitalem Zentralbankgeld zu befassen. Die Ankündigung von Facebook, ebenfalls eine eigene Digitalwährung unter dem Namen Diem (zuvor Libra) lancieren zu wollen, hat das Interesse der Zentralbanken eher noch bestärkt.

Bargeld versus Buchgeld und Blockchain

Der Grund, weshalb digitales Zahlen einen solchen Datenfundus darstellt, liegt in der Verwendung von Konten. Digitales Geld liegt heute in Form von Guthaben bei Banken vor. Eine Bezahlung erfolgt durch Überweisung von einem Konto auf ein anderes Konto. In einem solchen kontobasierten System ist es erforderlich, die Konteninhaber zu identifizieren sowie Transaktion aufzuzeichnen. Im Gegensatz dazu findet eine Bargeldzahlung durch Übergabe eines Wertobjektes (Banknote) statt. In einem solchen wertbasierten System herrscht keine Notwendigkeit, die beteiligten Personen zu identifizieren oder die Transaktion aufzuzeichnen.

Bei Bitcoin wird oft gesagt, dass damit anonymes Bezahlen möglich ist. Das ist nicht korrekt. Bei der zugrundeliegenden Blockchain handelt es sich ebenfalls um ein kontenbasiertes System. Der Unterschied zu einem traditionellen kontenbasierten System ist allerdings, dass die Blockchain ein von allen gemeinsam verwaltetes Kontenbuch (ledger) darstellt, das auf sämtliche Teilnehmer verteilt ist (distributed ledger). Bitcoin-Benutzer müssen zwar nicht ihre wahre Identität preisgeben, sie werden auf der Blockchain jedoch mit einer Bitcoin-Adresse identifiziert, die aus einer Reihe von Nummern und Ziffern besteht. Die Blockchain kann aber von allen eingesehen werden, sodass Zahlungen zwischen den Adressen sichtbar sind. Bitcoin ist daher nicht anonym, sondern pseudonym, und in Bezug auf Transaktionen vollkommen transparent.

Für Regulierungs- und Strafbehörden ist die Pseudonymität der Blockchain ein Problem, weil es die Bekämpfung von Geldwäscherei und Kriminalität erschwert. Für Unternehmen ist hingegen die Transaktions-Transparenz der Blockchain ein Problem, weil es Vertraulichkeit und Diskretion erschwert. In den vergangenen Jahren wurden verschiedene, maßgeschneiderte Unternehmens-Blockchains entwickelt, die regulierungskonform sind und Vertraulichkeit gegenüber den anderen Teilnehmern zulassen. Solche Unternehmens-Blockchains sind geschlossene Netzwerke, das heisst die Teilnahme steht nicht allen offen wie bei Bitcoin und die Teilnehmer müssen sich identifizieren. Solche autorisierten Blockchains (permissioned blockchains) verfügen über eine bessere Performance, weil sie weniger Teilnehmer haben und stärker zentralisiert sind.

Digitales Zentralbankgeld mit oder ohne Blockchahin?

Viele Zentralbanken experimentieren mit autorisierten Blockchains. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat zum Beispiel mit dem BIS Innovation Hub und SIX, der Betreiberin der Schweizer Finanzmarktinfrastruktur, die technologische und rechtliche Machbarkeit der Übertragung von tokenisierten Vermögenswerten gegen digitales Zentralbankgeld untersucht. Ähnlich wie andere Zentralbanken konnte die SNB zeigen, dass das gut funktioniert, sollte die Blockchain-Technologie künftig die heutige Finanzmarktinfrastruktur-Technologie ablösen.

Braucht es zwingend eine Blockchain für digitales Zentralbankengeld? Ist auch wertbasiertes digitales Bargeld denkbar? Analog dem physischen Bargeld würde solches wertbasiertes digitales Bargeld nicht in einem Kontenbuch erfasst und Besitzern zugeordnet, sondern lokal auf dem Smartphone oder Computer der Nutzer abgelegt und bei einer Bezahlung auf ein anderes Smartphone oder einen anderen Computer übertragen ­— ohne Notwendigkeit, die Transaktion aufzuzeichnen. Eine solche Lösung würde einen viel besseren Schutz der Privatsphäre ermöglichen.

