Ist die EU-Taxonomie mehr als nur eine Schimäre?

Nachhaltige Finanzen im politischen Gezerre

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Die EU-Taxonomie ist eine systemimmanente Fehlkonstruktion. Sie gibt einen wissenschaftsbasierten Ansatz vor, der nicht den Anforderungen an Nachhaltigkeit gerecht wird. Zudem ist sie nicht frei von politischen Interessenlagen der EU-Mitgliedstaaten.

Nachhaltigkeits-Taxonomie der EU mit Widersprüchen

Die aktuelle Atom/Erdgas-Debatte belegt, dass die Taxonomie nicht frei ist von politischen Interessenlagen der EU-Mitgliedstaaten.

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Ein ganz besonderer „Böller“ barst in der Neujahrsnacht 2022: Der Draft “… amending Delegated Regulation (EU) 2021/2139 as regards economic activities in certain energy sectors and Delegated Regulation (EU) 2021/2178 as regards specific public disclosures for those economic activities“ der EU-Kommission. Wie von manchen fundamentalistischen Befürwortern des Green Deal und des Sustainable Finance-Programms befürchtet, soll demnächst die Energiegewinnung mittels Atomkraft sowie Erdgas in Form als sogenannte Übergangstechnologien kompatibel mit der (grünen) EU-Taxonomie sein. Die vor Kurzem vereidigte neue deutsche Bundesregierung stand damit vor ihrer ersten Belastungsprobe und die Partei von Bündnis 90/Die Grünen wird innerhalb ihrer fundamentalistischen Klientel vor einem Kollateralschaden stehen, der zukünftig die Stabilität und Regierungsfähigkeit der Partei unterminieren könnte.

Auch wenn das „deutsche Durchwinken“ des Brüsseler Vorschlags vor allem das politische deutsch-französische Freundschaftsverhältnis vor schweren Belastungen verschont haben dürfte, wird bei den durch die Energiewende der Merkel-Ära auf Anti-Atom getrimmten Deutschen das europapolitische Bargaining schlichtweg nur als „Kuhhandel“ verstanden worden sein. Der ohnehin wenig grün gesonnene deutsche Anleger dürfte ungläubig über die Kehrtwende der deutschen Politik staunen. Vermehrt dürften sich Deutsche in ihrem Vorbehalt bestätigt fühlen, dass grüne Geldanlagen viel versprechen, aber wenig halten. Bei allem Verständnis für solche Bedenken, hatte die deutsche Politik ob den Unzulänglichkeiten in der Umsetzung der Energiewende (z.B. fehlende Überlandtrassen, zeitweise hohe Abhängigkeit von Exportstrom, unter Plan liegender Ausbau der erneuerbaren Energien, Widerstände gegen Speichertechnologien etc.) und des Atom/Erdgas-Junktims für einen politischen Poker mit den Atom-Befürworterstaaten schlichtweg „schlechte Karten“.

Es war einmal – deutsche Vorbehalte gegenüber grünem Geld …

Man mag sich erinnern: Jahrelang hat die Mehrheit der deutschen Finanz- und Versicherungswirtschaft nachhaltige Finanzen rundheraus abgelehnt – im Gegensatz zu weiten Teilen in den übrigen EU-Staaten. Lapidare Begründung: Es fehle eine einheitliche und verbindliche, ja möglichst gesetzliche Regelung, was als nachhaltig in Geldanlagen zu verstehen sei.

Kaum mehr bekannt: Man fand jahrelange Unterstützung in der Vorgängerinstitution der BaFin, dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen. Es verweigerte generell Investmentfonds die Genehmigung für das Adjektiv „ethisch“. Man verwies auf die Schwierigkeiten, dass die konkrete Abgrenzung der Begriffe ‚Umweltaktie’ und erst recht ‚Ethische Investments’ nicht möglich sei. So wären die Begriffe ‚Ethik’ oder ‚Umweltverträglichkeit’ nicht objektiv messbar. Ferner würden die Begriffe im Zeitablauf Schwankungen im Verständnis unterliegen (!).

