Im Zuge der Digitalisierung ist Onboarding eines der zentralen Themen für Banken und Sparkassen. Bereits hier entscheidet sich mitunter das Schicksal einer Kundenbeziehung. Über Bedeutung und Anforderungen habe ich mit Christian Brüseke von Avoka und Thomas Hamele von PwC gesprochen.
Finanzinstitute müssen beim Onboarding nicht nur die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden berücksichtigen. Es geht auch darum, dem Anspruch gerecht zu werden, sowohl persönliche Kundenberatung als auch digitale Kunden-Services anzubieten.
Vor kurzem haben sich PwC und Avoka in einer Studie mit der Digitalisierung der Onboarding-Prozesse bei deutschen Privat- und Geschäftsbanken befasst. Demnach bieten sich durch die Digitalisierung vielfältige neue Möglichkeiten und Chancen, diese werden jedoch noch nicht von allen Instituten ausreichend genutzt.
Gespräch mit Christian Brüseke und Thomas Hamele
Zwei Experten, die an der Ausarbeitung der Studie mitgewirkt haben, konnte ich einige Fragen stellen.
Christian Brüseke ist bei Avoka Deutschland tätig und verantwortet dort als General Manager den Aufbau der Region DACH. Mit Hilfe seiner umfangreichen Branchenerfahrung von mehr als 25 Jahren gestaltet er die strategische Ausrichtung mit Fokus auf die Kernkompetenzen des Unternehmens.
Thomas Hamele ist Direktor Digitalisierung & CRM bei der Unternehmensberatung PwC. Er verfügt über mehr als 20 Jahre umfangreicher Erfahrung aus beratenden Tätigkeiten und Führungserfahrung und unterstützt Unternehmen im Banken- und Finanzdienstleistungssektor bei bedeutenden Implementierungs- und Transformationsprojekten.
Banken beschreiten den Weg der digitalen Transformation immer zügiger
Der Bank Blog: Herr Brüseke, Herr Hamele, wie ist aus Ihrer Sicht – kurz zusammengefasst – der Stand der Dinge der deutschen Banken beim Thema Digitalisierung?
Christian Brüseke: Herausfordernd, aber nicht unmöglich. Wir sehen viele gute Ansätze, aber auch viele unfertige Lösungen. Einiges erscheint nicht zu Ende gedacht oder – aus welchen Gründen auch immer – nicht stringent umgesetzt.
Thomas Hamele: Ein großes Sammelbecken unterschiedlicher Digitalisierungsansätze mit innovativen FinTechs, die frischen Wind in den deutschen Bankensektor bringen. Als besonders erfolgreich kristallisieren sich immer wieder Marktteilnehmer heraus, die die digitale Klaviatur im Umgang mit ihren Kunden perfekt beherrschen und den Wandel aktiv mitgestalten. In dieser Disziplin haben besonders die großen etablierten Banken Aufholpotenzial.
Der Bank Blog: Die Verantwortlichen betonen immer wieder sehr gerne, dass ein Umdenken der Banken bereits stattgefunden habe und der Weg der digitalen Transformation immer zügiger beschritten wird. Das klingt gut, aber kann man denn zu den digitalen Frontrunnern überhaupt noch aufschließen?
Christian Brüseke: Das lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Die Frage ist auch, wen Sie mit „Frontrunner“ meinen. Was wir sehen ist eine Zersplitterung der Angebote.
Durch den Markteintritt von Google Pay und bald auch Apple Pay, steht das Thema Zahlungsverkehr weiter im Fokus. Hier wird es sicherlich sehr schwer. Im Bereich Kredite sehen wir Lösungen wie Smava oder spotcap auf dem Vormarsch.
Daneben gibt es aber viele Bereiche, die Bedarf für eine Transformation haben wie z.B. Trade Finance, wo noch viel Raum für die Banken ist. Es steht und fällt mit dem Willen, der Idee und der Umsetzungskraft der Banken, ob sie es angehen oder anderen überlassen.
Thomas Hamele: Ein Patentrezept für die digitale Transformation ist leider noch nicht gefunden. Im Wettlauf um die digitale Poleposition sind agile Organisationskulturen gefragt, sowie skalierbare Geschäftsmodelle. Die Zusammenarbeit mit digitalen Gatekeepern ist mit Sicherheit ein wichtiger Katalysator, um mit dem Tempo des digitalen Wandels Schritt zu halten, wenngleich auch die Gefahr steigt, in digitale Abhängigkeiten zu rutschen.