Der Schutz der Privatsphäre im Zahlungsverkehr ist vielen Bürgern ein Anliegen. Dies zeigt das Ergebnis der kürzlich von der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgeführten Konsultation zu den erwünschten Eigenschaften eines digitalen Euros: Der Schutz der Privatsphäre steht an erster Stelle. Eine Balance zu finden zwischen Schutz der Privatsphäre und Kriminalitätsbekämpfung ist daher ein wichtiges Thema bei der Ausgestaltung von digitalem Zentralbankgeld. Es gibt Befürchtungen, dass digitales Zentralbankgeld den Überwachungsstaat ermöglichen könnte. Der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Augustin Carstens, hat kürzlich in einer Rede versichert, dass je nach Ausgestaltung digitales Zentralbankgeld nicht zwingend einen „Orwellschen Big Brother“ bedeuten müsse, bei dem die Zentralbank jede einzelne Transaktion sieht. Umgekehrt hat EZB Präsidentin Christine Lagarde in einer Rede betont, dass digitales Zentralbankgeld sogar helfen könnte, den Schutz der Privatsphäre im Zahlungsverkehr zu verbessern, zumindest gegenüber kommerziellen Anbietern.

Ist digitales Bezahlen und Schutz der Privatsphäre aber überhaupt miteinander vereinbar? Die schwedische Zentralbank hat das in einem Positionspapier verneint. Ein fast gleichzeitig publiziertes Arbeitspapier der SNB gelangt zu einem anderen Schluss. Darin schlagen David Chaum, Christian Grothoff und ich eine Ausgestaltung vor, die digitale Blindsignaturen ohne Blockchain verwendet. In diesem System müssten Nutzer nicht darauf vertrauen, dass ihre Transaktionsdaten geschützt sind. Solche Transaktionsdaten würden gar nicht erst aufgezeichnet. Dies entspräche dem von der EU-Datenschutz-Grundverordnung geforderten Datenschutz durch Technikgestaltung und datenschutzfreundliche Voreinstellungen (Privacy by Design & Default) und würde Zentralbanken von der Pflicht und Bürde des Datenschutzes befreien.

Wen interessiert das überhaupt?

Sollten sich unbescholtene Bürgerinnen und Bürger überhaupt um den Schutz der Privatsphäre im Zahlungsverkehr kümmern? Man hat ja nichts zu verbergen. Das Problem mit dem «Nichts-zu-verbergen»-Argument liegt in der Annahme, dass es bei der Privatsphäre darum geht, Unrecht zu verbergen oder etwas zu verheimlichen. Die meisten von uns haben aber wahrscheinlich Vorhänge vor den Fenstern, nicht weil wir etwas zu verheimlichen haben, sondern weil wir eine gewisse Privatsphäre wahren möchten.

Informationssammlung im großen Stil kann ein Problem sein, selbst wenn nur öffentliche Informationen gesammelt werden. Big Data und Data Science haben die Möglichkeiten der Datensammlung und Auswertung ungemein verstärkt, nicht nur für den Staat, sondern ebenfalls für den Privatsektor. Dies ermöglicht kommerzielle Ausbeutung, Diskriminierung und unerwünschte Überwachung, mit Potential für Missbrauch und Fehler. Mögliche Gefahren, die sich daraus ergeben, wurden von Cathy O’Neil oder Shoshana Zuboff eindrücklich aufgezeigt. Insbesondere unbescholtene Bürgerinnen und Bürger sollten sich daher für Privatsphäre im Zahlungsverkehr interessieren.

Über den Autor

Dr. Thomas Moser

Dr. Thomas Moser ist stellvertretendes Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank. Er ist für die operative Führung der Bereiche Geldmarkt und Devisenhandel, Asset Management, Operatives Bankgeschäft und Informatik sowie für die Finanzmarktanalyse und die Niederlassung Singapur verantwortlich. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler war u.a. beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington tätig.

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