Asset Manager brauchen für ihre Anlageentscheidungen aussagekräftige Analysen mit hohem Unterscheidungswert und Zugriff auf hochqualifizierte Experten aus unterschiedlichen Industrien. MiFID II schränkt die Verfügbarkeit von Analysen und damit der Informationsvielfalt erheblich ein.
Die zu Jahresbeginn eingeführten MiFID II-Regelungen haben neben den hohen Umsetzungskosten in den betroffenen Bereichen der Finanzindustrie noch weitere – vermutlich ungewollte – Konsequenzen. Eine indirekte Folge ist die Einschränkung des Angebots und damit auch der Vielfalt von Meinungen und Einsichten im Kapitalmarktresearch. MiFID II zielt zwar auf mehr Transparenz zugunsten der Anleger ab, gefährdet dabei aber auch hunderte von Arbeitsplätzen für Analysten. Deren Dienstleistung darf nicht mehr gebündelt mit kommissionspflichtigen Leistungen angeboten werden, wenn die Zahlung direkt aus dem Mandat erfolgt und keine eindeutige Zuordnung der Kosten möglich ist.
Asset Management-Kunden haben sich daraufhin nahezu branchenweit dazu entschlossen, die Kosten für Research selbst zu tragen. Da ist es nur konsequent, dass in den Investmenthäusern während der vergangenen Monate jeder Kontakt zwischen Portfoliomanagern und Brokern bzw. Analysten auf den Prüfstand kam. Seither wurden die Anbieterlisten rigoros zusammengestrichen.
Hochdifferenzierte, proprietäre Analysen gefragt
Im ersten Schritt stellen vor allem kleinere und mittlere Anbieter von Kapitalmarktresearch sukzessive ihre weniger nachgefragten Services und Reports ein. Sie reagieren damit auf die Ansprüche ihrer Kunden: Nur hochdifferenziertes Research soll entsprechend den konkreten Bedürfnissen der Endkunden in die Anlageentscheidungen einfließen. Berücksichtigt wird vor allem, wer proprietäre, diskretionäre Arbeit leistet. Für die reine Kommentierung, wie die Zahlen eines Unternehmens relativ zu Konsens und Historie ausgefallen sind, wird nicht mehr bezahlt.
In ähnlicher Weise sind die großen Research-Abteilungen führender Investmentbanken betroffen. Ihnen drohen zukünftig Umsatzeinbußen mit der Folge von radikalen Kürzungen und Stellenabbau. Im Ökosystem des Asset Managements gelten sie als Alles-Könner, die dank einer großzügigen Quersubventionierung aus anderen Kommissionsabteilungen jede noch so spezielle Analyse anbieten.
Die neuen Vorschriften erzwingen jedoch für die großen Häuser genauso eine Auslese nach Effizienz und Qualität wie für die kleinen. In ihrer neuen Rolle als Selbstzahler zeigen die Asset Manager daher auch bei renommierten Investmentbanken wenig Bereitschaft zu pauschalen Nutzungsvereinbarungen, sondern bevorzugen pay-as-you-go Modelle – also den gezielten Abruf einzelner Services.
Einfalt statt Vielfalt
Nach einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Co werden die jährlichen Ausgaben der zehn größten Investmentbanken für das Publizieren von Research auf gut 4 Milliarden US-Dollar geschätzt. Man erwartet aufgrund der sinkenden Nachfrage seitens der Asset Manager einen Abbau dieses Kostenblocks um rund 30 Prozent – mit schwerwiegenden Folgen für die Jobs der Analysten. Auf der Anbieterseite, so die Unternehmensberatung Oliver Wyman, könnten sich die Einbußen sogar bis auf zwei Milliarden Dollar aufsummieren. Es drängt sich der Gedanke auf, dass MiFID II für einige Bereiche der Industrie ein „Tal des Todes“ geschaffen hat, aus dem besonders der Berufsstand der Analysten nur schwer wieder herausfinden wird.
