Unternehmen in Deutschland haben ein grundsätzliches Personalproblem: Aus hoch qualifizierten Experten werden täglich tausendfach mittelmäßige Führungskräfte. Emotionale Mitarbeiterbindung fehlt häufig. Vorgesetzten gelingt es nicht, die grundlegenden Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter zu erfüllen und sie so zu mehr Leistung zu motivieren. Das wird sich erst ändern, wenn wir Führungsqualität endlich zum Karrierekriterium machen!
Für die mehr als 240.000 Mitarbeiter der amerikanischen Investmentbank JP Morgan Chase brechen neue Zeiten an. Bisher wurden ihre Leistungen in einem einzigen Jahresgespräch thematisiert und mit einer Note von fünf („braucht Verbesserung“) bis eins („übertrifft Erwartungen“) bewertet. Jetzt führt die Bank ein neues Bewertungssystem ein, das Feedback von Kollegen und Vorgesetzten quasi in Echtzeit ermöglicht. „Indem wir Ihnen zuhörten, haben wir gelernt, dass unsere Mitarbeiter zu jeder Zeit wissen wollen, wo sie stehen“, erklärte Personalchef John Donnelly in einem Rundschreiben. Weil insbesondere die jüngeren Mitarbeiter öfter als nur einmal im Jahr Feedback wollen, wolle man ein Umfeld schaffen, in dem sich die Leute wohl dabei fühlen, nach Feedback zu fragen, dieses zu geben oder es zu erhalten, hieß es in dem Memo. Ähnliche Absichten hatte im Jahr zuvor bereits Goldman Sachs angekündigt. Beide Firmen wollen Online-Tools nutzen, um die Feedback-Frequenz zu erhöhen. Informationen, die mit der neuen Technologie gesammelt werden, sollen letztlich auch in Gehaltentscheidungen einfließen.
Feedback ist nicht nur eine Frage von Quantität, sondern vor allem auch von Qualität.
Das Beispiel zeigt erstens, bei den Großbanken hat scheinbar ein Umdenken eingesetzt. Und zweitens, eigentlich bleibt alles beim Alten. Richtig ist: Um motiviert und produktiv zu sein und ihre Leistungen zu verbessern, benötigen alle Mitarbeiter – und nicht nur Millennials – regelmäßig qualifiziertes Feedback, konstruktive Kritik ebenso wie Lob für gute Arbeit. Aber gerade hier haben Führungskräfte in Deutschland die größten Defizite. Vier von zehn Arbeitnehmern (44 Prozent) hierzulande hatten in den letzten zwölf Monaten gar kein Gespräch über ihre Leistung bei der Arbeit. Nur ein verschwindend geringer Teil (14 Prozent) befindet sich in regelmäßigem Austausch mit seiner Führungskraft.
Doch Feedback ist nicht nur eine Frage von Quantität, sondern vor allem auch von Qualität. Selbst dort, wo sie stattfinden, verfehlen Mitarbeitergespräche oft ihr Ziel, die Arbeitsleistung nachhaltig zu verbessern. Laut aktuellem Engagement Index stimmen nur knapp vier von zehn Beschäftigten (38 Prozent) der Aussage ‚die Rückmeldung, die ich zu meiner Arbeit bekomme, hilft mir, meine Arbeit besser zu machen‘ vollständig zu. Dabei ist es ist die Aufgabe einer Führungskraft, die individuellen Leistungspotenziale der Mitarbeiter freizusetzen und zur Entwicklung des Einzelnen beizutragen. Führungskräfte müssen befähigt werden, effektivere Leistungsgespräche zu führen und ihre Mitarbeiter besser zu begleiten – mit dem Ziel, die bestmöglichen Arbeitsergebnisse zu erreichen.