Neukundengewinnung ist einer der teuersten Prozesse für die Bank
Der Bank Blog: Was war der Hintergrund für die Studie zum Thema „Onboarding in Kreditinstituten“? Warum ist das Thema gerade jetzt für Finanzdienstleister so wichtig?
Christian Brüseke: Als Kunde muss ich noch immer einen „Antrag“ stellen, um z.B. ein Konto zu eröffnen, eine Kreditkarte zu bekommen, usw. Die erste wirkliche Interaktion mit der Bank startet erst bei der Produktauswahl und dem folgenden Prozess. Zu diesem Zeitpunkt sehen wir aber bereits Abbruchraten von >50 Prozent.
Das ist für die Bank sehr schmerzhaft und nur ein Beispiel von vielen. Wir wollten wissen, wie die Banken das aus einer Innensicht sehen und wahrnehmen. In welche Richtung denken sie und welches Gap sehen wir. Neukundengewinnung ist einer der teuersten Prozesse für die Bank und jeder Abbruch kostet Geld.
Thomas Hamele: Genau! Das Onboarding ist ein wichtiger Moment für die Kundenbindung. Vergleichbar mit einem Vorstellungsgespräch trifft der Kunde innerhalb weniger Minuten seine Entscheidung, ob er sich für oder gegen die Bank entscheidet. Ein reibungsloses digitales Onboarding ist somit das Aushängeschild und avanciert zum Differenzierungsmerkmal unter sonst substituierbaren Wettbewerbern.
Der Bank Blog: Inwieweit unterscheiden sich derzeit die Onboarding-Prozesse bei den unterschiedlichen Finanzinstituten?
Christian Brüseke: Es gibt vereinfacht gesagt eine Dreiklassengesellschaft:
- diejenigen, die ihr altes „Antragsdokument“ zum download ins Web stellen oder
- diejenigen, die ihr altes Antragsdokument etwas schicker als Webformular abgebildet haben und der Kunde fräst sich da durch und
- diejenigen, die den gesamten Prozess end-2-end durchdacht und mobile-friendly umgesetzt haben.
Thomas Hamele: Die Studie zeigt, dass Direkt- und Privatbanken sowie junge, innovative Marktteilnehmer im digitalen Client Onboarding führend sind. Dieser Unterschied zeigt sich besonders deutlich im Angebotsumfang der online Produkte sowie der benötigten online Abschlussdauer. Bei der Analyse der Customer Experience haben wir vergleichbar große Unterschiede zwischen Großbanken und Direktbanken festgestellt.
Digitales Onboarding ist im deutschen Finanzsektor etabliert
Der Bank Blog: Was ist die Kernaussage der Studie?
Thomas Hamele: Dass das digitales Onboarding zwar fest im deutschen Finanzsektor etabliert ist, aber noch lange nicht die digitale Ausbaustufe erreicht hat, die von heutigen Kunden erwartet wird. In der nächsten digitalen Ausbaustufe dem “Next-Generation-Client-Onboarding” verschmelzen alle Kundeninteraktionskanäle zu einem einzigen Kanal. In der Wahrnehmung des Kunden wird es zukünftig keinen Unterschied mehr machen, ob er vom Handy, vom heimischen PC oder ganz klassisch über die Filiale das Onboarding durchläuft. Produkt- und Profilinformationen sind zu jeder Zeit verfügbar.
Der Bank Blog: Gab es überraschende Erkenntnisse?
Thomas Hamele: Beeindruckt hat mich besonders die gute Selbstreflexion der Befragten in Hinblick auf die Top-Herausforderungen des digitalen Onboardings. Auf Platz eins, nannten rund 70 Prozent eine hohe Customer Experience und Akzeptanz über alle Kanäle. Erst auf Platz zwei nennen sie gesetzliche und regulatorischer Anforderungen als Herausforderung.
Der Bank Blog: Wo wurden Ihre Erwartungen enttäuscht? Auf welchem Gebiet haben Sie gedacht, die deutschen Banken wären weiter?
Thomas Hamele: Im Grunde hat sich mit der Studie mein persönlicher Eindruck bestätigt. Wirklich überraschend für mich war die Erkenntnis, dass nach wie vor nur sehr wenige Finanzinstitute externe Daten zur vertrieblichen Optimierung oder für Marketingzwecke verwenden. Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung hat da sicherlich einen wesentlichen Einfluss. Sie prägt den Datenschutz weltweit. Unternehmen vermeiden häufig jegliche Art der Datennutzung und vernachlässigen zu oft das strategische Potenzial der Datenschutzverordnung.