Europäische Asset Manager, die bei ihren Anlageentscheidungen auf fundamentale Analysen setzen, haben es dafür zunehmend schwer, unterschiedliche Einsichten und Perspektiven gegeneinander abzuwägen. Wenn die Verfügbarkeit von Kompetenz und Expertenwissen abnimmt, wirft das auch die Frage nach der Qualität der Anlageentscheidungen auf. Eine ungewollte Konsequenz der MiFID II-Regeln wären dann möglicherweise Renditeeinbußen der Anleger, bei größerer Transparenz hinsichtlich des erzielten Ergebnisses.
Entrepreneurship im Research gefragt
In Asien und Nordamerika hat sich schon länger eine Alternative außerhalb der hierzulande üblichen Bündelung etabliert. Ursprünglich angetrieben von den Forderungen der Hedge-Fonds nach differenzierten Analysen zur Alpha-Generierung setzen dort ansässige traditionelle Vermögensverwalter auf die Vorzüge von Banken- und Emittenten-unabhängigem externen Research. Dieser Trend ist dank der Digitalisierung und Entwicklung cloudbasierter Plattformen zum Informationsaustausch zu einem neuen, tragfähigen Geschäftsmodell auch für einzelne, in ihrem Gebiet renommierte Analysten geworden.
Hohe Qualität, Flexibilität, unabhängiges Denken, Nischen besetzen, Mehrwert schaffen – und das zu angemessenen Preisen. Das scheinen die Bausteine der neuen Zauberformel für Analysten zu sein. Nach einer Untersuchung von Integrity Research Associates sind größere und mittelgroße Asset Manager durchaus bereit in externe Analysen zu investieren, dies aber nur punktuell und für spezielle Bereiche wie Small- und Midcaps, einzelne Branchen oder Länder.
Für Analysten mit einem guten Ruf in der Branche und dem Willen zur Selbständigkeit, bietet sich die Einbindung in eine renommierte Plattform für unabhängiges Research an. Das funktioniert ähnlich wie ein Haftungsdach für unabhängige Vermögensverwalter. Die Anfangshürden einer Existenzgründung sind besser zu überwinden, wenn eine Infrastruktur aus Bürodienstleistungen, Mentoren und regulatorischem Schutz vorhanden ist, also alles, was zum Neustart eines eigenen Research-Unternehmens wichtig sein kann. Darüber hinaus profitieren die Teilnehmer von der Vertriebsstärke einer solchen Plattform, auf der Daten, Publishing-Tools oder auch die Distribution der Finanzanalysen an ein Netzwerk zahlreicher globalen Buy-Side-Institutionen bereitsteht.
Disruption als Teil des Fortschritts
Derzeit fehlt der europäischen Finanzindustrie noch ein breites Angebot an hochdifferenziertem, qualifiziertem Research, das frei von Interessenkonflikten ist. Grundsätzlich besteht jedoch eine hohe Bereitschaft, dafür zu zahlen, wenn ein konkreter Nutzen für die Portfoliomanager gesehen wird. Für den Berufszweig der Analysten in der EU bietet es sich an, im aktuellen Umbruch ein dichtes Netzwerk unabhängiger Anbieter nach dem Muster des asiatischen und angelsächsischen Marktes zu entwickeln.
Mit der MiFID II-Direktive ist es bisher gelungen, das dreigeteilte Ökosystem aus Asset Managern, Research-Abteilungen in Investmentbanken und Brokern aufzubrechen. Mit dem Ziel einer höheren Kostentransparenz, Effizienz und eines verbesserten Anlegerschutzes geht möglicherweise aber auch die Einschränkung von Erkenntnisgewinn und Wissensverbreitung einher. Sollen auch Meinungs- und Informationsvielfalt erhalten bleiben, dann wird das nicht ohne Investmenthäuser gehen, die Raum lassen für neue und unabhängige Quellen. Transparenz und ein breiter Zugang zu Research sind die zentrale Voraussetzung dafür, dass Investoren informierte Anlageentscheidungen treffen können. Alles andere ginge zulasten der Anleger.