Auf der anderen Seite dürfe es keine Diskriminierung der konventionellen Assets durch die Auflage eines ‚Ethik’-Fonds geben, die diese Assets aufgrund ihres ‚unethischen’ Charakters nicht im Portfolio aufnehmen. Bemerkenswerte Vorbehalte, an die man sich in der heutigen Beschäftigung mit der EU-Taxonomie erinnern sollte – auch innerhalb der BaFin.

… als Ansporn für die EU-Taxonomie (?)

Nun ist der deutsche Finanz- und Versicherungsmarkt innerhalb der EU bekanntlich ein Schwergewicht, sodass die anhaltende grüne Verweigerung deutscher Institute und die nach vorne preschenden EU-Spitzengremien diesen Konflikt austragen mussten. Die EU-Kommission entwarf dazu kurzerhand mit ihrem Aktionsprogramm nachhaltige Wirtschaft und dem nachfolgenden Green Deal ein Drehbuch, dem der Abschlussbericht der von ihr 2016 eingesetzten High Level Expert Group on Sustainable Finance (HLEG) zugrunde lag. Die Zusammensetzung der HLEG dürfte bereits stark politischen Züge zu Eigen gewesen sein, überließ man doch geschickt „Pro Sustainable Finance“ Nichtregierungsorganisationen die Bühne und erreichte damit ein Programm an Empfehlungen, das weit über die Befürchtungen aller Zögerlichen in Sachen nachhaltige Finanzen hinausging.

Die 2018 eingesetzte Technical Expert Group (TEG) on Sustainable Finance übernahm weite Teile der HLEG-Empfehlungen, konkretisierte und erweiterte sie.  Das Herzstück des Sustainable Finance Packages der TEG ist der delegierte Rechtsakt für die EU-Taxonomieverordnung. Die sogenannte Platform on Sustainable Finance nahm 2021 ihre Arbeit auf und berät seither über Erweiterungen der Taxonomie. Damit wurde geliefert was von deutscher Seite immer wieder gefordert wurde: eine offizielle und verbindliche Klassifikation, was grüne Branchen und Unternehmensaktivitäten sind.

Wissenschaft – kein Ersatz für gesellschaftliche und politische Diskurse

Von zentraler Bedeutung war und ist der Anspruch der EU-Kommission, mit der EU-Taxonomie einem wissenschaftsbasierten Ansatz zu folgen. Aber genau das ist der Webfehler: Das Nachhaltigkeitskonzept unterliegt einem gesellschaftlichen Diskurs! Wissenschaftler sind wichtige Auxiliar Truppen. Ihre Rolle ist aber zu limitieren auf die Lieferung von Daten, kausalen Zusammenhängen, Szenarien, Politikempfehlungen. Wissenschaftlern darf in Demokratien kein Anschein eines Schatten-Legislativorgans anhaften.

Zwar wird bei jeder Gelegenheit von EU-Vertretern betont, dass die Taxonomie kein Law to Operate ist, also keine Unternehmensaktivitäten vorschreibt. Doch geschickterweise wird das auf die Finanzmarktakteure verlagert, indem an sie delegiert wird zu entscheiden, welchen Kapitalnehmern die License to Operate aufgrund von Taxonomie-Konformität zugestanden wird und wer dagegen mit Kapital rationiert wird.

Fazit: Die EU-Taxonomie verstrickt in systemimmanenten Widersprüchen

Die vorangegangenen Ausführungen waren grundsätzlicher Natur. Wer sich tagtäglich mit der Taxonomie beruflich beschäftigt, weiß um die Widersprüchlichkeiten, Unvollständigkeiten und Unglaublichkeiten in diesem Mammutwerk. Nun hilft keine Larmoyanz. Die Taxonomie wurde durch ein „Benign Neglect“ der vormaligen Bundesregierung, unmutigen Branchenverbänden und massiv lobbyistischen Nichtregierungsorganisationen gekoren. Die EU-Taxonomie steht vor ihrem Lackmustest – mit ungewissem Ausgang.

Über den Autor

Prof. Dr. Henry Schäfer

Prof. Dr. Henry Schäfer ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von EccoWorks GmbH, einer Beratungsgesellschaft für Sustainable Finance. Zuvor war er bis 2019 Ordinarius der Universität Stuttgart und Inhaber des Lehrstuhls „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzwirtschaft“. Eine besondere Bedeutung hat bis heute der Forschungsbereich „Sustainability & Finance“.

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