Meist geht man zu der Bank, bei der auch die Eltern sind
Der Bank Blog: Was verlangt eigentlich der Bank-Kunde, sprich, nach welchen Kriterien sucht sich der private Endkunde heutzutage seine Bank aus?
Christian Brüseke: Meist geht man zu der Bank, bei der auch die Eltern sind. Eine weitere große Rolle spielen sicherlich Freunde und Bekannte. Erst dann kommt die Recherche über das Internet. Kontoführungsgebühr und vor allem die Möglichkeit des Mobile banking sind weiterhin Auswahlkriterien. Wenn die Bank kein gutes Mobile Banking zur Verfügung stellt, ist sie meist raus.
Auch die Möglichkeit schnell ein neues Produkt abzuschließen, Verfügbarkeitsrahmen in real time anzupassen, Geldtransfer unter Freunden, usw. spielen eine immer größere Rolle. Bargeld dagegen eine immer kleinere und somit auch der Bedarf nach Filialen mit Mitarbeitern.
Der Bank Blog: Und welche Kriterien spielen für Geschäftskunden die Hauptrolle?
Christian Brüseke: Vor allem die folgenden vier:
- 24/7 erreichbar.
- möglichst viele Bankgeschäfte/-services online verfügbar.
- Beratung über Chat oder Video, aber auch die Möglichkeit zum persönlichen Gespräch.
- Individuelle Angebote & zugeschnittene Services .
Onboarding Prozesse sind nicht durchgängig sauber definiert
Der Bank Blog: Im Wettbewerbsvergleich sind Großbanken laut Studie das Schlusslicht beim Client Onboarding. Was haben diese bisher verpasst?
Christian Brüseke: Man hat sich viel zu lang auf das Geschäftsfeld Retailbanking konzentriert und die Firmenkunden, das Wealth Management und das Asset Management vernachlässigt. Die Prozesse sind nicht durchgängig sauber definiert und vor allem gibt es keine verfügbaren APIs auf der Backend Seite (Stichwort Kernbankensystem), die es ermöglichen würden, neue Prozesse auf der Frondend Seite schnell abzubilden. So hat man automatisch einen Bruch.
Das Bereitstellen von APIs auf der Backend Seite bedeutet i.d.R. ein Projekt von mindestens 12-18 Monaten Laufzeit. Und wenn es dann fertig ist, ist es schon wieder alt. Neben den technischen Problemen haben sie parallel zusätzliche organisatorische Herausforderungen. Großbanken müssen viele Stakeholder und unterschiedliche Interessen in langen Abstimmungsrunden unter einen Hut bringen. Von agil ist hier wenig zu verspüren.
Thomas Hamele: Somit befinden sich Großbanken in einer komplizierten Lage, da sie einerseits ein sehr komplexes Business zu verantworten haben, und andererseits die Skalierbarkeit der veralteten IT-Prozesse an ihre Grenzen stößt. In der Studie konnten wir zeigen, dass sich dies besonders deutlich auf ihre Produkte und Services, Vertriebskanäle sowie die Customer Experience auswirkt.
Banken müssen Lösungen suchen
Der Bank Blog: Welches sind die wichtigsten To-Dos für die Institute, um im Onboarding state-of-the-art zu sein?
Christian Brüseke: Zuhören! Was will mein Kunde und was braucht mein Kunde? Nicht – was will die Bank. Wie und womit will ich mich zukünftig unterscheiden? Wie tief muss meine Fertigungstiefe sein? Zählt Geschwindigkeit? Welche Geräte nutzt mein Kunde? Will ich eine User Experience über alle Kanäle hinweg anbieten, die gleich ist?
Banken müssen Lösungen suchen, um auf die unterschiedlichsten Bedürfnisse einzugehen: hohe User & Customer Experience, Omnichannel fähig, Open banking API Unterstützung, Skalierbar, Wiederverwendung von Services, kurze Entwicklungs- und Anpassungszyklen, technisch state-of-art, Standardlösung etc. Wichtig ist zu verstehen, dass es mit der ersten Lösung nicht getan ist, sondern eine permanente Weiterentwicklung notwendig ist.
Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.