Konsumenten und Unternehmen wünschen sich integrierte Services rund um bestimmte Themen wie Gesundheit, Wohnen oder Mobilität. Für das systematische Erschließen von solchen Netzwerken und Business Ecosystems sind zwölf Schritte notwendig.
Viele Finanzinstitute, aber auch andere Unternehmen, denken darüber, wie sie sich in Netzwerke und Business Ecosystems einbringen sollen. Vorteil der Interaktion in Business Eocsystems ist, dass dem Endkunden integrierte Services durch zum Teil branchenübergreifende Kooperationen zur Verfügung gestellt werden können und auch der Zugang zu neuen Kundengruppen erschlossen eröffnet werden kann. Auch Themen wie Co-Creation und Data-Insights können dabei eine Rolle spielen.
Selbst ein Business Ecosystem aufzubauen ist allerdings eine anspruchsvolle Aufgabe, da es viele Parteien um eine für alle Teilnehmer attraktive Value Proposition herum zu orchestrieren gilt. Zusätzlich ist erfolgsentscheidend, wie eine in den Augen aller Teilnehmer gerechte Verteilung des gemeinsam geschaffenen Wertes gefunden wird, während die zukünftige Profitabilität noch nicht gesichert ist. In manchen Fällen wird die Profitabilität sogar eine untergeordnete Rolle spielen, wenn die Erschliessung eines Business Ecosystems notwendig ist, um langfristig für die Kunden attraktive Offerings sicherzustellen.
12 Schritte zum Aufbau eines Business Ecosystems
Um die Erfolgsaussichten für ein solches Vorhaben zu erhöhen, lohnt sich ein strukturiertes Vorgehen, das nicht nur beim Design einer vielversprechenden Lösung hilft, sondern auch dabei, mögliche Stolpersteine möglichst früh zu entdecken und bestenfalls zu umgehen.
Natürlich kann nicht jedes Unternehmen ein Orchestrator eines Business Ecosystems werden. Die folgenden Schritte geben aber eine erste Indikation, ob und in welcher Rolle sich Unternehmen einbringen können und sollen.
Die genutzte Struktur wurde gemeinsam mit den Partnern des Competence Center Ecosystems des BEI St. Gallen (15 Unternehmen der Finanzindustrie aus der DACH-Region) – basierend auf den Promotionen mehrerer Doktoranden – entwickelt und in der Praxis verprobt.
Schritt 0: Vorbereitung
Da der Aufbau eines Business Ecosystems ein ressourcenintensiver Prozess mit ungewissem Ausgang ist, sollte dieser Schritt gut überlegt sein. Vor der Entscheidung steht daher zunächst in einem Schritt 0 die Analyse der aktuellen Positionierung des eigenen Unternehmens:
- Welche Rolle könnte ich mit meinem jetzigen Angebot in welchen Business Ecosystems (BE) einnehmen?
- In welchen BE bin ich vielleicht schon aktiv?
- Ist ein Engagement in weiteren BE notwendig, um bestimmte strategische Ziele zu erreichen?
Je nach Unternehmen und Kontext erübrigen sich an dieser Stelle vielleicht bereits weitere Überlegungen, weil sich herausstellt, dass die Beteiligung an einem bestimmten BE nicht zielführend für das Unternehmen ist bzw. möglicherweise die bestehenden Engagements ausreichen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die vorgestellten Schritte an die individuelle Situation angepasst werden müssen und zum Teil auch parallel bzw. revolvierend durchgeführt werden. Ein Business Ecosystem lässt sich nicht exakt auf dem Reißbrett designen, sondern braucht mehrere iterative Entwicklungsrunden. Zugleich wird das Ergebnis umso erfolgsversprechender, je eher die relevanten Partner des Business Ecosystems in die Diskussion eingebunden werden. Aber auch hier gilt: Ein Business Ecosystem ist ein hervorragendes Konstrukt, um sich vollständig zu verzetteln. Daher sollte mit einem eher kleinen, für eine identifizierte Zielgruppe passgenauen Servicebundling gestartet werden. Dies kann dann ggfs. im Zeitablauf erweitert und ausgebaut werden. Das gilt unabhängig davon, ob man als Unternehmen darüber nachdenkt, in ein bestehendes Business Ecosystem einzutreten, oder die Initiierung eines neuen Business Ecosystems plant.
