Kundenkontaktcenter sind ein zentraler Baustein für den Markterfolg einer Bank in einem immer härter werdenden Wettbewerbsumfeld. Über Voraussetzungen und Möglichkeiten für Finanzinstitute habe ich mit Kai Lenz von ServiceNow gesprochen.
Call Center war gestern. In der Omnikanalwelt von heute kommt dem Kundenkontaktcenter (Customer Service Center, Kontakt Center, Beratungs-Center) einer Bank eine besondere Bedeutung zu. In vielen Fällen sind sie die erste Anlaufstelle für Kunden.
Interview mit Kai Lenz, ServiceNow
Über die Anforderungen an ein modernes Kundenkontaktcenter habe ich mich mit Kai Lenz unterhalten. Er ist Head of Financial Services Industry EMEA bei ServiceNow. Der Diplom Informatiker und MBA war zuvor in verschiedenen Positionen u.a. für Pegasystems, Microsoft, Credit Suisse und IBM tätig.
Kunden erwarten einen ganzheitlichen Ansatz
Der Bank Blog: Inwiefern hat sich die Rolle der Kontakt Center im Banking verändert?
Kai Lenz: Vor allem hat sich die Erwartungshaltung der Kunden in den letzten Jahren rasant verändert. Aus ihrer Interaktion mit Google, Amazon, Zalando & Co, mit Telekommunikationsanbietern, aber auch mit innovativen FinTechs wie Revolut und Wise, haben sich neue Bedürfnisse ergeben.
Als Antwort darauf haben Banken ihre Produktentwicklung beschleunigt, ihr Frontend neu gestaltet und als Teil dessen, ihre Kundenkontaktcenter zu einem wesentlichen Baustein und Teil des Vertriebs entwickelt.
So hat sich die Frequenz, in welcher neue Produkte und Dienstleistungen realisiert und angeboten werden, von zwölf Monaten auf circa sechs bis acht Wochen reduziert. Insbesondere bei diesen neuen Produkten zeigt sich ein erhöhter Service-Bedarf und den Kontakt Centern kommt hier zunehmend eine aktive Rolle bei der Markteinführung zu.
Der Bank Blog: Was bedeutet dies aus Kundensicht?
Kai Lenz: Der Kunde erwartet sich vom Agenten einen ganzheitlichen Kundenfokus, eine Gesamtsicht auf seine Bedürfnisse. Entsprechend muss das Ziel sein, dass Mitarbeitende im Kontakt Center die aus Kundensicht relevanten Informationen an einem Punkt abrufen können. Dies setzt jedoch voraus, dass alle nötigen Datenpunkte abteilungsübergreifend miteinander verknüpft sind und die End-to-End Customer Journey, von der ersten Interaktion bis zur letzten Umsetzung eines Kundenwunsches, bekannt ist.
Mit anderen Worten, Je besser das Zusammenspiel der Prozesse innerhalb der Bank, je besser einzelne Prozesse ineinandergreifen, desto besser versteht der Agent die Kundensicht und desto besser wird das Kundenerlebnis, das er dem Kunden bieten kann.
Es fehlen ganzheitliche Kunden-Insights
Der Bank Blog: Dennoch scheinen Kontakt Center in vielen Fällen von den einkommenden Anfragen überfordert und müssen ihre Kunden um Geduld bitten. Woran scheitert die ganzheitliche Sicht auf den Kunden?
Kai Lenz: Das Middle-Office hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm diversifiziert, teilweise auch durch die steigenden Compliance-Anforderungen. Die einzelnen Abteilungen arbeiten heute mit einem sehr hohen Spezialisierungsgrad, und dieses Wissen lässt sich nur schwer am Front-end wiederspiegeln. In der Folge explodiert die Handling-Time für nicht-standardisierbare Anfragen geradezu.
Das Hauptproblem liegt jedoch darin, dass viele Banken parallel mehrere Lösungen einsetzen, die mit Kundeninformationen befüllt werden und die je nach Abteilung und Zuständigkeit getrennt voneinander laufen.
Entsprechend fehlen ganzheitliche Kunden-Insights. Das spiegelt sich auch darin, dass Banken immer noch über „Kundensegmente“ sprechen. Die Frage, wie teile ich meine Kunden in Boxen ein und welche Produkte biete ich diesen Boxen an, spiegelt eine alte Denkweise wider. Diese berücksichtigt nicht das Potenzial des einzelnen Kunden.