Vorgesetzte vergeuden die Chance, etwas über ihre Mitarbeiter zu lernen
In vielen Unternehmen dienen Mitarbeitergespräche einzig und allein dem Zweck, Gehalts- und Beförderungsentscheidungen zu treffen, statt gemeinsam zu erörtern, was der Mitarbeiter geleistet hat, wo Stärken noch besser ausgespielt werden und wie Schwächen umschifft werden könnten. Dadurch vergeuden Vorgesetzte erstens die Chance, etwas über ihre Mitarbeiter zu lernen und richten außerdem deren Fokus auf Faktoren, die nachweislich kaum Einfluss auf die emotionale Bindung haben. Für die emotionale Bindung – und damit die Motivation der Mitarbeiter – ist beispielsweise ‚die Möglichkeit, das zu tun, was man richtig gut kann‘ fünfmal relevanter als das Gehalt. Klassischerweise konzentriert sich das Mitarbeitergespräch zudem auf den erzielten Fortschritt anhand bestimmter Kennzahlen. Doch die angewandte Metrik spiegelt oft nicht einmal die jeweilige Leistung wieder. Lediglich vier von zehn Beschäftigten (39 Prozent) berichten, dass sie an Arbeitsergebnissen gemessen werden, die sie selbst beeinflussen können – bei den übrigen ist Entfremdung vorprogrammiert.
Technik wird aber aus schlechten Führungskräften niemals gute machen
Technik kann Führungskräfte bei ihrer Führungsarbeit sicherlich unterstützen – sie wird aber aus schlechten Führungskräften niemals gute machen. Das gleiche gilt für Maßnahmen zur Personalentwicklung. Auch sie verpuffen vielfach, weil sie nichts an der Tatsache ändern, dass Führungskräfte nach den falschen Kriterien ausgewählt werden. „Karriere machen“ wird nicht nur hierzulande vornehmlich durch die Zahl der Untergebenen definiert. Fachleute wechseln vor allem deshalb in einen Führungsjob, weil ihnen keine anderen Weiterentwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Aus hoch qualifizierten Experten werden täglich tausendfach mittelmäßige Führungskräfte. Und jedes Mal verliert das Unternehmen eine wichtige Fachkraft und ein Mitarbeiter gelangt in einen Job, der ihm nicht wirklich liegt.
60 Prozent der Menschen sind für Führungsaufgaben nicht geeignet
Personalentwicklung dient dann häufig nur dazu, schlechte Auswahlentscheidungen zu kompensieren. Training und Coaching von Führungskräften macht natürlich Sinn – echtes Führungstalent kann es nicht ersetzen. Gallup-Studien zeigen, dass nur etwa jede fünfte Führungskraft über ein ausgeprägtes Talent verfügt, Mitarbeiter zu führen. Ein weiteres Fünftel verfügt über die notwendigen Voraussetzungen, um Führungspotenzial zu entwickeln. Im Umkehrschluss bedeutet dies: 60 Prozent der Menschen sind für Führungsaufgaben nicht geeignet.
Doch wie sieht Führungstalent konkret aus? Studien und Erfahrungen bei Kunden unterschiedlichster Branchen legen nahe: Herausragende Führungskräfte können jeden einzelnen Mitarbeiter „mitnehmen“, indem sie ihn emotional überzeugen. Sie besitzen Durchsetzungskraft und können mit Widerständen umgehen. Sie schaffen ein Arbeitsumfeld mit klaren Verantwortlichkeiten, bauen Beziehungen durch Vertrauen, Transparenz und Offenheit auf und lassen sich in der Entscheidungsfindung durch Ergebnisorientierung leiten.
Für Experten ohne Führungstalent muss es alternative Karrierewege geben
Wenn Unternehmen wirklich etwas gegen mangelnde emotionale Mitarbeiterbindung tun und ihre Performance deutlich steigern wollen, dann müssen sie Führungstalent endlich zum Karrierekriterium machen. Für Experten ohne Führungstalent muss es alternative Karrierewege ohne Personalverantwortung geben. Doch all das funktioniert nicht von heute auf morgen. Gemeinsam mit Gallup hat eine europäische Bank einen Zehn-Jahres-Plan entwickelt, um die Qualität der Führung und das Talent-Level nachhaltig zu erhöhen. Zunächst durchliefen die drei oberen Führungsebenen sukzessive ein Leadership Assessment. In einem weiteren Schritt wurden die Leistungsanforderungen an künftige Führungskräfte, je nach Rolle, Land und Aufgabenbereich herausgearbeitet. Die Bank hatte nun die Möglichkeit, die richtigen Führungskräfte für bestimmte Aufgaben zu finden und Fehlbesetzungen zu vermeiden – ein Faktor, der wesentlich zum Wachstum in den vergangenen Jahren beigetragen hat. Gallup hat in verschiedenen Studien belegt: Wenn Unternehmen systematisch die „richtigen“ Führungskräfte auswählen, können sie eine Umsatzsteigerung von durchschnittlich 27 Prozent pro Mitarbeiter erzielen.