Die Wirtschaft entwickelt sich zyklisch in langen Wellen, stellte der Ökonom Kondratjew fest. Etwa Anfang der 90er Jahre brach der fünfte Zyklus an. Langsam nähert er sich dem Ende. Sein Schwerpunkt: Information. Werden Banken noch mit dabei sein?
Vor 33 Jahren wurde das Internet Allgemeingut. Professor Peter Scholz von der HSBA Hamburg School of Administration bestimmte im Finanzplatz-Hamburg-Forum „Finanzwirtschaft trifft Wissenschaft“ den Termin: am 30. Mai 1983, als das Time Magazine „The New Economy“ titelte. Den in Theorien und Längen der unterschiedlichen Konjunkturen Unterwiesenen und damit auch Handelnden durchzuckt es: ein Kondratjew! 33 Jahre sind schon um, also nur noch 17 Jahre vor uns, bestenfalls vielleicht fünf bis zehn Jahre weiter. Braucht man dann überhaupt noch Banken und ihren Finanzplatz? Passend dazu war Scholz’ Thema: „Droht die feindliche Übernahme durch FinTechs?“
1926 veröffentliche der russische Statistiker und Ökonom Nikolai Kondratjew seinen meisterlichen Aufsatz über „Die langen Wellen der Konjunktur“. Er unterteilte die Wellen in An- und Abstieg, wobei er herausfand, dass sich diese überlappen. In seiner statistischen Analyse ging Kondratjew bis in die 80er-Jahre des 18. Jahrhunderts zurück – vorher gab es keine systematisch dokumentierten Preis- und Lohnreihen. Um es kurz zu fassen: Entscheidend für den Beginn und Verlauf der Konjunkturwellen sind Innovationen und ihre Umwandlung in Arbeitsproduktivität.
Der 5. Kondratjew
Heute leben wir im fünften Kondratjew. Leo A. Nefiodow stellte 1990 fest, dass diese fünfte lange Welle vom Innovationspotenzial der Ressource Information getragen werde. Sie habe 1982 mit dem langen Aufschwung in Japan und in den USA, darauf auch in Deutschland begonnen.
Banken und Finanzplatz haben diese lange Welle mitgetragen. Hamburg ist schon früh einer der stärksten Anwender der Informationstechnologie gewesen. So hätten die Traditionsbereiche Hafen, Schifffahrt, Logistik und Schiffbau ohne schnelle Digitalisierung weder im internationalen Wettbewerb mithalten noch ihre Arbeitsproduktivität steigern können. Dafür bedurfte es risikoerprobter Bankleute, die die riesigen Investitionen langfristig vorfinanzierten.
Wie kann der IT-Kondratjew für die Banken und den Finanzplatz weiterlaufen? Ist der sechste schon näher abzusehen, auch seine Konsequenzen für die Bankleute? Ein Ansatzpunkt für den restlichen fünften Kondratjew gibt die Gesetzmäßigkeit von Gordon Moore aus dem Jahr 1965. Moore’s Law zufolge sollte sich die Leistung der Computerchips alle eineinhalb Jahre verdoppeln. Die Prognose war richtig. Inzwischen verlangsamen die Chipbegrenzungen deren Leistungswachstum. Jedoch lässt das enorm gestiegene Absatzvolumen für alle Lebens- und Produktionsbereiche die Preise je Einheit immer weiter sinken. Moore’s Law dreht sich: Die Leistung der Chips erhöht sich nur noch langsam, die Preise aber sinken weiter stark. Das zieht eine immer breitere und bald voll globale Anwendung der Digitalelemente und -netzwerke nach sich. Darüber wird im laufenden Kondratjew das weltweite Wirtschaftswachstum getragen.
Folgen für den Finanzmarkt
Das hat zwei Auswirkungen auf den Finanzmarkt. Der ersten entsprechen die „Thesen zur Digitalisierung in der Finanzbranche“ vom Juli 2016, die der Finanzplatz Hamburg e. V. erarbeitet hat. Die zweite betrifft die Unternehmen, die führend in der Digitalisierung arbeiten. Industrie 4.0 umschreibt eine solche Anforderung. Für die Banken ergeben sich daraus neue Wachstumsmöglichkeiten, weil sie selbst schon funktionierende IT-Einheiten sind und über einen breit gefächerten Mitarbeiterstamm verfügen. Sie stehen mitten im Prozess, „financial services and technology“, die FinTechs, in ihre Abwicklungen zu integrieren. Ähnlich werden sie auch mit der aufkommenden Blockchain-Technologie verfahren.
Der sechste Kondratjew zeichnet sich ab. Die Welle des fünften neigt sich nach unten, während sich die nächste schon aufbaut. Sie wird von der unbegrenzten Verfügbarkeit über Energie getragen werden. Die Nutzung von Sonnen- und Windenergie ist wie die der Batteriemotoren nur ein Übergangsverfahren. Die Wasserstoff-Anwendung wird in Fünf-Jahres-Sprüngen bis um 2030 voll realisiert worden sein. Sie wird den sechsten Kondratjew treiben.
Regulierung verhindert Finanzierung
Bisher haben Banken und Finanzplatz die Kondratjews angeschoben und getragen. Ob sie den fünften noch zu Ende bringen und den sechsten voranbringen können, liegt in der EU nicht mehr in ihrer Verantwortung. Beide langen Wellen brauchen jetzt und künftig Finanziers, die Risiken in großem Umfang übernehmen. Doch die Banken werden immer stärker darin gedrosselt, Risiken einzugehen, um neue Produkte und ganze Innovationsketten vorzufinanzieren.
Die zunehmende Überregulierung durch den Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und die Zentralsteuerung durch die EU-Einrichtungen, vor allem durch die EZB-Bankenaufsicht und die von ihr geführten übrigen Aufsichtseinheiten, verhindern Innovationsfinanzierungen. Öffentliche Förderung zum Ausgleich wird unwirksam sein, weil Innovationen der Wirtschaft immer aus ihrer Mitte kommen und keine behördlichen Genehmigungsraster vertragen. Die Sorge, dass sie darüber abgewürgt werden könnte, belastet den freien und ungezwungenen Antrieb zur Innovation. Überdies steht die Digitalbarriere der Bürokratie jeder Innovation entgegen. Es gibt keinen Ansatzpunkt dafür, anzunehmen, dass sie bis zum Schlusspunkt des fünften Kondratjew, also in den nächsten 17 Jahren, abgebaut sein wird.
Der Beitrag erschien zuerst im Jahrbuch 2016/17 des Finanzplatz Hamburg e.V.. Unter dem Motto „Hanseatisch, verlässlich, innovativ“ vereint er Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung sowie finanzwirtschaftliche Institutionen der Region und Hansestadt Hamburg.