Begrenzte Flexibilität durch Altsysteme
Der Bank Blog: Banken haben in den letzten Jahren mehr in die Digitalisierung investiert als viele andere Branchen.
Kai Lenz: Ja, den meisten Banken ist es gelungen, auf einem wenig flexiblen Basis-Core-Banking-System auf der Frontendseite, sprich der Angebotsseite, ein neues Framework aufzubauen, wie beispielsweise mit eBanking und den Banking Apps. Sie haben Selbstbedienungsmodule und andere digitale Kanäle aufgebaut.
Im Middle- und Back-Office ist die digitale Prozessvernetzung jedoch weit weniger fortgeschritten. Hier kommt es immer noch zu Medienbrüchen – eben dann, wenn es darum geht, Fachabteilungen einzubinden.
Eine weitere Baustelle ist zudem das Backend mit allen Prozessen, die hinter dem Frontend liegen. Datensilos und begrenzte Flexibilität durch Altsysteme verhindern einen 360-Grad-Blick auf die Kunden.
KI-Lösungen erfordern eine Vernetzung
Der Bank Blog: Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz künftig beim Kundenservice?
Kai Lenz: Generative KI kann für Mitarbeiter in allen Dienstleistungsberufen den Aufwand für unattraktive, repetitive Tätigkeiten wie das Sammeln und Zusammenfassen von Informationen reduzieren. So wird generative KI Kundenberater in die Lage versetzen, immer präziser zu arbeiten: Sie wird ihnen helfen, schnell die richtigen Informationen zu finden, um die individuellen Fragen der Kunden zu beantworten.
Für das Funktionieren von KI-Lösungen ist aber wiederum die Vernetzung wichtig. Nur so können die Werkzeuge auf alle relevanten Informationen zugreifen.
Hybrider Beratungsansatz erfordert personalisierte Kundenansprache
Der Bank Blog: Welches Interesse haben Banken, ihr Middle-und Back-Office zu digitalisieren?
Kai Lenz: Bietet man seinen Kunden eine schnelle Lösung seines Problems, so sind diese bereitwilliger, sich ihre Bank zu binden. Dann ist es fast schon zweitrangig, ob eine andere Bank zu einem gewissen Service bessere Konditionen bietet. Solange jedoch die relevanten Kundeninformationen nicht in einem übergreifenden System verknüpft sind, ist eine ganzheitliche Sicht auf den Kunden schwierig.
Zudem muss das Zusammenspiel von physischen Beratern und Online-Tools stimmen. Letztlich profitiert der Anbieter, der einen integrierten Service- oder Informations-Ansatz verfolgt.
Der Bank Blog: Wie sehen die die Zukunft eines modernen Kundenkontaktcenters?
Kai Lenz: Viel zu lange wurde das Kontakt Center als lästiger Kostenfaktor betrachtet, als notwendiges Anhängsel des klassischen Relationship Managements mit wenig Mehrwert für Kunden und Unternehmen. Demgegenüber steht ein neuer, hybrider Beratungsansatz, der eine personalisierte Kundenansprache an allen Schnittstellen zum Kunden fordert.
Daraus ergibt sich das kundenzentrierte Kontakt Center von morgen, das einen spürbaren Mehrwert für die Bank schafft. Dieser beruht zum einen auf der Fähigkeit des Agenten, den Kunden ganzheitlich und nicht nur als Teil eines Kundensegments zu bedienen, und zum anderen auf dem Einsatz moderner Technologien, mit denen das Kontakt Center durchaus neue Beratungsmodelle als Ergänzung zum Relationship Management anbieten kann.
Digitales Live-Event Zukunftsstrategien für Kundenkontaktcenter 5.9.2024, 11:00 Uhr
Im Live-Webinar des Bank Blogs am 5. September 2024, 11:00 bis 12:00 Uhr zum Thema „Zukunftsstrategien für Kundenkontaktcenter“ erhalten Sie weitere Informationen, wie Banken und Sparkassen ihr Kundenkontaktcenter zukunftssicher aufstellen können und haben die Möglichkeit, eigene Fragen zu stellen.
Melden Sie sich heute noch an, um Ihre Fragen zu stellen und mitzudiskutieren.