Folgende weitere Schritte bzw. Aktivitäten sind mit der Analyse und dem Verständnis bezüglich der strategischen Positionierung in Business Ecosystems verbunden.
Schritt 1: Analyse der zukünftigen Entwicklung der Kundenbedürfnisse und des eigenen Unternehmens
Auf Basis einer Trendanalyse können die Veränderung der Kundenbedürfnisse diskutiert und analysiert werden. Weitere mögliche Instrumente, um die Motive und Probleme der Kunden zu erfahren, sind beispielsweise Methoden aus dem Design Thinking oder auch der Jobs-to-be-done-Ansatz.
Ein Trendradar kann aber auch genutzt werden, um das Verständnis zu schärfen, wohin sich das eigene Unternehmen entwickeln möchte. Dabei kann der Impact von Trends auf das jeweilige Unternehmen analysiert werden – optimalerweise mit Fokus auf Kunde, Geschäftsmodell, Markt, Prozess, System und Leistungsangebot.
Schritt 2: Konkretisierung Idee – Herleitung Kernwertversprechen und Zielgruppe
Business Ecosystems entwickeln sich als dynamische Strukturen rund um ein zentrales Kernwertversprechen bzw. einen gemeinsamen Zweck. Dabei ist die Eruierung der Bedürfnisse der Zielgruppe entscheidend. Um die Bedürfnisse der Teilnehmer zu verstehen kann beispielsweise auf Bedürfnisübersichten von Firmen- und Privatkunden zurückgegriffen werden.
Schritt 3: Konkretisierungen Services & Bedürfnisse der Teilnehmer im Business Ecosystem
Hier geht es darum, bestimmte Services als Kernservices zu eruieren. Was sind weitere Services, die den Kernservice ergänzen können (also z. B. die Zeitung oder der Zugang zu Streaming-Dienstleistungen während der Zugfahrt) bzw. auch Angebote, die zeitlich vor dem eigentlichen Kernservice zur Erfüllung der jeweiligen Kundenbedürfnisse relevant sind (z. B. Fahrt zum Bahnhof)?
Ein weiteres Instrument, um sich diese Services zu erschließen, ist die Analyse der Customer Journey eines Kunden. Diese kann benutzt werden, um einzuschätzen, welche Aktivitäten man selber erbringen möchte und welche durch andere Parteien erbracht werden sollen.
Schritt 4: Weitere Konkretisierung Services & Bedürfnisse der Teilnehmer im Business Ecosystem
Die identifizierten Kernservices und angrenzenden Services können noch weiter geschärft werden, in dem man den Blickwinkel ändert und sich fragt, in welchen Situationen Kunden Bedarf an solchen Services haben und/oder auch, wann Sie sich mit solchen Themen beschäftigen. Hier sind bspw. Firmen- oder Personeneventlandkarten vorteilhaft.
Schritt 5: Bestimmung der zukünftig im Business Ecosystem teilnehmenden Unternehmen und ihrer Aktivitäten (Soll-Situation)
Konkrete Teilnehmer werden eruiert, u. a. auch mit Fokus auf deren Offering, Ressourcen und Bedürfnisse. Weiterhin sollte eine systematische Bewertung der Teilnehmer auf Basis der Anforderungen erfolgen, welche das jeweilige Unternehmen an die Kooperationspartner hat. Hierbei können systematisch Auswahlkriterien identifiziert werden, von der Marktmacht der Teilnehmer bis hin zu deren Reputation und Skalierungsfähigkeit.
Anschließend erfolgt eine Auswahl der Teilnehmer auf Basis der Bewertung der potenziellen Partner. Spätestens an diesem Punkt – nach Aufnahme der ersten Gespräche mit den potenziellen Partnern – werden die bisher durchlaufenen Schritte erneut durchgeführt und um den Input der Partner ergänzt.
Schritt 6: Vervollständigung des Ecosystem Business Canvas
Anschließend können die Ergebnisse der Analysen im Ecosystem Business Canvas systematisch aggregiert werden. Hierbei wird dargestellt, welche Fähigkeiten und einzelnen Wertversprechen in einem Ecosystem ineinandergreifen, um das Kernwertversprechen zu erfüllen.
Schritt 7: Aufbau einer Business Ecosystem Governance
Nur 15 Prozent aller Business Ecosystems sind erfolgreich, dies liegt häufig an einer unzureichenden Governance (Why Do Most Business Ecosystems Fail? | BCG). Hier kann ein ein fein austariertes Governance-Modell helfen, welches Anreiz- und Kontrollmechanismen geschickt miteinander kombiniert. Ein spannendes Beispiel ist in diesem Kontext das Konzept des Superhost bei Airbnb.
