Vor kurzem habe ich über Crowdsourcing als neuen Ansatz zur Entwicklung und Umsetzung innovativer Konzepte berichtet. Heute nun der erste Teil einer Fallstudie, wie die HypoVereinsbank damit neue Service- und Beratungsstandards entwickelt hat.
Hintergrund
Im Mittelpunkt der strategischen Ziele der HypoVereinsbank steht die Zufriedenheit der Kunden. Daher lautet die zentrale Vorgabe: Individuelle, lösungsorientierte Betreuung mit ganzheitlicher Kundenberatung. Man möchte sich damit vom rein zahlengestützten Produktverkauf abheben.
Unter der Überschrift „Wir wollen die beste Kundenbank Deutschlands werden“ hatte sich die HVB 2010 das Ziel gesetzt, neue Service- und Beratungsstandards für exzellente Kundenerlebnisse zu entwickeln und zu leben, was bei einer einheitlichen Umsetzung in 855 Geschäftsstellen eine Herausforderung darstellt. Da man erkannt hatte, dass niemand die Kunden genauer kennt, als die Betreuer, wollte man möglichst viele Betreuer in den Entwicklungsprozess aktiv einbeziehen.
Die anvisierten Ziele lauteten:
- Neue innovative Service- und Beratungsstandards zur Kundenzufriedenheitssteigerung durch die Mitarbeiter entwickeln lassen.
- Einen Change-Prozess in den Köpfen der Mitarbeiter anzustoßen und somit die Offenheit für Service- und Beratungsstandards zu erhöhen.
Unter dem Motto „Wenn ich mein Kunde wär’…“ sollten sich die Betreuer auf den Stuhl des Kunden setzen und anhand dessen Erwartungshaltungen festlegen, wo er als Kunde sagen würde „das war ein exzellenter Service“. Rund 8.000 Mitarbeiter in 11 Regionalbereichen, 101 Niederlassungen und 855 Geschäftsstellen in Deutschland sollten mit dem Projekt erreicht werden.
Vorgehen, Crowdsourcing Plattform und Redaktionsteam
Gemeinsam mit einem externen Dienstleister entwickelte man von August bis September 2010 eine eigene interne Social Media Plattform, gezielt für dieses Projekt. Das verwendete System ermöglichte das Crowdsourcing für sechs verschiedene Zielgruppen und hatte insbesondere folgende Vorteile:
- Es war einfach und plakativ aufgebaut und auf eine einfache Sortierung der Vorschläge ausgelegt.
- Es bot eine gute Unterstützung der redaktionellen Prozesse (Massenverarbeitung).
- Die Eintrittshürde war durch vorab systemseitig erfolgte Registrierung der Benutzer gering.
- Die eingereichten Ideen ließen sich einfach den Zielgruppen zuordnen.
Bei der Gestaltung wurde der Fokus auf die User gerichtet. Die Anwendung sollte einfach und intuitiv erfolgen. Die Register spiegeln die einzelnen Beratungssegmente wieder, so dass jeder Benutzer sofort „seinen Bereich“ für seine Ideen finden sollte. Erstmals wurde so die technischen Möglichkeiten geschaffen, alle Mitarbeiter in die Entwicklung von Standardards einzubeziehen.
Die Plattform sollte Anreiz für eine aktive Beteiligung bieten und wurde daher mit allen wesentlichen Funktionalitäten ausgerüstet, die den Usern Spaß an der Mitwirkung ermöglichen:
- Z.B. durch die Positionierung von Leitartikeln des Vorstandes, sowie der Funktion „Vorschlag des Tages“.
- Durch interessante Artikel zu den einzelnen Segmenten auf der Startseite.
- Durch den Einbau eines Countdowns der Crowdsourcing Phase sowie von Gewinnmöglichkeiten und Umfragen.
Trotz des Wunsches nach hoher Beteiligung, war es jedoch oberste Priorität, die Freiwilligkeit der Mitarbeiter zu wahren.
Zur Steuerung der Plattform wurde temporär ein Redaktionsteam zusammengestellt. Im Vorfeld wurde vermutet, dass die wirklich innovativen Vorschläge zur Steigerung der Kundenzufriedenheit eher gering ausfallen und zusätzlich Werbung in den Filialen für die Erhebungsphase zu machen sei.
Außerdem lautete die Prognose, dass bei 50 Prozent aller Vorschläge aufgrund von Missverständnissen, Strategiekonformität, Segmentzuordnung, Tonalität oder Passung zu Prozessen und Systemen ein Nachsteuerungsaufwand erforderlich werde.
Einführung
Das eigentliche Crowdsourcing wurde mit einer intensiven Inhouse Marketing-Kampagne begleitet:
- Im September 2010 wurde das Management Top-Down informiert und in die Pflicht genommen, das Thema in jedem Jour Fixe aufzugreifen.
- Anfang Oktober 2010 wurden Tutoren je Niederlassung an Bord genommen (Einweisung in das System, Informationen zum Ablauf und zur Marketing-Kampagne, erste Ideenerfassung, damit ein Grundstock da war.)
- Mitte Oktober startete die Informationskampagne im Vertrieb. Dabei schaltete sich der zuständige Vorstand persönlich in das Projekt ein und machte damit deutlich, dass er hinter dem Projekt steht.
- In den letzten 48 Stunden vor Start der Aktion war im Intranetauftritt ein täglich wechselnder Info-Banner geschaltet.
- Ein Artikel in der Hauszeitung „ONE“ rundete die Informationsoffensive ab.
Auf allen Kanälen wurde die identische Botschaft gesendet „Machen Sie mit!“
Am 27. Oktober 2010 wurde das System frei geschaltet und jeder Betreuer konnte seine Service-Ideen eingeben. Insgesamt dauerte der Erhebungszeitraum 6 Wochen und war damit deutlich kürzer als bei herkömmlichen Verfahren.
Die Definition der Service- und Beratungsstandards sollte durch konkrete Vorschläge zu Piktogrammen erfolgen. Jedoch war es nicht erwünscht, Prozess-und Systemänderungen einzureichen, da die Vorschläge für exzellenten Service unabhängig von äußeren Gegebenheiten für jedermann umsetzbar sein sollten.
Neben dem eigentlichen Vorschlag sollte bewusst auch der Mehrwert aus Kundensicht beschrieben werden (Start Chance Management). Eine einfache Gestaltung der Eingabe und eine erste Kategorisierung anhand von Icons erleichterten die spätere Zuordnung der Vorschläge und Ideen.
Direkt im Anschluss an die Eingabe konnte über die eingereichte Idee abgestimmt werden. Dass dabei sicher auch so mancher Betreuer die Werbetrommel für seine Idee gerührt hat, war im Sinne des Gesamtkonzeptes ausdrücklich erlaubt.
Ergebnisse und Bewertung
Im zweiten Teil des Artikels werde ich über die Ergebnisse des Projektes berichten und eine Bewertung vornehmen. Dazu habe ich u.a. ein Interview mit Waltraud Kaspar-Hieke geführt. Sie ist verantwortlich für den Bereich „Service Quality“ bei der HypoVereinsbank und damit auch für das Projekt Crowdsourcing.
2 Kommentare
Sehr geehrter Herr Dr. Leichsenring,
ein spannender Artikel. Wir freuen uns sehr wenn das Thema Crowdfunding auch von den führenden Experten – wie Ihnen – aufgegriffen wird.
Beste Grüße
Torsten Schreiber
Hallo Herr Schreiber
vielen Dank