Tokenisierung und Embedded Finance sind zwei aktuelle Toptrends in der Finanzbranche. Über die Hintergründe und den Nutzen für Banken habe ich mit Prof. Dr. Hans-Gert Penzel vom ibi research, Institut für Bankinnovation an der Universität Regensburg gesprochen.
Laut des Reports des Weltwirtschaftsforums „Deep Shift Technology: Tipping Points and Societal Impacts“, bei dem im Jahr 2018 über 800 Führungskräfte und Experten befragt wurden, werden 2027 etwa 10 Prozent des globalen BIP auf der Blockchain gespeichert sein. Folgt man der Statista-Prognose, die das weltweite BIP für 2027 auf ca. 130 Billionen US-Doller schätzt, wären das rund 13 Billionen US-Dollar auf der Blockchain.
Die Zahlen machen deutlich, welche Bedeutung die Blockchain-Technologie im Allgemeinen und Asset Tokens im Besonderen für die Zukunft der Finanzindustrie haben wird: Die Tokenisierung kann zu einem integralen Bestandteil des Kapitalmarktes von morgen werden, angetrieben durch die voranschreitende Digitalisierung. Die Chancen sind enorm, der Wandel der Kapitalmärkte hat aber gerade erst begonnen.
Fragen zur Tokenisierung an Prof. Dr. Hans-Gert Penzel
Über die Hintergründe der Tokenisierung von Vermögenswerten, welcher potenzielle Nutzen daraus in der Praxis entstehen kann und was dies für die Zukunft von Embedded Finance bedeutet, habe ich mich mit Prof. Dr. Hans-Gert Penzel unterhalten.
Er ist Gründungsgesellschafter und Aufsichtsrat des ibi research, Institut für Bankinnovation an der Universität Regensburg. Neben seiner Professur hält der Volkswirt und Wirtschaftsinformatiker eine Vielzahl von Aufsichtsrats- und Beiratsmandaten im Finanzsektor und schreibt regelmäßig für den Bank Blog. Zuvor war er in verschiedenen Führungspositionen tätig, u.a. als Generaldirektor und CIO der Europäischen Zentralbank.
Mit Tokens kann man bezahlen, spekulieren, den Wert halten oder die Nutzung ermöglichen
Der Bank Blog: Was verbirgt sich hinter dieser Tokenisierung und was hat das mit Blockchain, Kryptowerten und Smart Contracts zu tun?
Hans-Gert Penzel: Um mit einem Bild zu beginnen: Dieser 10 Euro-Schein aus meinem Portemonnaie ist unsere analoge Währung, mit der ich mir eine Ware oder Dienstleistung kaufen kann – und jeder akzeptiert sie. Die digitale Variante wäre ein Bild dieses Geldscheins auf meinem Smartphone, das ich einfach weiterleiten kann, um damit etwas zu bezahlen. Tokens sind solche digitalen Objekte, die eigenständig einen Wert darstellen. Sie können physische Objekte spiegeln, wie eine Immobilie oder eine Maschine, aber eben auch rein digital existieren wie Kryptowährungen, zum Beispiel die USD Coin, Schuldscheine, Wertpapiere oder digitale Kunstwerke. Tokens können erworben, gehalten und auch weitergegeben werden, dies unter Umständen auch auf Marktplätzen oder Börsen. Man kann damit zahlen, spekulieren, den Wert halten oder die Nutzung ermöglichen.
Der wichtige Punkt: Sie werden vom Empfänger akzeptiert, ohne dass eine explizite Rückversicherung bei einer zentralen Stelle notwendig ist. Bei einer normalen Überweisung muss ich ja erst abwarten, ob der Betrag auch tatsächlich auf mein Konto gebucht wird. Bei Tokens funktioniert das unmittelbar.
Smart Contracts ermöglichen Verträge
Der Bank Blog: Nun haben wir aber noch keinen Vertrag…
Hans-Gert Penzel: Genau. Und hier kommt der Smart Contract ins Spiel, ein unverzichtbarer Teil der gesamten Kette. Denn das bezeichnet die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Käufer und Verkäufer, die im Programmcode verankert sind und automatisch zur Ausführung kommen. Diese können im Token selbst oder in darüber liegender Software implementiert sein.
Die Kryptowährung Etherum zum Beispiel erlaubt die Implementierung von Smart Contracts im Token selbst, die Bitcoin dagegen nicht. Die ganzen Informationen dieser Bausteine des Decentralized Finance sind in Datenbanken auf Basis der sogenannten Distributed-Ledger-Technologie mit verteilten Verzeichnissen hinterlegt und für alle Akteure transparent, werden zudem zuverlässig repliziert und synchronisiert.
Tokens sind natürlicher Teil der digitalen Welt
Der Bank Blog: Aber woher kommt der potentielle Nutzen, den die Tokens generieren sollen?
Hans-Gert Penzel: Tokens sind schon jetzt ein natürlicher Teil der digitalen Welt. Sie erlauben die durchgehende Digitalisierung von Prozessen ohne Medienbrüche und können deshalb als Wertspeicher nahezu überall eingesetzt werden, im Metaverse geht es gar nicht ohne. In quantitativen Betrachtungen werden sie als wirtschaftlich hochattraktiv dargestellt, weil Prozesse günstiger, schneller und transparenter werden. Da ist aber noch viel Marketing mit teils überzogenen Aussagen im Spiel, wie es am Beispiel eines typischen Wertpapierprozesses zu erkennen ist.