Der Superhost muss bestimmte Qualitätskriterien erfüllen – wie ein bestimmtes Bewertungsnivea – aber auch bestimmte Antwortzeiten einhalten und auch Stornierungen (von sich aus) nur in sehr begrenztem Umfang durchführen. Dies bedeutet, dass sich der Superhost in seiner Autonomie einschränkt, dafür erhält er aber im Gegenzug ein „Label“ und dadurch mehr Buchungsanfragen. In diesen Themenblock gehört auch die Frage, wer wann welchen Informationen und einen Kundenzugang bekommt bis hin zur Frage, wie ein Multihoming vermieden werden kann.
Schritt 8: Indikative Ertragsmechanik
Natürlich wird von jeder strategischen Initiative erwartet, zumindest eine erste Aussage darüber machen zu können, wie der Business Case aussehen wird. Dies ist insbesondere im Kontext von Business Ecosystems recht herausfordernd. Aber eine erste Indikation welche indirekten und direkten Kosten und Erträge mit dem Aufbau eines Business Ecosystems verbunden sind, ist die Basis für einen Entscheid über die nächsten Schritte
Zurzeit wird beim Business Engineering Institute eine Promotion zu diesem Thema erfasst und die vorläufigen Ergebnisse sind sehr vielversprechend. Insbesondere zeigt sich im Rahmen der analysierten Case Studies, dass neben den rein monetären Werten eine Vielzahl von weiteren Werten (vom Zugang zu Daten, Co-Creation, Setzung von Standard bis hin zur Mitarbeitermotivierung) existieren.
Schritte 9/10: Entwicklung einer Business-Ecosystem-Portfolio-Strategie
Nachdem ein grundlegendes Verständnis gewonnen wurde, wie ein mögliches neues Business Ecosystem grundsätzlich aussehen könnte und welche Business Ecosystems rund um die analysierten Services bereits existieren, kann nun die Entscheidung getroffen werden, ob eher eine „build“- oder eine „integrate“-Strategie verfolgt werden soll. Natürlich kann – insbesondere, wenn das Unternehmen bereits an einem oder mehreren Business Ecosystems teilnimmt – die Strategie um „desintegrate“ erweitert werden.
Als Hilfsmittel für die Identifikation interessanter Business Ecosystems kann ein Business-Ecosystem-Radar dienen, wie in das Business Engineering Institute regelmässig für seine Partner erstellt .
Schritt 11/12: Detaillierung der Wertschöpfung
Nachdem die Skizzierung des Business Ecosystems erfolgt ist, wobei möglichst frühzeitig potentielle Partner und Kunden eingebunden werden sollen, ist ein nächster Schritt die detaillierte Analyse, wie genau die Wertschöpfung im Business Ecosystems erfolgt, und wer welche Aufgaben übernimmt. Dabei nehmen der Aufbau und auch die Pflege der Partner eine wichtige Rolle ein. Jedes Business Ecosystem hat unterschiedliche Reifegrade und braucht demnach auch unterschiedliche Steuerungsmechanismen und KPI’s.
Fazit Business Ecosysteme sind anspruchsvolle Projekte
Ein Business Ecosystem zu designen und aufzubauen ist ein anspruchsvolles Projekt, dem eine solche Auflistung kaum gerecht werden kann. Trotzdem können die hier dargestellten Schritte – welche laufend erweitert und überarbeitet werden- einen ersten Überblick über den Prozess geben, der zur Entwicklung einer Ecosystem-Strategie durchlaufen werden sollte.
Weitere Fragen, die bis zur tatsächlichen Umsetzung auf die Teilnehmer zukommen, sind unter anderem:
- Wie sieht die technische Infrastruktur im Ecosystem aus?
- Welche Daten teilen die Teilnehmer untereinander und
- Welche Schnittstellen werden dafür genutzt?
Schließlich ist Technologie ein wichtiger Enabler für den Aufbau von BE. Geprägt wird der Erfolg eines solchen Konstrukts aber vor allem auch durch das Mindset und die Kultur der teilnehmenden Unternehmen.
Falls Sie sich für diese Themen interessieren, freuen wir uns auf den Austausch mit Ihnen.