Von der Zuordnung des Tokens gemäß Taxonomie und der Klärung des Sourcings über die Strukturierung und Prospekterstellung bis hin zu den weiteren Emissionsaktivitäten sind die Einzelschritte so komplex und vielfältig, dass von der in der Werbung versprochenen 99 Prozent schnelleren Abwicklung aus meiner Sicht nur maximal 35 Prozent übrigbleiben.
Der Bank Blog: Welche Hürden gibt es noch für den breiten Einsatz von Tokens?
Hans-Gert Penzel: Im Bereich Technologie sind die entsprechenden Protokolle nicht immer ausreichend ausgearbeitet und standardisiert, vor allem bei Smart Contracts, Zudem besteht ein Mangel an komfortablen, breit verfügbaren Wallets zur Aufnahme der Tokens. Dann hakt es ganz klar an der Regulation und deren Umsetzung: Die Klassifikation von Tokens via Taxonomie ist unvollständig und uneinheitlich, die Anforderungen an einzelne Token-Klassen in der EU nicht klar definiert.
Die Sicherstellung von Know Your Customer Konzepten bleibt unbefriedigend. Das Zauberwort heißt MiCA, also die EU-Verordnung über Markets in Crypto Assets, die hoffentlich bis 2024 verabschiedet und umgesetzt wird. Aber die Verbriefung von Immobilien und die Spiegelung komplexer Rechte wird trotzdem umständlich bleiben.
In Punkto Wirtschaftlichkeit belasten die zahlreichen analogen Zwischenschritte das Ergebnis, so dass von der avisierten, 65-prozentigen Kostensenkung vielleicht nur 20 Prozent übrig bleiben. Auch im Bereich Akzeptanz belastet die Umständlichkeit analoger Zwischenschritte die Bilanz. Hinzu kommen die schwierige Nachvollziehbarkeit komplexer Kontrakte und die Angst, dass sich die Schein-Anonymität auf DLTs wie der Blockchain sehr schnell auflösen könnte. Rein emotional haben junge Menschen und kommende Generationen wahrscheinlich weniger Berührungsängste, da sie einfach mit dieser Technologie aufgewachsen sind.
Tokens haben langfristig eine große Zukunft
Der Bank Blog: Wie schätzen Sie dann die Zukunft des Token ein?
Hans-Gert Penzel: Es ist noch viel zu tun, aber aus meiner Sicht haben Tokens langfristig eine große Zukunft. Sie sind als digitale Verankerung von Eigentum aufgrund der Vorteile bei Effizienz, Transparenz und Schnelligkeit attraktiv.
Aber es sind – wie beschrieben – noch diverse Hürden zu überwinden und Tokens werden noch viele Jahre in der Nische verharren. Wenn 2027 rund 3 Prozent des europäischen BIP auf Tokens verankert sind, ist das bereits ein Erfolg. In etwa 7 bis 10 Jahren könnten Token dann den Mainstream erreichen.
Tokenisierung erlaubt Embedded Finance
Der Bank Blog: Welche Auswirkungen wird die Tokenisierung auf Banken haben? Im Zusammenhang mit Token taucht auch immer wieder der Begriff Embedded Finance auf.
Hans-Gert Penzel: Embedded Finance heißt ja, dass das Finanzgeschäft lediglich ein notwendiges Nebenprodukt ist: Der Kunde möchte etwas kaufen, und da muss er halt auch zahlen oder finanzieren. Die Tokenisierung macht die finanziellen Schritte besonders einfach und erlaubt damit Embedded Finance im besten Sinne.
Banken, als Horte des Vertrauens, können auch hier mit ihren anhängenden Finanzleistungen die grundlegende Basis und den Endpunkt des Embedded Finance darstellen. Dazu müssen sie aber spätestens jetzt damit beginnen, entsprechende Kompetenzen aufzubauen, damit die Berater den Kunden an die Hand nehmen und ihn über alle Schritte hinweg begleiten können.
Embedded Finance stärkt die Beziehung zwischen Handel und Banken
Der Bank Blog: Wenn Tokens die Zukunft darstellen, was sind aus Ihrer Sicht Embedded Finance-Lösungen und Anbieter, die schon heute Banken dabei unterstützen, Marktanteile zurückzugewinnen?
Hans-Gert Penzel: Hier sehe ich vor allem die Wiederbelebung und Stärkung der Beziehung zwischen Handel und Banken durch Embedded Finance-Lösungen im Bereich Payment. Die großen BigTechs und Wallet-Anbieter machen Käufer die Zahlung im Checkout extrem einfach, ziehen aber auch große Datenmengen ab und nutzen diese für eigene Zwecke. So werden sie zu direkten Konkurrenten von Händlern, verunsichern Kunden und bedrohen das Kerngeschäft der Banken.
Anbieter wie das FinTech axytos haben das enorme Potential, den Händler zurück in den Mittelpunkt zu stellen und gleichzeitig die Bank wieder mit ins Geschäft zu bringen. Das geschieht zum Beispiel über einen innovativen White Label-Ansatz, bei dem der Händler weiterentwickelte Zahlarten unter eigener Kontrolle und im eigenen Look & Feel anbietet und somit auch die wichtigen Kundendaten zur Steuerung und Analyse des Geschäftes in seinen Systemen verbleiben.
Solche Lösungen stärken schlussendlich Händler und Banken zugleich, da Banken auch kleine Beträge als Teilzahlung oder Ratenkredit mit Hilfe von Embedded Finance wirtschaftlich abbilden können.
Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.